Rundschau-EM-Kolumne des Wuppertaler ZDF-Reporters Martin Schneider (1) Der Ball rollt — und Pina tanzt

Wupperta / Paris · Seit rund einer Woche bin ich nun schon in Frankreich. Nein, nein, keine Sorge: Ich verschwende keinen Cent Ihrer Gebührengelder, sondern war zunächst noch sehr privat im Land der Europameisterschaft.

Und zwar in Nimes, im Süden.

Seit einigen Jahren reise ich mit meiner Frau von Zeit zu Zeit den besten Wuppertaler Botschaftern, die es gibt, hinterher. Dem Tanztheater Pina Bausch. Diesmal erschien das Timing optimal: Kurz vor Beginn der EM den Kopf, in dem sich schon Zahlen, Daten, Fakten und Biographien von Männern in kurzen Hosen angesammelt hatten, frei bekommen. Statt Analyse von Viererketten Eintauchen in die Grazie und Anmut von begnadeten Körpern in einem atemberaubenden Ambiente.

Vor einer Woche die Generalprobe, die — wie es sich gehört — noch nicht den eigenen, allerhöchsten Ansprüchen des Tanztheaters genügte, am Sonntag die Premiere vor 2.400 Besuchern in der antiken Freilichtarena von Nimes. Erst "Cafe Müller", nach einem aufwändigen Umbau inklusive des Anschüttens von sechs Containern Torf "Le sacre de printemps", das Frühlingsopfer.

Die zweite Inszenierung wurde von einem grandiosen Orchester aus Paris begleitet, das, dem Streik im ganzen Land trotzend, auf den letzten Drücker angereist war. Dort, wo sich früher Gladiatoren niedermetzelten und heute an einigen Tagen noch Stierkämpfe stattfinden, war das Publikum vom Tanztheater aus Wuppertal begeistert.

Wieder einmal war zu sehen, dass das Erbe der legendären Choreographin mit viel Sorgfalt bewahrt und auch nuancenreich weiterentwickelt wird. Auch zukünftig werden wir dem Tanztheater bei seinen Tourneen immer mal wieder hinterher reisen.

Für mich stellte sich in den Tagen danach und anderen touristischen Reizen in der Provence dann vor allem eine Frage: Wie legt man jetzt den Schalter um, von Urlaubsmodus auf Arbeitsrhythmus?

Aber wie so oft im Leben ergeben sich die Antworten manchmal wie von selbst. Dem Streik sei Dank. Durch die Warterei Mittwoch am Flughafen von Marseille und am TGV-Bahnhof in Paris habe ich mir den Laptop geschnappt und bin vergleichsweise unkompliziert in die Materie Fußball zurückgekehrt. Gute Vorbereitung hat ja auch immer etwas mit dem Beruhigen des Gewissens zu tun, für mich gilt das diesmal in besonderem Maße. Zum ersten Mal werde ich bei einem großen Fußballturnier nicht in der Rolle des Assistenten, sondern in der des Reporters sein. Kein Bela Rethy an meiner Seite, dem ich zuarbeite, sondern ein Kollege neben mir, der mich unterstützt, Szenen richtig zu beurteilen. Die Vorfreude ist riesig, die Nervosität noch in Grenzen.

Am Samstag um 15 Uhr wird es dann so weit sein. Schweiz gegen Albanien heißt mein erstes, nicht so klangvolles Spiel. Als Turnier-Rookie des ZDF (zwar in reifem Alter) kommentiere ich natürlich Begegnungen der zweiten Kategorie, was mir einerlei ist. In Arras habe ich mich mit meinem Kollegen einquartiert — in einem Städtchen, das vom Stadion in Lens eine halbe Stunde entfernt ist.

Moules & Frites statt Magret de Canard, 20 statt 30 Grad Celsius, ehemalige Kohleregion statt pittoresker Provence. Insgesamt ideale Arbeitsbedingungen, um all die Informationen zu Spielern, Stadien, Verbänden, Schiris oder neuen Regeln zu filtern. Denn darum geht's: Filtern und lockere Konzentration auf das Wesentliche. Die Vorbereitung eines Reporters könnte durch das Monster namens Internet nämlich niemals enden. Und deshalb bin ich froh, wenn gleich 15 Uhr ist und der Ball rollt bei Schweiz gegen Albanien, im Bruderkampf der Xhakas.

A bientot de Arras,
Martin Schneider

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort