Jugendreferentin Bettina Hermes Selbstbestimmung stärken, Achtsamkeit schulen

Wuppertal · Wo beginnen sexuelle Grenzverletzungen, wie erkenne ich sie und gehe damit um? Jugendreferentin Bettina Hermes bietet 2023 wieder Präventionsschulungen im Ev. Kirchenkreis Wuppertal an.

 Jugendreferentin Bettina Hermes.

Jugendreferentin Bettina Hermes.

Foto: Kirchenkreis

Schulungen gehören seit 2021 zum Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt des Kirchenkreises. Wie werden sie angenommen?

Hermes: „Wir schulen hier im Kirchenkreis mit vier Mitarbeitenden nach dem Konzept der EKD „hinschauen – helfen - handeln“ und sind damit sehr gut aufgestellt. Zum Schulungsteam gehören neben mir noch die Diakonin Antje Tolksdorf, der Gemeindepädagoge Daniel Lünenschloß und Pfarrerin Waltraud Hummerich. Ich erlebe sowohl bei Erwachsenen wie Jugendlichen eine große Bereitschaft, sich auf die bis zu achtstündigen Workshops einzulassen und viel Offenheit. Übrigens schulen wir nicht erst, seit das rheinische Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt 2021 dazu verpflichtet. Im Jugendbereich haben wir schon vor fünf Jahren damit begonnen.“

Sehen die Schulungen für Jugendliche anders aus?

Hermes: „Die Grundthemen sind gleich, aber für Jugendliche müssen sie anschaulicher und interaktiver gestaltet werden. Es gibt mehr Übungen, über die wir ins Gespräch kommen und mehr Pausen.

Uns ist auch wichtig, dass die Schulungen zu diesem schwierigen Thema nicht traurig und schwer werden und von Vorwürfen und einer Fehlersuche bestimmt werden, die Jugendliche verunsichern und abwerten. Wir möchten den Blick für sexuelle Selbstbestimmung, eigene Bedürfnisse und Grenzen schärfen. Der Workshop soll ein lebendiges Miteinander schaffen. Bisher ist das immer gelungen.“

Mit welchen Erwartungen kommen Jugendliche in die Schulung?

Hermes: „Die Frage, wie sie sexuellen Missbrauch erkennen können, wird immer gestellt. Viele haben die Erwartung, dass ich darüber referiere und sind dann erstaunt, dass es zunächst um sie selbst geht, um ihr Verhältnis zu Nähe und Distanz. Denn es ist individuell verschieden, welchen Abstand zu anderen Menschen wir im Gespräch brauchen, ob und wie wir umarmt und angefasst werden möchten.

Jugendliche kennen ihre eigenen Grenzen häufig noch nicht oder neigen dazu, sie zu ignorieren, weil sie zu einer Gruppe gehören wollen. Wenn sich zum Beispiel alle zur Begrüßung umarmen, ist schwer dabei nicht mitzumachen. Die eigenen Grenzen und die des Gegenübers zu achten, ist ein entscheidendes Thema der Schulung.“

Es geht also auch ums Neinsagen.

Hermes: Und um eine klare Haltung, damit ich Nein sagen kann. Dazu muss ich mir erstmal bewusst werden, was ich mag und was nicht. Das zu kommunizieren, erfordert Mut. Ebenso danach zu fragen und zu erspüren, was mein Gegenüber möchte. Oft gibt es in den Schulungen den Punkt, an dem alle verunsichert sind und fragen, ob sie denn überhaupt noch jemanden in den Arm nehmen dürfen.

Aber es ist falsch, aus Angst vor sexueller Grenzverletzung jegliche körperliche Nähe zu unterlassen. Was Distanz bedeutet, haben viele Jugendliche ja gerade erst im Kontaktverbot der Corona-Zeit schmerzlich erlebt. Es gilt immer, ein gesundes Maß zu finden, aufmerksam und sensibel für sich und andere zu sein – und auch auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen.“

Welche Rolle spielt das Bauchgefühl, wenn es um Missbrauch geht?

Hermes: „Sehr lange ist es nicht ernstgenommen worden. Aber ich glaube, dass wir in der Regel ein gutes Gespür dafür haben, ob grenzverletzendes Verhalten geschieht. Doch wenn es eine vertraute, sympathische Person ist, tun wir uns mit diesem grummeligen Bauchgefühl schwer und die Angst ist groß, jemanden zu Unrecht zu beschuldigen.

In der Schulung sprechen wir daher auch über Täterstrategien und schauen uns Statistiken und Fallbeispiele an. Ganz wichtig ist es, nicht verschämt mit diesem Thema umzugehen, sondern sprachfähig zu werden. Und dazu gehört auch, ein komisches Bauchgefühl nicht zu ignorieren, sondern es anzusprechen.“

An wen können sich Jugendliche in solchen Fällen wenden?

Hermes: „Im Rahmen unseres Schutzkonzeptes gibt es eine klare Vorgehensweise, die wir in den Schulungen besprechen. Auch Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner werden genannt. Mit Antje Tolksdorf und Daniel Lünenschloß hat der Kirchenkreis zwei kompetente und geschulte Vertrauenspersonen für Verdachtsfälle von sexueller Gewalt (hier gibt es einen Artikel über die beiden).

Sie sortieren mit denjenigen, die sich an sie wenden, wie beobachtete Situationen einzuordnen sind und geben Hinweise zu möglichen nächsten Schritten. Dazu kann es gehören, dass das Kriseninterventionsteam des Kirchenkreises einberufen wird, um über einen Fall zu beraten und weitere – auch rechtliche – Schritte einzuleiten.“

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