ESC-2015-Blog von Peter Bergener ESC: Sechzig Jahre und ...

Der Wuppertaler Peter Bergener berichtet für die Rundschau seit vielen Jahren über den Eurovision Song Contest - und natürlich auch 2015 vom musikalischen Wettbewerb, der diesmal in Wien stattfindet.

"Sechzig Jahre und kein bisschen weise, aus gehabtem Schaden nichts gelernt. Sechzig Jahre auf dem Weg zum Greise und doch sechzig Jahr' davon entfernt." So singt man es oft, wenn man den 60. Geburtstag feiert, aber ich möchte den Evergreen von Curd Jürgens ein bisschen abändern und singe: "Sechzig Jahre und doch so viel weiser, aus gehabtem Schaden viel (!) gelernt, mit sechzig Jahren auf keinem Abstellgleise und von Millionen weltweit umschwärmt."

Herzlichen Glückwunsch, lieber Eurovisionswettbewerb, es ist unglaublich, aber wahr, Du bist 60 Jahre jung. Und der Eurovision Song Contest ist moderner denn je. Der ESC bekommt Jahr für Jahr mehr Anhänger und wird von einem Millionen-Publikum auf der ganzen Welt gesehen und umschwärmt. Vergangenes Jahr sahen in der Tat 195 Millionen Menschen das TV-Spektakel, also somit der beste Beweis, dass der Eurovision Song Contest auf keinen Fall auf dem Weg zum Greise ist.

Dabei fing alles ganz unspektakulär an - und zwar 1956 mit lediglich sieben teilnehmenden Ländern. Dass das am 19. Oktober 1955 bei einer Generalversammlung der Eurovisionsmitglieder im römischen Palazzo Corsini entstandene TV-Projekt einen derartigen Erfolg oder sogar zu einer Kultsendung sowie zur ständigen Einrichtung im TV-Sendeablauf eines Jahres werden würde, damit hatte man nicht gerechnet.

Eigentlich sollte mit diesem damaligen geplanten TV-Projekt lediglich das Medium "Fernsehen" bekannt gemacht werden, denn in den Wohnzimmern hatte das Fernsehen nicht solch eine Bedeutung wie spätestens Mitte der sechziger Jahre (nur etwa vier Prozent aller Haushalte hatten 1956 ein Fernsehgerät). In den Fünfzigern da hörte man Radio, da ging man ins Theater, ins Kino oder in die Revue. Unvorstellbar dachte man damals noch, sich vor eine flimmernde Kiste zu setzen, um dort Nachrichten zu sehen, Spielfilme anzuschauen und Shows zu genießen. Heute wissen wir, welchen gigantischen Einzug das Fernsehen in unsere Wohnzimmer gemacht hat (ja, auch die Küche, Schlaf- und Kinderzimmer nicht zu vergessen!)

Am 24. Mai 1956 um 21 Uhr fand also der erste gesamteuropäische Musikwettbewerb unter dem Namen "Grand Prix Eurovision de la Chanson" im schweizerischen Lugano statt, an dem zwar nur sieben Länder teilnahmen. Er war aber schon damals von der EBU (European Broadcasting Union), dem Zusammenschluß aller staatlichen oder öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten, mit einem umfänglichen Regelwerk ausgestattet worden. So sollteder Beitrag sollte nur drei Minuten lang sein, und es musste live gesungen werden und mit Orchester. Da nur sieben Länder teilnahmen, durfte jedes Land zwei Beiträge stellen. Deutschland wurde damals von Freddy Quinn ("So geht das jede Nacht") und von Walter Andreas Schwarz ("Im Wartesaal zum großen Glück") vertreten.

Gewonnen hat 1956 die Schweiz mit Lys Assia und dem Chanson "Refrain". Lys Assia war zu der damaligen Zeit bereits im deutschsprachigen Raum vor allem mit ihrem Hit "O mein Papa" bekannt . Assia wurde 1924 in der Schweiz geboren und erfreut sich mit ihren 91 Jahren noch bester Gesundheit. Ich habe sie persönlich vor zwei Jahren in Malmö kennen gelernt, als die Eurovision in Malmö stattfand, und fand die "Grande Dame" außerordentlich sympatisch.

Natürlich hat sich im Laufe der Zeit auch viel im Wettbewerb verändert - z.B. der Name des TV-Spektakels. Aus "Grand Prix Eurovision de la Chanson" wurde 2001 der Eurovision Song Contest (ESC). Das Orchester existiert (leider) nicht mehr; jedes Land kann in der Sprache singen, in der es möchte, aber einiges ist geblieben, so z.B., dass das Lied nicht länger als drei Minuten sein darf; nicht mehr als sechs Personen dürfen auf die Bühne; das Lied oder der Auftritt darf keine politische Botschaft enthalten, es dürfen beim Auftritt keine Tiere mitwirken usw.

Das Regelwerk ist vielleicht nicht allen so bekannt, aber eines, das kennt jeder: Das ist die Vergabe der Punkte, immer legendär ist die Höchstpunktevergabe von zwölf Punkten (twelve points - douze points). Und natürlich hören wir am liebsten "Germany twelve points"!

Der ESC hatte seine Höhen und seine Tiefen. In den 1970er Jahren sprach jeder davon. Es war ein Muss, die Sendung anzuschauen. Ende der 1980er, Anfang der 1990er galt der ESC verstaubt und unmodern. Man war als Fan verpönt. Aber in der Zwischenzeit hat auch die Eurovision aus gehabtem Schaden viel gelernt. Der ESC hat den Staub entfernt. und spätestens nach Lenas Sieg im Jahr 2010 und einem hervorragend organisierten Eurovision Song Contest in Düsseldorf 2011 wurde die Eurovision der ganzen Welt noch näher gebracht. Ja, und dass der Staub auch aus dem letzten Winkel entfernt wurde, da ist eine dran schuld und die heißt Conchita Wurst.

Wie Phoenix aus der Asche kam sie 2014 hervor, sang einen Weltklasse-Song ("Rise like a phoenix") und dies mit einer derartigen Leidenschaft und einem Siegeswillen, dass nur Österreich an dem Abend siegen konnte. Conchita zeigte uns ganz stolz ihre Trophäe und sprach davon, dass nur eines gesiegt hat: die Toleranz! Bravo!

Und diese Toleranz werden wir feiern. Der 60. Wettbewerb im Jahr 2015 wird in Wien stattfinden und zwar am 23. Mai 2015. Falls der Sieger nach Mitternacht verkündet werden sollte, dann sind es so was von exakt und buchhalterisch genau 60 Jahre her.

Und apropos 1956: Es ist exakt vor 60 Jahren gewesen, dass "Sissi" mit Romy Schneider und Karl-Heinz Böhm der Film des Jahres 1956 war - und nun feiern wir sogar in Wien. 1956 heiratete Hollywoodstar Grace Kelly Fürst Rainier II. von Monaco, aber Monaco nimmt leider schon seit vielen Jahren nicht mehr teil.

Nun genug rückwärts gesehen. Jetzt geht es aufwärts. Wien wird uns zeigen, wie es weitergeht. Zwar macht Monaco 2015 nicht mit, aber dafür wird Australien zum ersten Mal, auf eine Einladung der EBU, offiziell am ESC teilnehmen. Dadurch werden Länder aus insgesamt vier Kontinenten (Europa, Afrika, Asien und Ozeanien) mindestens einmal an dem Wettbewerb teilgenommen haben.

Mittlerweile hat sich der Musikwettbewerb ESC zu einem Spektakel der Superlative entwickelt und die Zahl der Teilnehmernationen verfünffacht. Das sind ja die besten Aussichten für die Zukunft. Und gibt es eine Steigerung von Superlative, ja, das wäre exzessiv. Ach, ich wünsch mir nur eines: Bitte, lieber ESC, nie mehr staubig werden.

Viele musikalische Grüße!

Euer Euro-music-Peter

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema