Prozess in Wuppertal Angeklagte Mutter kämpft gegen Einweisung in Psychiatrie

Wuppertal · Wuppertal Im Prozess um die Messerattacke in den Räumen des Bezirkssozialdienstes am Uellendahl stand am Montag (18. November 2019) der fünfte Verhandlungstag an.

 Die Angeklagte mit ihrem Anwalt beim Prozessauftakt.

Die Angeklagte mit ihrem Anwalt beim Prozessauftakt.

Foto: Mikko Schümmelfeder

Februar 2019, Bezirkssozialdienst Uellendahl (BSD): Eine Frau sitzt in einem Streifenwagen, sie ist auf dem Weg ins Polizeigewahrsam. Eine Beamtin sitzt neben ihr, sie wird sich später an Tränen der Verzweiflung erinnern – und daran, dass die Frau habe sterben wollen. Kurz zuvor war die Lage in einem Büro des Bezirkssozialdienstes eskaliert: Die 47-Jährige hatte ihren Ex-Mann und eine Sozialpädagogin mit einem Messer schwer verletzt und damit auch vor den herbeigeeilten Polizeibeamten herumfuchtelt. Die konnten die Lage im letzten Moment unter Kontrolle bringen, einer der Beamten hatte im Zeugenstand ausgesagt: „Es war Glück für die Frau, dass sie nicht erschossen wurde.“

Juli 2014, irgendwo in Wuppertal: Ein Kind soll in Obhut genommen werden. Zwei Sozialpädagoginnen des BSD und zwei Mitarbeiter des Ordnungsamtes klingeln an der Wohnungstüre. Die Mutter ist ahnungslos und scheitert mit dem Versuch, den unerwarteten Besuchern den Zutritt zur Wohnung zu verwehren. Sie schreit, weint und wehrt sich heftig gegen die erzwungene Trennung von ihrem Kind. Die Fünfjährige soll alles mitangesehen haben – sie saß mittlerweile in einem Auto der "Kindernotaufnahme". Das wiederum konnte nicht sofort wegfahren, weil der alarmierte Notarzt den Wagen zugeparkt hatte. Längst auch vor Ort: mehrere Polizeibeamte und der sozialpsychiatrische Dienst. „Eine Einweisung der Mutter in die Psychiatrie nach PsychKG erfolgte damals nicht“, erinnerte sich die Sozialpädagogin des BSD, die zuvor die Inobhutnahme des Mädchens angeordnet hatte.

Der Grund für den Kindesentzug: Ein Gutachten soll das Kindeswohl in Gefahr gesehen haben. Die Mutter habe auf Kontaktversuche des Jugendamtes nicht reagiert und das Kind abgeschottet. Gegen den Kindsvater liefen Klagen wegen Kindesmissbrauchs, zum Zeitpunkt der Inobhutnahme des Mädchens war ihm das Sorgerecht entzogen worden. Warum das so war? Daran konnte sich die Sozialpädagogin, die damals die Unterbringung des Mädchens in einer therapeutischen Wohngruppe veranlasst hatte, nicht erinnern. Wie die Kindeswohlgefährdung durch die Mutter begründet worden war in dem Gutachten, das ihr als Entscheidungsgrundlage gedient hatte? Auch das konnte die Zeugin dem Gericht nicht sagen.

Über allem habe jedoch die Annahme geschwebt, dass die Mutter selbstmordgefährdet gewesen sei und man einen erweiterten Suizid habe befürchten müssen. Der Notarzt, der die Frau inmitten der Inobhutnahme ihres Kindes in einer Ausnahmesituation erlebt hatte, scheint hingegen weder eine Selbstgefährdung noch eine Fremdgefährdung gesehen zu haben – andernfalls hätte er die 47-Jährige wohl in die geschlossene Psychiatrie einweisen müssen.

Zwischen der Messerattacke der 47-Jährigen beim Bezirkssozialdienst und der Inobhutnahme des Kindes liegen beinahe fünf Jahre, und die Kammer wird sich unter anderem mit der Frage befassen müssen, was seither geschehen ist und was eine Frau dazu getrieben haben mag, mit Messern und Reizgas bewaffnet zum „Bilanzgespräch“ zu kommen. Mittlerweile lebt das Mädchen beim Vater, Begegnungen mit der Mutter hatten seit der Inobhutnahme nur unter Aufsicht einer Umgangsbegleiterin stattgefunden. Mehrere Zeugen wollen beobachtet haben, dass die Angeklagte vor der Tat zunehmend resigniert und verzweifelt gewirkt habe. Seit zwei Jahren soll es auch keine Gespräche mehr beim Jugendamt gegeben haben, in dem man sich über eine andere Umgangsregelung hätte verständigen können. „Es gibt keinen Fall, bei dem der begleitete Umgang über eine solch lange Zeit nicht gelockert wurde“, hatte die Umgangsbegleiterin vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) an einem der vergangenen Verhandlungstage ausgesagt.

Die wegen versuchten Totschlags angeklagte Mutter der mittlerweile Zehnjährigen wehrt sich nun in einem Sicherungsverfahren gegen die dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie. Zu den Tatvorwürfen hat sich die Angeklagte bislang nicht geäußert. Über die Ehe mit dem Kindsvater weiß man, dass es bald nach der Geburt der Tochter erste Differenzen gegeben haben soll. Die 47-Jährige zog mit dem Kind aus und zeigte den Ex-Mann wegen Pädophilie an. Der wiederum habe davon gewusst, dass seine Frau wegen jahrelangen sexuellen Missbrauchs in der eigenen Kindheit an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leide. Beim Gang zum Sozialgericht und der Beantragung einer Opferrente hatte er sie noch unterstützt – später soll er die Pfändung ebenjener Rente gegen seine Ex-Frau juristisch vorangetrieben haben. Die wiederum soll die damit befasste Sachbearbeiterin mit verzweifelten und wütenden Anrufen überhäuft haben.

Davon hatte auch die Mitarbeiterin des BSD berichtet, die im Juli 2014 die Inobhutnahme der Tochter veranlasst hatte. Weinend und unterstützt von einem Anwalt hat die Sozialpädagogin am mittlerweile 5. Verhandlungstag als Zeugin ausgesagt und von den Angstzuständen berichtet, die sie seither quälen würden. Die Angeklagte, deren Schwester und deren Mutter sollen sie über Jahre hinweg in der Stadt und in Cafés gestalkt und bedroht haben. Mehrmals habe sie die Polizei rufen müssen, um sich gegen Beleidigungen in der Öffentlichkeit und auch gegen deren bedrängendes Auftreten im Büro zur Wehr zu setzen. Sie fühle sich noch immer verfolgt und schaue sich ständig um – ihren Job beim Bezirkssozialdienst habe sie mittlerweile gekündigt.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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