40 Jahre Wuppertaler Rundschau Wie ich den OB erfand ...

Wuppertal · Haben Sie sich je gefragt, was dahinter steckt, wenn eine Partei Kandidaten für wichtige Ämter vorschlägt? Nun, ich darf verraten: Das ist manchmal ganz anders als man denkt ...

 Mit diesem Plakatmotiv — und einigen anderen — warb Andreas Mucke 2015 um Stimmen für seine Oberbürgermeister-Kandidatur.

Mit diesem Plakatmotiv — und einigen anderen — warb Andreas Mucke 2015 um Stimmen für seine Oberbürgermeister-Kandidatur.

Foto: Reina Seinsche

Viele weitreichende Entscheidungen beginnen mit einer einzigen Frage. Diese hier stellte mir ein befreundeter Journalist (nicht von der Rundschau) bei einem Abendessen im Sommer 2014: Wen stellt denn wohl eigentlich die SPD zur Oberbürgermeisterwahl als Gegenkandidaten zu Peter Jung auf?

Während ich noch ahnungslos in meinem Teller Spaghetti herumstocherte, präsentierte mir der Kollege auch schon seine Theorie. Sie war kurz und trug den Namen Andreas Mucke. Unter uns: Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Idee, wer das war, und schaute entsprechend sparsam. "Find' das doch mal raus", forderte er mich amüsiert auf. "Is' gut", versprach ich mit eher bescheidenem Interesse — und ahnungslos, was das für Folgen haben könnte.

Tage später in der Mittagspause fiel mir das Gespräch wieder ein. "Du Stefan", fragte ich den Kollegen Seitz, "weißt du vielleicht, wen die SPD als OB-Kandidaten aufstellt?" Antwort: "Nee, keine Ahnung, noch nichts gehört." "Vielleicht Andreas Mucke?", legte ich nach. "Mucke? Wie kommst du denn darauf?" Nun schaltete sich auch Hendrik Walder ein: "Hast du da was gehört? Wer sagt denn das?" Ich versuchte zu beschwichtigen: "Nein, nein, niemand sagt das. Es war mehr so eine Überlegung." Und ehe ich mich versah, gab es eine leidenschaftliche Diskussion am Tisch.

"Nie im Leben!" "Aber ja, das wäre doch total passend." "Spielt der nicht gerade in ,Ziemlich beste Freunde' im TiC?" "Ist der eigentlich noch im Rat?" "Der sitzt doch jetzt im Quartierentwicklungsbüro." Was nach vielen Fakten klingt, bedeutete am Ende nur: Wir haben auch keine Ahnung. "Frag ihn doch mal", grinste mein Chef mich an. Und ich, damals gerade mal ein Jahr im Rundschau-Team, tat ganz souverän: "Okeh ..."

Wie fragt man jemanden sowas, den man gar nicht kennt? Ich konnte ihn doch nicht einfach anrufen — das würde er mir gegenüber doch nie verraten. Klar, ich schreibe einen Artikel über ihn! Also, Nummer gesucht, angerufen, um einen Termin gebeten. Doch am anderen Ende der Leitung gab sich der ominöse Herr Mucke skeptisch. "Ein Porträt über mich? Warum denn gerade jetzt?" Tja, warum? "Ehm, das ist weil … also, Sie machen ja so viel.

Also Theater und Politik und diese Quartierssache", haspelte ich hektisch. Und hatte mit dem Theater wohl zum Glück den richtigen Schalter gefunden. Ob ich denn "Ziemlich beste Freunde" schon gesehen hätte. "Nein, noch nicht. Aber erzählen Sie mir doch am besten bei einem Kaffee davon." Mucke willigte ein und wir verabredeten uns für einen Dienstagnachmittag.

 Rundschau-Redakteurin Nicole Bolz.

Rundschau-Redakteurin Nicole Bolz.

Foto: Bettina Osswald

Ich hatte mir das alles gut überlegt: Ich fange ganz vorsichtig an. Smalltalk. Dann vielleicht was zur Schauspielerei, das schien er ja zu mögen. Und dann ganz langsam weiter vortasten. Wird schon!

Dann war er da. Freundlich sah er aus, aber auch ziemlich hektisch, gestresst. Ich setzte mein strahlendstes Sonntagslächeln auf. "Hallo, Herr Mucke!" Er taxierte mich kurz, dann wanderte sein Blick weiter, schien gleichzeitig hier und dort und ganz woanders. Das könnte anstrengend werden ...

Wir redeten. Also ich fragte, er antwortete. Ausführlich. Sehr ausführlich. Und ich ließ ihn reden. Über Wuppertal, die Vorzüge der Stadt, was es noch zu tun gibt, wo Potenzial liegt. Über die SPD, den Rat, über die Schauspielerei. Und nach zweieinhalb Stunden schließlich befand ich, dass die Zeit für diese eine Frage nun gekommen sei. "Und", versuchte ich es möglichst allgemein, "gibt es da noch Rollen, die Sie unbedingt mal spielen möchten?" Irritation bei meinem Gegenüber. "Sie meinen auf der Bühne?" Ich nickte. "Ja, so ganz grundsätzlich. Auf der Bühne, im Leben, in der Politik ...?" Muckes Blick blieb fragend. Ich: "Also, die des Oberbürgermeisters zum Beispiel."

Dabei schaute ich so unbefangen wie möglich und sah ihn arglos an. Doch Muckes Gesicht schien wie eingefroren. Ich wartete, er schwieg. Und schwieg. Und schwieg. Und schaute. So also, dachte ich bei mir, fühlen sich diese endlos langen Sekunden an. Ich bedauerte (und bedauere dies bis heute!), dass dies kein Fernseh-Interview und hinter mir keine Kamera war, die dies einfangen konnte.

Dann zuckte es leicht um seine Mundwinkel. "Was soll ich denn darauf jetzt antworten? Egal, was ich jetzt sage, Sie werden es doch eh so drehen." Ich lachte. "Ja natürlich, das ist ja das Schöne." Schließlich antwortete er — ganz Politiker — so diplomatisch neutral, dass ich dem rein gar nichts entnehmen konnte.

Der Artikel erschien ein paar Wochen später und Andreas Mucke machte am Telefon mit mir Scherze, dass er überall und von jedem auf seine OB-Pläne angesprochen würde. Dann wurde es still um das Thema. Sollte es das jetzt gewesen sein? Ein paar Monate später, wir gingen auf das Ende des Jahres 2014 zu, lud die SPD zum Pressegespräch ein. Thema: Wir stellen unseren OB-Kandidaten vor. Ich konnte damals leider nicht teilnehmen. Aber mein Kollege Stefan Seitz war dort und schickte mir aus dem Termin heraus eine SMS. "Mucke" stand da nur. Der Rest ist allgemein bekannt.

Sehr viel später, als ich mit Mucke, längst Oberbürgermeister, über unsere denkwürdige erste Begegnung sprach, gestand er, dass er damals über eine solche Kandidatur noch gar nicht nachgedacht habe. Erst mein Artikel hatte ihn und seine Partei überhaupt auf die Fährte gebracht …

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