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Rundschau-Thema "Mehr Wuppertal wagen!": Wuppertal, ein Ort für Utopien

Rundschau-Thema "Mehr Wuppertal wagen!" : Wuppertal, ein Ort für Utopien

Im geschichtsträchtigen Mirker Bahnhof ist mit dem Einzug von "Utopiastadt" vor fünf Jahren ein Kultur- und Kreativquartier entstanden, das bundesweit für Aufmerksamkeit sorgt. Ein Labor, in dem Utopien, visionäre Ideen und gesellschaftliche Grundüberlegungen realisiert werden.

Möglich gemacht hat das auch die Unterstützung der Sparkasse. Eine typische Verbindung, made in Wuppertal.

Die besten Geschichten in Wuppertal beginnen mit "Hömma...". Da ist Jürgen Harmke ganz sicher. Und so ähnlich wird es auch angefangen haben, das erste Gespräch über "Utopiastadt". Angeregt von Sven Macdonald von der Wirtschaftsförderung erfuhr der Pressesprecher der Sparkasse Wuppertal vor rund fünf Jahren zum ersten Mal von den großen Plänen der Initiatoren Christian Hampe und Beate Blaschczok. Sie waren auf der Suche nach einer Heimat für ihre Utopie, einem Ort für "Utopiastadt", und hatten den Mirker Bahnhof im Visier, ein historisches Gebäude im Besitz der Sparkasse.

Harmke war neugierig und legte das Projekt dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Peter Vaupel ans Herz. "Das höre ich mir mal an", soll der gesagt haben. Und was Blaschczok und Hampe da über ihre Idee erzählt haben, hat überzeugt. Der Mietvertrag wurde unterschrieben. "Und das", sagt Harmke zufrieden, "haben wir bis heute noch nicht einen Tag bereut."

 „Trassenleben“ hat Pascal-Francois Reinert diesen Blick auf „Utopiastadt“ genannt, mit dem er unter die zwölf Finalisten beim 1. Wuppertaler Fotopreis kam. Ein Bild, das auch die ganz spezielle Freizeit-Atmosphäre des Ortes perfekt einfängt.
„Trassenleben“ hat Pascal-Francois Reinert diesen Blick auf „Utopiastadt“ genannt, mit dem er unter die zwölf Finalisten beim 1. Wuppertaler Fotopreis kam. Ein Bild, das auch die ganz spezielle Freizeit-Atmosphäre des Ortes perfekt einfängt. Foto: Pascal-Francois Reinert
  • Die „Utopiastadt“ an der Nordbahntrasse.
    Verwaltung soll Auskunft geben : Freie Wähler: Sechs Fragen zur Utopiastadt
  • Marina Jenkner und Christoph Müller.
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  • Matthias Wanner, Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung, erhält
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Kein Wunder, ist "Utopiastadt" doch eine Wuppertaler Erfolgsgeschichte. Es gibt Preise und Loblieder und viele wichtige Menschen, die hier regelmäßig vorbeischauen, sich die Philosophie erklären lassen oder sich einfach gerne im Glanz des innovativen Ortes sonnen. 2015 als "Ort des Fortschritts" ausgezeichnet und soeben von der "Welt am Sonntag" zum Vorbild erkoren: "Als 'Labor für die Entwicklung von Stadt, Kultur, Wirtschaft und Politik' versteht sich die Utopiastadt, und sie funktioniert so gut, dass man jedem, der sagt, dass unsere wachstums- und renditeversessene Gesellschaft neue Utopien brauche, entgegnen möchte: Die Utopien sind doch längst da. Lasst uns einfach mehr Wuppertal wagen!" Das saß. Aber was ist denn nun eigentlich diese "Utopiastadt"?

Wenn Christian Hampe und David J. Becher ausholen, das zu erklären, braucht man Zeit. Eine schnelle Definition taugt da nicht. "Wir wollen den verschiedenen Akteuren der Stadt hier einen Platz bieten", sagt Hampe. Menschen und Themen sollen hier zusammentreffen, die sonst niemals auf Tuchfühlung gehen würden, eine Art informelles Wissensmanagement entstehen. Sie sollen einander mit ihren Ideen inspirieren, sich vernetzen, verstärken, Neues denken, Gemeinsames starten, das Quartier damit zum Besseren entwickeln. Ach was, die ganze Stadt!

Und so ist es auch. Seit dem Startschuss 2011 haben sich zahlreiche Projekte in "Utopiastadt" angesiedelt. "Opendatal", eine Guppe, die sich für die Nutzung öffentlicher Daten und die Visualisierung des Wuppertaler Haushalts einsetzt, trifft auf Urban Gardening, die "Mirka Schrauba" auf Foodsharing-Aktivisten und die "Freifunker". Manche beschäftigen sich mit erneuerbaren Energien, andere mit gesellschaftlichen Entwicklungen.

Dazwischen haben Künstler ihre Ateliers, Kreative ihren Arbeitsplatz. Im Café "Hutmacher" finden regelmäßig Lesungen und Konzerte statt, Besucher der Nordbahntrasse kehren hier ein. Aber auch die Universität, das Wuppertal Institut und die Bergische Gesellschaft nutzen das Wissen der "Utopisten" und treiben gemeinsam Projekte voran. Dazu gibt es Kooperationen mit den Initiativen des Quartiers wie der Alten Feuerwache, dem Förderverein "pro Mirke" und der Wohngruppe Malerstraße.

"Was wir hier tun", sagt Hampe, "hat etwas mit Aufklärung zu tun. Wir wollen zeigen, dass man Dinge nicht als gegeben hinnehmen muss. Man kann sie neu denken und verändern." Das funktioniere ganz praktisch in "Utopiastadt" und vor der Haustür. Aber auch in der Theorie, wenn aus diesen Erfahrungswerten Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Etwa "Was kann die Stadt tun, um das Leben für die Menschen besser zu machen?".

Dort, wo die Stadt also ihr kreatives, innovatives Potenzial nicht abruft, ist eine Lücke entstanden. Und in dieser Vernachlässigung liegen die Freiräume — man muss sie nur nutzen. "Ohne eigenen Einsatz gibt es keinen gesellschaftlichen Wandel", sagt David J. Becher. "Je mehr sich beteiligen, um so besser für Wuppertal." Man kann sagen, dass die "Utopisten" sich die Stadt zurück erobern. Sie machen sie sich zu eigen, gestalten sie.

Das hat auch die Jackstädt-Stiftung überzeugt. Mit 200.000 Euro fördert sie diese Utopie und sichert damit den notwendigen Eigenanteil, um die beantragten Fördergelder des Landes sowie auch der Stadt zu erhalten. Damit kann voraussichtlich schon 2016 mit der Sanierung des Bahnhofs begonnen werden. Doch Utopien brauchen Platz. Die Utopiastadt gGmbH bemüht sich daher, eine Fläche von 50.000 Quadratmetern rund um den Mirker Bahnhof zu erwerben, um die Idee eines "Utopiastadt-Campus" zu realisieren. Die Idee: Nicht nur einzelne Investoren sollen den Mehrwert einer guten Innenstadtlage abschöpfen, sondern auch die Bürgerschaft selbst, indem sie Gelder akquiriert, dort baut, vermietet und wirtschaftet. Die Fläche soll nach dem Bürgerwillen entwickelt werden. Die erwirtschafteten Gelder sollen anschließend zurück in den Stadtteil fließen, um den Menschen dort zu nutzen. Dazu haben die Macher jetzt eine Crowdfunding-Kampagne gestartet: "1m² Utopiastadt — Wir kaufen uns die Stadt zurück".

Für 100 Euro kann jeder einen Quadratmeter "Utopiastadt" finanzieren.
Das, was inzwischen konkrete Formen angenommen hat, klang vor fünf Jahren noch deutlich experimenteller. Warum die Sparkasse den Schritt dennoch gewagt hat? "Es lag in erster Linie an den handelnden Personen", sagt Jürgen Harmke. "Und an der Idee, dem Konzept sowie den zahlreichen Partnern."

Für ihn ist es kein Zufall, dass so ein innovatives Projekt in Wuppertal entstanden ist. Die Stadt sei ein guter Nährboden für solche Geschichten. Jürgen Harmke: "Das Mäzenatentum war hier immer schon offen für die Umsetzung verrückter Ideen. Wer sonst hätte eine Straßenbahn gebaut, die falsch herum aufgehängt wird?!"