Saft, Kraft, Sex und Sound

"Trombeck": Der Wuppertaler Musiker Dietrich Rauschtenberger packt die Geschichte und den Klang des Freejazz in einen 464-Seiten-Roman — Autobiographisches inklusive.

 „Trombeck. Wie wir den Freejazz erfunden haben“ von Dietrich Rauschtenberger ist im Joachim-Körber-Verlag erschienen und kostet im Buchhandel 26 Euro.

„Trombeck. Wie wir den Freejazz erfunden haben“ von Dietrich Rauschtenberger ist im Joachim-Körber-Verlag erschienen und kostet im Buchhandel 26 Euro.

Foto: Joachim-Körber-Verlag

Wenn jemand schreibt, gibt's immer eine wichtige Frage: Kommt das Thema so "rüber", dass man es spürt? Bei Rauschtenbergers "Trombeck" liefern schon die ersten Seiten ein glasklares Ja. Da geht's um den freejazzigen Beitrag zu einer Vernissage. Und auch, wer keinen Schimmer von Freejazz hat, weiß bereits nach ein paar Minuten, woher der Wind weht. Dieses Intro ins Buch ist allein schon erstaunlich. Aber noch besser: Rauschtenberger hält, was er verspricht. Sein "Trombeck" bleibt — bis auf wenige Hänger — durchgängig ein packender Cocktail aus Saft, Kraft, Sex und Sound.

Dietrich Rauschtenberger, 1939 in Schwelm geboren, kam nach Wuppertal, fing Mitte der 50er mit dem Schlagzeug an, wanderte durch mehrere Bands, bis er Anfang der 60er Peter Brötzmann und Peter Kowald traf. Dann ging's los mit dem Freejazz… Von all dem und vielem mehr handelt dieses Buch. Es erzählt die Story des Drummers Paul Trombeck, seiner vielen Jugend- und Musikerfreunde, seiner großen Liebe Hanne. Und es erzählt von Wuppertal und von der Musik, mit der sich Trombeck aus dem Mief der 50er Jahre befreit. Von Wuppertal, diesem provinzigen Ort, der ein besonderes Geheimnis hat: Hier wurde Freejazz erfunden — nicht in New York. Dieses Geheimnis enthüllt Dietrich Rauschtenberger durch die Figur Trombeck.

Ganz besonders tut er das auf den Seiten 283 bis 292: Wie schon zu Anfang macht Rauschtenberger Musik hier lesbar. Trombeck und seine Jazz-Kollegen sprengen als gebuchte Band das Stiftungsfest eines Turnvereins. Und "sprengen" ist wörtlich zu nehmen: Als das von den Gästen erwartete Mainstream-Programm zum Freejazz mutiert, das Turnerfest zur unkontrollierten Töne-und-Körper-Orgie eskaliert, stürzen — begleitet von Blitz, Donner und Höhenfeuerwerk — Wände und Dach des Vereinsheimes ein. Das Kapitel endet so: "Ein Vorhang von Bengalischem Feuer färbte den Horizont rot, und Trombeck wurde klar, dass dahinter die Zukunft begann. Es war die Geburtsstunde des Freejazz."

Alle, die in "Trombeck" auftreten, sind anfassbar, spürbar. Der Text ist ehrlich, (selbst-)kritisch, sarkastisch, bitter, voller Gefühl, erotisch, witzig, ironisch — und nur selten mal zu kopflastig. Und "Trombeck" zeigt, dass das Spannungsfeld von Handwerk, Unterhaltung und Kunst kein Zuckerschlecken ist: Die Musikindustrie, die Konzertagenten, die kommunalen Kulturförderer, die Journalisten, die neidischen Musikerkollegen — auf alle richtet sich der sezierende Scheinwerfer. Und die Frage, wer hier wohl wer im "echten" Leben ist, macht das Ganze zusätzlich reizvoll...

Eines ist "Trombeck" aber auch — ein Liebesroman. Bei der Geschichte von Paul Trombeck und Hanne, die Jahrzehnte später wieder auftaucht, bleibt Rauschtenberger immer lakonisch, ohne Gefühlsduselei, immer echt. "Trombeck" hat eine rotzig-freche, streckenweise faszinierend bilderstarke Sprache. Ein sehr spezieller Text. Und ein sehr guter.

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