Wuppertaler Schauspiel: „Der Fiskus“ Cum-Ex und der Gospel-Chor

Wuppertal · Um den Tod und um die Steuern kommt man ja bekanntlich nicht herum. Gestorben wird nicht in „Der Fiskus“, einer (gar nicht so absurden) Groteske, mit der das Wuppertaler Schauspiel zeitgenössisches Theater auf die Bühne am Engelsgarten holt. Gerechnet, getanzt, gesungen, geheiratet, getrickst und gegiftet wird allerdings umso mehr. Und zwar in atemberaubendem Tempo.

 Sieht's so im Finanzamt aus? Julia Wolff als Bea Mtinnen und Martin Petschan als Reiner Lös sind zwei aus dem fünfköpfigen Ensemble der Inszenierung  von "Der Fiskus" im Theater am Engelsgarten.

Sieht's so im Finanzamt aus? Julia Wolff als Bea Mtinnen und Martin Petschan als Reiner Lös sind zwei aus dem fünfköpfigen Ensemble der Inszenierung  von "Der Fiskus" im Theater am Engelsgarten.

Foto: Uwe Schinkel

Geschrieben hat „Der Fiskus“ die 1970 geborene Felicia Zeller, deren Onkel Vorsteher in einem schwäbischen Finanzamt war – und seiner Nichte offenbar tiefe Einblicke in diese Beamtenwelt geliefert hat. Die Wuppertaler Inszenierung von Schirin Khodadadian versammelt vier Damen und einen Herrn auf einer von Plastikplanen, Computern und bürotypischen Pflanzen bevölkerten guckkastenartigen (Dreh-)Bühne (Philipp Nicolai), auf der es im wahrsten Wortsinn ganz schön rund geht.

Die altgediente Beamtin Bea Mtinnen (Julia Wolff), bekommt als neue Abteilungsleiterin die zehn Jahre jüngere Nele Neuer (Julia Meier) vor die Nase gesetzt. Das Kollegenehepaar Elfi Nanzen (in der hier besprochenen Aufführung Maditha Dolle) und Reiner Lös (Martin Petschan) erwartet Nachwuchs – und Betriebsprüferin Fatma Tabak, Spitznamen-Schlachtruf „Watma, hier kommt Fatma“ (Silvia Munzón López), findet immer irgendwo ein Haar in der Suppe. Vor allem, wenn sie Gastronomiebetriebe prüft.

So weit, so büroalltagstechnisch (nicht nur in Finanzämtern) normal. Die Wuppertaler Schauspiel-Fiskusse aber haben schon noch ein paar Eigenheiten. Bea Mtinnen beispielsweise ist einem millionenschweren Cum-Ex-Betrug auf der Spur: Der wird ihrer neuen Chefin, die es lieber unkompliziert, aber fallzahlen-erfolgreich hat, zu heiß – und sie versetzt Bea Mtinnen in den fensterlosen Keller. Als die Cum-Ex-Sache sich jedoch als echt und fürs Amt werbewirksam-erfolgreich entpuppt, heftet Nele Neuer sich selbst das Ganze an die Brust. Und hofft auf den Sprung Richtung Amtsleiterinnenposten.

Reiner Lös, der den amtseigenen Gospel-Chor leitet, liefert zusammen mit seiner Gattin Elfi Nanzen so erstaunliche Tipps fürs (nicht nur eheliche) Steuersparen, dass man als Zuschauer gerne Block und Stift dabei gehabt hätte, um sich das eine oder andere zu notieren. Apropos Ehe: Ob Herr Lös mit seiner neuen Chefin Neuer beim privaten Treff im – natürlich von Fatma Tabak geprüften – Restaurant „Nassauer“ nicht doch zu weit gegangen ist, bleibt ungeklärt. Ein Foto der beiden gibt es aber: Viele Kollegen haben es bereits als Bildschirmschoner – und auf dem Social-Media-Kanal Insta-Amt kursiert es auch munter. Scheiden lassen will sich Elfi Nanzen zwar deshalb schon, aber dann doch nicht, denn man verlöre ja die gemeinsame Steuerklasse 3 ...

Wie man sieht: „Der Fiskus“ ist absurd, grotesk – und doch nicht nur. Das gesamte Ensemble ist über die Gesamtdistanz von 95 Minuten hochpräsent, komödiantisch stark (großer Sonderapplaus für Martin Petschan!), teilweise fast akrobatisch unterwegs, bestens aufgelegt, gesanglich richtig gut (Riesensonderapplaus für Julia Meier!) – und hält trotzdem immer einmal wieder den Atem an.

Die Perfiditäten der Finanzwelt (“Der Fiskus“ erklärt Cum-Ex tatsächlich verständlich), die Feigheit und Karriereorientiertheit von Abteilungs-Chefs, das von oben angeordnete „Durchwinken“ von Steuererklärungen, um als Amt erfolgreicher dazustehen, oder auch die Frage, warum eigentlich Kapitalerträge viel niedriger besteuert werden als das normale Arbeitseinkommen normaler Angestellter: Da wird dieses Stück, das voller Lacher (beispielsweise über Lehrer und ihre Steuererklärungen) steckt, sehr ernst. Auch dann, wenn vom Brandanschlagsversuch eines „unbelehrbaren“ Steuerpflichtigen erzählt wird, ist das Ganze keine Komödie mehr.

Autorin Felicia Zeller nennt sich selbst eine „Wirtschaftsdramatikerin“. Ein Wirtschaftsdrama ist ihr „Fiskus“ definitiv. Und zwar ein saftiges, das gleichzeitig viel Hintergrund transportiert. In Wuppertal präsentiert von einem sehr guten, geschlossen agierenden und in allen Schauspiel-Facetten schillernden Ensemble.

Apropos „Perfiditäten der Finanzwelt“: Für die in den Keller verbannte Cum-Ex-Enttarnerin Bea Mtinnen wird am Ende doch noch alles gut. Aus der Schweiz bekommt sie ein Gratis-Anreiseticket. Dort ist man sehr interessiert an ihrem Wissen und ihrer Erfahrung ...

Nächste Aufführungen im Theater am Engelsgarten am 30. Oktober 2021, 13. und 14. November 2021 sowie am 11. Dezember 2021. Alle Informationen auf www.wuppertaler-buehnen.de.

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