Frauenhaus Wuppertal „Femizid ist keine tragisch endende Liebesgeschichte“
Wuppertal · Am 12. April 2020 hat ein Mann in Wuppertal eine Frau getötet, genauer gesagt: seine Frau. Männer, die Frauen ermorden, eben weil sie Frauen sind. Das hat einen Namen. Denn es hat Struktur. Redakteurin Nina Bossy sprach mit den Frauenhaus-Mitarbeiterinnen Katrin Weber und Theresa Heil anlässlich des ersten Todestags der Ermordeten über das Phänomen des Femizids.
Rundschau: Frau Weber, Frau Heil, was ist am 12. April 2020 in unserer Stadt geschehen?
Heil: „Wir haben von der Polizei erfahren, dass eine unserer Bewohnerinnen tot aufgefunden wurde. Der Ehemann wurde sofort unter Verdacht gestellt und in Untersuchungshaft genommen.“
Rundschau: Wer war die Frau?
Weber: „Eine Wuppertalerin, 27 Jahre alt. Eine junge Mutter. Ihr Kind, das zum Tatzeitpunkt mit ihr im Frauenhaus gelebt hat, war sechs Monate alt.“
Rundschau: Ehrenmord, Eifersuchtsdrama, erweiterter Suizid. Solche Tötungen wurden lange nicht als Femizid bezeichnet. Warum ist aber ausschließlich dieser Begriff korrekt – und warum bedarf es überhaupt einer Begrifflichkeit?
Heil: „Ein Femizid ist ein Mord an einer Frau oder an einem Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Sie werden vorsätzlich getötet, weil sie sich nicht verhalten, wie es von ihnen in ihrer Rolle als Frau erwartet wird, weil sie sich nicht unterwerfen. Gewalt an Frauen hat Struktur und diese Strukturen sind kulturunabhängig und schichtunabhängig in unserer Gesellschaft vorhanden.“
Weber: „Wir brauchen einen Begriff, weil ein Femizid eben keine Liebesgeschichte mit tragischem Ende ist. Es ist ein Mord und gehört benannt.“
Rundschau: Über wie viele Betroffene sprechen wir?
Heil: „Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 301 versuchte Morde an Frauen durch ihren Partner oder Expartner erfasst. 111 von ihnen wurden vollendet.“
Rundschau: Wer sind die Täter?
Weber: „Der Femizid beschreibt meistens eine Beziehungstat, in der Regel gibt oder gab also eine Partnerschaft. Die Täter sind Männer, die Opfer die Frauen.“
Rundschau: In welchen Lebenssituationen sind Frauen gefährdet?
Weber: „Wenn sie sich trennen wollen. Statistiken zeigen, dass dann ein erhöhtes Risiko besteht. Denn der Mann fürchtet den Kontrollverlust. Der Mord ist sein letztes Mittel, der Frau den Willen zu nehmen und seine Macht durchzusetzen. Vor der Ermordung gibt es so genannte Risikofaktoren in einer Beziehung. Dazu zählt ein kontrollierendes Verhalten, Drohungen, Stalking, frühere Gewaltvorfälle, vor allem wenn der Mann die Frau bereits schon einmal gewürgt hat oder sogar in der Schwangerschaft gewalttätig war.“
Rundschau: Welche Strukturen in unserer Gesellschaft begünstigen Gewalt an Frauen?
Heil: „Strukturelle Ungleichheiten. Wir haben immer noch ungleiche Löhne, es gibt immer noch ein sehr verbreitetes Rollenbild und die Erwartungen an eine Frau sind zum Teil sehr rückständig. Es gibt einen Machtabfall zwischen Männern und Frauen, der für einige Männer impliziert entscheiden zu dürfen. Ich entscheide, was du anziehst, was du arbeitest, was du tust und wer du bist.“
Rundschau: Der Täter, der die 27-jährige Wuppertalerin im April vergangenen Jahres ums Leben gebracht hat, ist inzwischen verurteilt. Welches Urteil hat er bekommen und welche Rolle spielt die Justiz bei der Bewertung von Femiziden?
Weber: „Der Mann wurde wegen Totschlags mit Vorsatz verurteilt und dieses Urteil ist ein sehr typisches. Wir finden es problematisch. Die Beziehung zwischen Täter und Opfer wirkt sich strafmildernd aus.“
Heil: „Man könnte auch meinen, ein Femizid sei eine Tat im Affekt. Eine britische Forscherin hat das genau untersucht und festgestellt: Von 372 Femiziden in Großbritannien waren über die Hälfte geplant. Das lässt sich unter anderem an der Internetrecherche der Täter, zum Beispiel für die Waffenbeschaffung, feststellen.“
Rundschau: Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Medien für die öffentliche Wahrnehmung dieser Fälle?
Weber: „Allein die verwendeten Begriffe wie eben Eifersuchtsdrama oder Familientragödie verharmlosen die Taten, schaffen fast den Anschein, die Frauen tragen eine Mitschuld.“
Heil: „Es ist wichtig, dass die Täter für die Tat verantwortlich gemacht werden und die Presse darauf hinweist, dass es sich eben um keine Einzeltaten und private Dramen handelt. „
Rundschau: Warum sollte der Wuppertaler Mord mehr in uns als Mitleid auslösen? Warum sind wir als Gesellschaft betroffen?
Weber: „Wir als Gesellschaft tragen die Verantwortung für die Prävention solcher Taten, dafür, dass junge Menschen früh ihre Rechte kennen, dass Selbstbestimmung ein bekannter Wert ist. Auch junge Männer dürfen keinem strengen Rollenbild unterworfen werden, Geschlechtergerechtigkeit gehört hergestellt. Wir sind auch betroffen, weil es nicht nur um die Frauen geht. Oft sind die Kinder bei der Tat dabei, fast alle erleben die vorhergegangene Gewalt in der Beziehung der Eltern mit. Diese Kinder sind traumatisiert und die Hilfen für sie zur Bewältigung dieser Traumata müssen ausgebaut werden.“
Rundschau: Wie viele Kinder leben derzeit im Frauenhaus?
Weber: „Bei uns leben derzeit zehn Bewohnerinnen. Und mit ihnen zwölf Kinder.“
Rundschau: 2011 hat der Europarat die so genannte Istanbul-Konvention unterzeichnet und sich der Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verpflichtet.
Heil: „Diese Konvention benennt zum ersten Mal Gewalt an Frauen als das, was sie ist: als Menschenrechtsverletzung. Und die unterzeichneten Länder verpflichten sich zum Kampf dagegen.“
Weber: „Die Länder sind dazu aufgefordert, auf allen Ebenen Maßnahmen zu schaffen. Es geht um Prävention, Intervention und Schutz, Verbesserung der justiziablen Möglichkeiten. Wir stehen noch am Anfang der Umsetzung dieser Leitlinie.“
Rundschau: Zurück nach Wuppertal. Sie gewähren Frauen, die von Gewalt betroffen sind, Schutz. Wie viele Frauen bedürfen in unserer Stadt dieses Schutzes?
Weber: „Es gibt eine bundesweite Studie aus dem Jahr 2004, die besagt: Jede vierte Frau erlebt in ihrem Leben Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Das wird auch auf die Frauen in unserer Stadt zutreffen.“
Rundschau: Was können wir als Stadt und als Zivilgesellschaft tun, damit weniger Frauen auf Einrichtungen wie Ihre angewiesen sind?
Heil: „Uns das Thema bewusstmachen. Gewalt an Frauen ist wahrnehmbar, im Haus nebenan. Wir können wissen, wie man helfen kann, nicht nur Betroffene sollten die Wege zu Hilfsangeboten kennen. Wir als Gesellschaft sollten uns viel früher damit auseinandersetzen und eben wissen, wie wir solche Taten verhindern können.“
Rundschau: Die Wuppertalerin ist vor einem Jahr gestorben. Ihr Kind war damals erst sechs Monate alt. Was wünschen sie ihm?
Weber: „Dass es nicht allein damit ist. Ich wünsche mir sehr, dass es, wenn es einmal erfährt, was passiert ist, sehr gute Hilfe bekommt, um seine eigene Geschichte verarbeiten zu können.“