Rundschau-EM-Kolumne des Wuppertaler ZDF-Reporters Martin Schneider (2) Ein Leben im TGV, den Ball im Kopf

Wuppertal · Eine Woche Frankreich, das sind für mich bislang: drei Zugfahrten in den legendären französischen Hochgeschwindigkeitszügen, ein Livespiel als Kommentator, zwei Kicks im Stadion als so genannter Observer, alle anderen Spiele am Fernsehen, viel Baguette und "en peu de vin rouge".

Gerade sitze ich auch wieder im TGV auf der Fahrt nach Lyon — und wer denkt, unsere ICEs in Deutschland seien überfüllt, unpünktlich oder manchmal unsauber, dem sei eine Reise in den schnellsten Zügen der Welt empfohlen. Wartezeiten, enges Gedrängel und einen morbiden Charme aus den 80ern, all das gibt es "all inclusive" im TGV.

Meine Tour de France begann in der Region Nord Pas de Calais und mit der Frage, welche Sprache denn hier oben im Norden gesprochen wird. Als ich dann eine Bierwerbung mit dem Begriff "Ch'tis" sah, fiel mir und meinem fußballüberfrachteten Hirn wieder ein, in welcher Gegend ich mich befinde: Willkommen bei den "Sch'tis"! Und tatsächlich, hier oben verwurschteln die Menschen ihre Sprache so dermaßen, dass man schon Flämisch-Französisch-Deutsch im Thermomix quirlen müsste, um es halbwegs zu verstehen.

Ganz so lustig wie im herrlichen Film von 2008 war es hier oben nicht, aber doch sehr amüsant. Nette Leute, entspannte Atmosphäre, fernab vom Kontrollirrsinn in Paris und den üblen Krawallen von Marseille. Die Kontrollen am Stadioneingang waren so lax, dass es einen nicht wundern kann, wie irgendwelche Sprengkörper ins Stade Bollaerts-Delelis gelangen.

Meinen kleinen Rollkoffer habe ich ungeöffnet bis zum Reporterplatz hinter mir her gezogen. Ganz anders in den Tagen danach in der Hauptstadt. Am Hotel warten Sicherheitskräfte und eine Schleuse, um Mensch und Gepäck zu durchleuchten. Aber mit der nötigen Portion Gelassenheit übersteht man diese nötige Prozedur.

Insgesamt aber hinterlassen die französischen Sicherheitskräfte einen überaus nervösen und gereizten Eindruck. Die Überforderung der vergangenen Monate seit den Anschlägen in Paris spricht aus ihren müden Gesichtern.

Sonntagabend habe ich mit meinem Assistenten erstmals die Kollegenschar in unserer ZDF-Zentrale in Paris getroffen. Viele waren erleichtert, dass die ersten Sendetage im virtuellen Studio so gut funktioniert haben und unser Konzept mit vielen, auch internationalen Gästen bei Olli Welke erstmal aufgegangen ist (ich hoffe, ihr Eindruck fällt ähnlich aus). Abends war Public Viewing zum deutschen Spiel angesagt.

Die Frage: nebenan in der Brasserie oder im Hotelzimmer von Bela Rethy? Natürlich entscheide ich mich für die zweite Variante. Unser Rotwein aus dem Supermarkt gegenüber war nicht besser als das deutsche Spiel. Aber was zählt, sind drei Punkte und kein Kater am nächsten Tag. Beides geschafft!

Ich melde mich übrigens erst nächste Woche wieder, da ich am Donnerstag und Freitag mit einem Doppelschlag, dem "Klassiker" Ukraine-Nordirland und mit Kroatien-Tschechien, dran bin.

À bientôt de Lyon,
Martin Schneider

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