Kürzungen im ÖPNV-Angebot Mehr als nur Rechenaufgaben

 Betr.: Kürzungen im ÖPNV-Angebot / offener Brief an den

Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, die im Rat der Stadt Wuppertal vertretenen Parteien sowie die Geschäftsführung der WSW mobil GmbH

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren!

Die WSW mobil GmbH beabsichtigt, ab dem 18. August 2021, das Fahrstreckennetz des ÖPNV sowie die Fahrtaktungen erneut umfangreich auszudünnen. Unter anderem sollen die Buslinien 639/629 wegen „zu geringen Fahrgastaufkommens" komplett eingestellt werden, wovon ich persönlich als bisheriger Abonnent des Ticket 2000 direkt betroffen bin.

Mit den immer gleichen Argumenten wiederholt sich damit seit Jahren die einfalls- und zudem ergebnislose Praxis, dem ausschließlich unter Wirtschaftlichkeitskriterien beurteilten ÖPNV „Rechnung“ tragen zu wollen. Dabei dürfte auch denjenigen, die sich da ums Rechnen bemühen, mittlerweile bewusst geworden sein, dass der personal- und sachkostenintensive öffentliche Nahverkehr mit seinem alleinigen Dienstleistungszweck, Mobilität mit dem gleichen Recht für alle unabhängig von der Wohnlage und dem sozialen Status zu gewährleisten, niemals eine Kostendeckung erreichen, geschweige denn einen Gewinn abwerfen wird.

Um die aussichtslose „Schwarze Null“ zu erreichen, worum sich die Geschäftsführung des Unternehmens zu bemühen scheint, wäre es nach den Maximen der Bilanzexperten konsequenter, den ÖPNV gleich in Gänze abzuwickeln, dann wäre das Ertragsproblem endlich gelöst.

Unter dieser eindimensionalen Prämisse übersehen wird nun allerdings, dass es beim ÖPNV insbesondere in heutiger Zeit um wesentlich mehr als um Rechenaufgaben geht. Vielmehr wird durch die systematische Beschneidung des ÖPNV tiefgehend das demokratische Selbstverständnis unserer gesellschaftlichen Ordnung angegriffen und unterminiert. Davon berührt sind grundlegende demokratische Rechte und originäre Fürsorgepflichten des Staates und der Kommunen, die nicht privatwirtschaftlich zu organisieren sind und darin bestehen, allen Bürgerinnen und Bürgern

– unabhängig vom Auto und persönlichen Status das demokratische Recht auf eine nachhaltige und bezahlbare Mobilität zu gewähren

– die dem ÖPNV zukommende sehr wesentliche Aufgabe zu ergreifen, seinen notwendigen Beitrag für eine nachhaltige Verkehrswende zu leisten

– der unumschränkten Dominanz des automobilen Individualverkehrs selbst auf kleinster Distanz eine qualitativ hochwertige und umweltschonende Altenative zu bieten

– die inflationäre Energiebilanz unserer automobilen Lebensweise auf Kosten anderer und der Umwelt im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung umzugestalten.

Die hier beispielhaft wiedergegebenen Aufgaben, die sich mühelos komplettieren lassen, machen deutlich, dass sich mit dem Aus- oder eben Abbau des ÖPNV Fragen von ganz anderer gesellschaftlicher Tragweite ergeben, die mit dem stets bemühten Primat der Wirtschaftlichkeit noch nicht einmal ansatzweise berücksichtigt sind. Damit verweigern Sie die dringend notwendigen Investitionen in die Zukunft unserer Stadt und unserer Gesellschaft.

Ähnlich der gebetsmühlenartig bemühten Kreisargumentation „Wenig Fahrgäste – Einschränkung des Angebotes – noch weniger Fahrgäste – Einstellung des Angebots“ schieben sich die Verantwortungsträger in Politik und Unternehmen gegenseitig die Schuld in die Schuhe und erheben mit Fingerzeig auf den jeweils anderen ein großes Gezeter – nicht zuletzt, um sich aus der Verantwortung zu stehlen, die Hände in Unschuld zu waschen und im Endeffekt alles beim Alten zu lassen.

Herr Jaeger von der WSW mobil GmbH äußerte vor einiger Zeit in vergleichbarer Situation einmal in der Presse, dass sein Unternehmen exakt das Angebot parat halte, welches die Politik bei ihm einkaufe. Dem ist durchaus zuzustimmen. Als Wuppertaler Stadtwerke GmbH, deren Eigentümer mit 99,93 Prozent die Stadt Wuppertal ist, macht es wenig Sinn, wenn Ratsmitglieder der Stadt bestenfalls öffentlichkeitswirksam aufschreien, sobald es um die von der WSW mobil GmbH in Angriff genommene Beschneidung des ÖPNV geht – ohne sich selbst in der Verantwortung flir diese Entwicklung zu sehen und entsprechend gegenzulenken.

Wenn das von der Kommunalpolitik gem proklamierte Ziel einer Entlastung der autoüberfrachteten Innenstadt durch den Umstieg der Bürgerinnen und Bürger auf den ÖPNV, das Fahrrad oder zu Fuß ernst gemeint ist, wenn es um gleiche Rechte für alle geht, müsste sich an dieser fatalistischen Haltung durchgreifend etwas ändern.

Angesichts der jüngst geplanten Beschneidungen des öffentlichen Nahverkehrs, die mich nach längerem Zaudern zur Kündigung meines langjährigen Abonnements veranlasst haben, ist demgegenüber als erster und unmittelbarer Schritt zu fordern, dass die Stadtverordneten und ihr Oberbürgermeister die WSW mobil GmbH zur Zurücknahme der Pläne auffordern und Wege aufzeigen, wie der aktuell bereits ungenügende Bestand durch weitere Einschränkungen nicht noch mehr beschnitten wird.

Natürlich müssen weitere Schritte folgen – mit dem Ziel, das Nahverkehrsangebot auf der Grundlage tragfähiger altemativer Finanzierungsmodelle umfangreich aus- statt abzubauen. Denn zweifelsfrei steht fest, dass der ÖPNV mit einem flächendeckend gut ausgebauten Angebot, mit sauberen Fahrzeugen und motivierten Angestellten, die für Ordnung in den Fahrzeugen und eine für den Fahrgast angenehme, belästigungsfreie Beförderung sorgen, eine wichtige demokratische und überaus notwendige ökologische Funktion zur Entlastung unserer Innenstädte und der Umwelt erfüllt.

Dieses Schreiben ist an die Verantwortlichen bei der Stadt einschließlich ihres Oberbürgermeisters und an die WSW mobil GmbH ausdrücklich in der Erwartung einer adäquaten Antwort auf das Anliegen adressiert. Bedauerlicherweise scheint dies seit einiger Zeit nicht mehr selbstverständlich zu sein.

Armin Brost

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