Kommentar zum Ende der Ära Julia Jones Eine kluge, enorm konzentrierte Dirigentin

Wuppertal · Ein Publikumsliebling wie ihr Vorgänger Toshiyuki Kamioka zu seinen besten Zeiten ist Julia Jones nicht geworden. Vom Publikum geliebt zu werden, das war sicher auch nie ihr primäres Ziel – das bestand wohl eher darin, ihre Vorstellung von der aufzuführenden Musik möglichst genau umzusetzen.

 Stefan Schmöe.

Stefan Schmöe.

Foto: Simone Bahrmann

Kamioka war für mich ein „Bauchdirigent“, der den schönen Moment genießen, im Klang schwelgen, sich auch darin verlieren konnte. Jones ist eher die „Kopfdirigentin“, die mit sehr präzise durchdachten Konzepten an die Musik herangeht. Das machte ihre Aufführungen und Konzerte aus meiner Sicht interessanter als die von Kamioka, auch wenn die Disziplin, die sie einfordert, mitunter der Freiheit des Musizierens entgegensteht.

Aber nicht zuletzt dieser Kontrast ist es, der sie zum Glücksfall gemacht hat. Mit ihrer Art, ihrem ganz eigenen, mitunter spröden Charme passte sie zu Wuppertal: Keine Glamour-Dirigentin, sondern eine enorm konzentrierte Arbeiterin, manchmal schroff auch in ihren musikalischen Interpretationen, die – vor allem bei „Carmen“ und „Die Hochzeit des Figaro“ – zum spannendsten gehörten, was auf NRW-Bühnen zu hören war. Vergessen sollte man dabei freilich nicht, dass ihr die längste Zeit mit Johannes Pell ein hochbegabter Kapellmeister zur Seite stand und heikle Aufgaben abnahm. Eine experimentelle Aufführung wie die Verschränkung des dritten „Götterdämmerungs“-Aktes mit Heiner Goebbels’ „Surrogate Cities“ mit dem Orchester auf der Bühne und dem Dirigenten mittendrin – die dirigierte nicht die Chefin, sondern der furchtlose Pell, der gefühlt für jedes Wagnis zu haben war.

Jones dirigierte in der Oper bevorzugt bekannte Repertoire-Werke, die freilich, siehe oben, aufregend neu klangen. Eine einfache Persönlichkeit ist Julia Jones nicht, was Oberbürgermeister Uwe Schneidewind anlässlich ihres Abschiedskonzerts als „sehr direkte Art“ umschrieb.

Insofern war es wohl die richtige Entscheidung von ihr, den Vertrag nicht zu verlängern und für sich selbst dadurch wieder mehr Freiheiten zu gewinnen, auch wenn ich mir aus künstlerischer Sicht noch ein paar erfolgreiche Jones-Jahre in Wuppertal hätte vorstellen können. Aber wie Erfolgsbeziehungen sehr trist auseinander gehen können, das hat man ja gerade zum Überdruss beim Fußball gesehen – dann doch lieber ein Abschied nach kurzen fünf Jahren mit einer brillanten „Traviata“.

Zumal sie den Boden bereitet hat für einen Nachfolger von erneut ganz anderer Art: Den sehr jungen, mit Vorschusslorbeeren überhäuften Patrick Hahn. Der muss sich sicher erstmal im zähen Alltagsgeschäft behaupten, aber Julia Jones übergibt ihm ein Wuppertaler Orchester in ausgezeichneter Verfassung.

Es waren fünf künstlerisch sehr erfolgreiche Jahre für Oper und Orchester, trotz der verflixten Corona-Seuche. Und weil im Wort „Publikumsliebling“ das so schwierige Wort „Liebe“ steckt, spricht man vielleicht besser von Respekt, den sie sich verdient hat durch ihre ungeheure fachliche Kompetenz und den klaren, unbedingten Willen zur Gestaltung.

Sie hat ein musikalisches Niveau garantiert, dass sich weit über die Stadtgrenzen hinaus hören lassen kann. Dafür möchte ich ganz persönlich sagen: Danke, verehrte Julia Jones, für packende Theater- und Konzertabende.

Und gleichzeitig freue ich mich auf Patrick Hahn. Wuppertal bleibt als Musikstadt spannend.

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