Aus dem Tagebuch der Redaktion "Das gehört verschwunden"

Ein Weihnachtsmarkt ist ja in erster Linie ein Ort der Kommunikation. Ein verschütteter Glühwein hier und eine doppelte Portion Senf, die sich ihren Weg zielsicher aus dem Bratwurstbrötchen Richtung Kaschmirmantel des Vordermannes sucht, dort — und schon ist man mitten im schönsten Gespräch.

Aus dem Tagebuch der Redaktion: "Das gehört verschwunden"
Foto: Bettina Osswald

Kein Wunder also, dass manch scheuer Geselle gerade diese herzliche Umgebung für eine vorsichtige Kontaktaufnahme wählt. Und so ließ sich dieser Tage das folgende skurrile Szenario beobachten. An einer weihnachtlichen Würstchenbude gerieten zwei niedliche Teenie-Blondinen ins Visier eines, ja sagen wir mal jungen Mannes. Seine Haare — sie erinnerten an angewestes Sauerkraut und sahen aus, als hätten sie schon jegliches Interesse an ihm verloren — trug er wie eine Burka. Nur ab und an wurde der strähnige Vorhang von seiner Nase gescheitelt.

Unterstrichen wurde der Look von einem Parka in heller Durchfallfarbe, von dem die Mutter vermutlich glaubte, ihr Sohn würde noch hineinwachsen — in dem jedoch selbst Reiner Calmund heute noch zelten gehen könnte. Aus dem Radio plärrte gerade "Atemlos durch die Nacht", während der Durchfallparkamann aufmerksam den Verkaufsvorgang beobachtete.

Der ging wie folgt: "Bitteschön Madame; aber gerne doch, Madame", flötet der Würstchenwirt den beiden blonden Frauen zu und überreicht ihnen beinahe ehrfürchtig das Grillgut. Die Abiturientinnen aber haben nur Ohren für Helene Fischer. "Super cool", finden sie und ziehen damit das Interesse der Dame des Würstchenstandes auf sich. "Wie?", fragte sie aufrichtig entsetzt, "IHR mögt Schlager? Seid ihr dafür nicht viel zu jung?" Keineswegs, erklären ihr die adretten Mädels, dazu könne man ganz herrlich abfeiern.

Sauerkrauthaar bringt sich in Position: "Wusstet ihr, dass die zwerghafte Stapfe ein ganz seltener Vogel..." Der Würstchenverkäufer scheint wie vom Donner gerührt von dieser Erscheinung. Mit zusammengekniffenen Augen lehnt er sich über die Theke und raunt einen Satz, wie er denkenswerter kaum sein könnte: "Die beobachteten Fantasiezusammenstellungen müssen in Fortfall geraten." Alle Blicke ruhen nun auf Sauerkrauthaar. Der runzelt beinahe hörbar die Stirn. "Hä???" Der wortgewandte Wurstmann macht eine tadelnde Kopfbewegung Richtung Parkazelt und Haupthaar. "Das", sagt er bierernst, "gehört verschwunden!"

Ein Satz wie ein Denkmal. Und einer, der in Wuppertal in vielen Bereichen das Leben ungemein erleichtert.

(Rundschau Verlagsgesellschaft)
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