Alfred Hübner: „Die Leben des Paul Zech“, Rundschau-Buchbesprechung Eine gigantische Anklageschrift

 Betr.: Alfred Hübner: „Die Leben des Paul Zech. Eine Biographie“, Buchbesprechung in der Rundschau-Ausgabe zu Weihnachten 2021

Was für eine ungeheure Fleißarbeit! Welch hartnäckige Suche nach jedem Detail im umstrittenen Leben eines Schriftstellers, dessen Werk heute zum dritten Mal vergessen und verdrängt wird. Der Literaturwissenschaftler Alfred Hübner hat soeben eine gewaltige Biografie über Paul Zech veröffentlicht – fast 1.000 Seiten dick und mehrere Kilo schwer. Schon seit 1975 liegt seine Arbeit über den Dramatiker Zech vor, und bis jetzt – bald 50 Jahre lang – war Hübner diesem Autor biografisch auf der Spur. Oder sollte man sagen: Auf den Fersen?

 Über weite Strecken ist das Buch eine Kriminalgeschichte, welche anrüchige Details und echte Delikte im Leben Paul Zechs akribisch nachweist. Mit unzähligen Quellen, Briefen, Presseartikeln und amtlichen Dokumenten belegt „Kommissar“ Hübner Plagiatsvorwürfe und viele andere „dunkle Stellen“, welche Paul Zechs Ruf schon zu Lebzeiten überschatteten.

Zutreffend hebt das Buch bis in seinen Titel darauf ab, dass Paul Zech viele „Leben“ hatte: Neben seinem Leben als äußerst produktiver Schriftsteller und neben seinen sehr unterschiedlichen Wegen, sich und seine Familie über Wasser zu halten, gibt es von kaum einem anderen Autor so viele autobiografische „fake news“, geschönte und verfälschende „Auskünfte“ über sich selbst.

Diese nun entlarvt zu sehen, ist psychologisch oder kriminologisch von Interesse. Dem Schriftsteller Paul Zech kommt man damit nicht näher. Die Biografie überführt Zech als Dieb geistigen und materiellen Eigentums, als Lügner, Betrüger, Ehebrecher und heftig austeilenden Streithammel. Sie erledigt in ihm viele Niederungen des Menschen. Aber Hübner fragt kaum nach dem Dichter Paul Zech. Und damit erledigt er unausgesprochen auch sein Werk: Ein Poet verschwindet zwischen den Zeilen einer gigantischen Anklageschrift.

 Hübner liefert Nachweise für Plagiate in Paul Zechs Texten. Das ist gut und schafft Klarheit.

Aber er müsste gegenüber dem Geklauten doch auch die Qualität von Zechs eigenen Versen würdigen. Dass solche künstlerische Anerkennung in Hübners Buch fehlt, ist besonders schlimm in einer Zeit, in der es immer weniger Chancen gibt, Texte von Paul Zech zu lesen. Wer kennt heute noch die meisterhaften Verse des Dichters der Balladen „...von einem Feuersalamander“ oder „...von einem gemeinen Faultier“? Wer kennt die Kraft seiner Prosa – etwa in „Der Schwarze Baal“, „Wuppertal“ oder „Die Grüne Flöte vom Rio Beni“? Wer kennt Paul Zechs Romane „Deutschland, dein Tänzer ist der Tod“ oder „Die Kinder vom Parana“? Dass Zech als „Übersetzer“ französischer Dichter wie Francois Villon oft eher ein kreativer deutscher Nachdichter war, kann man als Übergriff ablehnen oder staunend als große Poesie lieben.

Schon Karl Kraus schrieb dazu: „Was immer gegen Paul Zech vorgebracht werden mag, so liegt die Sache offenbar, [...] dass von der Gestaltungskraft, die hier noch in der Aneignung gewaltet hat, sich die ganze deutsche Literatur bedienen könnte. Es ist unumwunden zu sagen, dass [Zech] das seltenste vorstellt, was es heute geben kann: einen Lyriker.“

 Bei anderen Autor*innen wurde durch wissenschaftliche Forschung nicht selten der „Weizen“ authentischer Kunst gerettet, nachdem man diese von der „Spreu“ zweifelhafter Produkte oder Plagiate trennen konnte. So tat es etwa Armin T. Wegners Lichtbildvortrag zur „Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste“ sehr gut, dass Professor Andreas Meier dort einzelne falsche Bildlegenden ermittelte. Das stärkte die Wahrnehmung der richtigen Bilder des Augenzeugen, Fotografen und Dichters um so mehr.

Aber nach Hübners ausführlicher Verurteilung im „Fall Zech“ bleibt man ratlos mit der Frage zurück: Was war denn „richtig“ bei Paul Zech? Und was bleibt von ihm als Dichter? So groß und so belegt diese Biografie auch ist: Sie „macht die (Ab-)Rechnung ohne den Wirt“. Denn auch Paul Zechs Werk wäre disparat zu beschreiben und zu beurteilen. Aber solche kritische Würdigung des Dichters findet sich in Hübners Buch kaum.

 In einer Zeit, in der fast nichts mehr von Paul Zech im Buchhandel greifbar ist, setzt Hübner seine eigene Kenntnis der Texte dieses Dichters einfach voraus. Sein Buch tut nichts, um dem Verschwinden von Zechs Texten entgegenzuwirken: Man findet dort kein einziges vollständiges Gedicht dieses starken Poeten. Und die vielen zitierten Bruchstücke aus seinem Werk versickern in Fußnoten, welche auf Bücher verweisen, die es bestenfalls noch antiquarisch gibt.

Auch das monströse Titelbild des Buches – ein raubtierhaftes Porträt des mit Zech befreundeten Künstlers Jakob Steinhardt – verrät uns heute bestenfalls die Treue einer Hassliebe zu Paul Zech: Ein Beitrag, Leser*innen für den Dichter zu gewinnen, ist auch das Buchcover nicht.

Ulrich Klan, Vorsitzender der internationalen Armin T. Wegner-Gesellschaft e.V.

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