Sie durften endlich einreisen

Die Chancen waren minimal. Dennoch gelang nach wochenlangen Bemühungen die Rettung von vier teils schwerstkranken Geschwistern und ihrer Mutter aus dem syrischen Kriegsgebiet.

Während Sidra (8) voller Lebensfreude durch das Wohnzimmer läuft, sitzen Delil (26) und Zeinab (13) still in der Wohnung ihres Onkels. Noch können sie es nicht wirklich fassen, in Deutschland, in Wuppertal, und damit in Sicherheit zu sein. Die Schatten der Vergangenheit werden sie, ebenso wie die behinderte Schwester Amina (20) und Mutter Atifa (44), wohl noch länger begleiten bei ihrem neuen Leben in Wuppertal — mit dem sie nicht mehr gerechnet hatten.

Rückblick: Der in Wuppertal lebende Abduselam Ay und seine Ehefrau Sylvia erfahren Anfang 2014, dass aufgrund der katastrophalen medizinischen Versorgung im krisengeschüttelten Syrien die an der Blutkrankheit Thalassämie leidenden Kinder seines Bruders nicht mehr ausreichend versorgt werden können. Zu diesem Zeitpunkt ist Frida, die älteste der Geschwister bereits in Folge der Unterversorgung gestorben. Ay setzt alle Hebel in Bewegung, um die Kinder zu retten. Doch die Wuppertaler Ausländerbehörde lehnt im September eine Einreise ab, ebenso das Innenministerium (die Rundschau berichtete). In dieser scheinbar ausweglosen Situation schaltet sich Helge Lindh, Vorsitzender des Wuppertaler Integrationsrates ein.

Lindh nutzte seine Kontakte zur oberen Ebene des Innenministeriums, fand in der Düsseldorfer Uni-Klinik auf Thalassämie spezialisierte Fachärzte, die spontan zusagen, die Kinder zu behandeln.

Lindh besorgte sich außerdem aus Syrien Unterlagen, die klar belegen, dass die Kinder in Lebensgefahr schweben — und fand schließlich Mitstreiter bei internationalen Menschenrechtsorganisationen. Dank seines Einsatzes griffen viele Räder ineinander — mit dem Ergebnis, dass zwei Wochen später das Bundesministerium der Einreise zustimmte. "Gehofft haben wir, aber geglaubt, dass wir nach Deutschland dürfen, das haben wir nicht mehr", sagt Zeinab und berichtet davon, wie sie mitansehen musste, wie Menschen getötet wurden, wie das Leben in Deri-Alzoor, einer Kleinstadt unweit der türkischen Grenze, eigentlich nur noch ein Dahinvegetieren war — in Angst vor dem Tod.

Ob durch Kugeln, Bomben oder weil die lebenswichtige Medizin schon lange fehlt: Das spielte da keine Rolle mehr...

Mit der Mutter — der Vater will in Syrien bleiben — machten sich die Geschwister auf den Weg. Um dem Terror des IS zu entgehen, liefen sie zu Fuß über irakisches Gebiet zur türkischen Grenze.

Von dort ging es mit dem Auto nach Ankara und weiter mit dem Flugzeug nach Düsseldorf, wo sie am Freitagnachmittag, am 5. Dezember, eintrafen. Gezeichnet von den Strapazen der Reise, mehr noch von den Folgen der Krankheit.

Besonders getroffen hat es Amina, die umgehend, begleitet von der Mutter, ins Krankenhaus kam. Aber auch Delil, dessen Wachstum durch die Thalassämie blockiert wurde, ist körperlich fast am Ende. Zwischenzeitlich sind alle Kinder in Behandlung, Mutter und Amina noch im Krankenhaus.

Auch wenn es ihnen schon viel besser geht als bei der Ankunft, wird es dauern, bis der Wunsch in Erfüllung geht, den Sidra, Delil und Zeinab für sich, ihre Schwester und die Mama haben: "Wir möchten gesund werden und sorgenfrei leben können."

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