Interview: 80. Jahrestag der Pogromnacht "Sie zogen sturzbetrunken in der Nacht los"

Wuppertal · Am 9. November 2018 jährt sich zum 80. Mal die Pogromnacht. Die Begegnungsstätte Alte Synagoge nimmt dies zum Anlass für eine Veranstaltungsreihe mit historischen und aktuellen Bezügen zum damaligen Geschehen.

 Ulrike Schrader: „Ich sehe auch heute wieder verstärkt antisemitisches Verhalten.“

Ulrike Schrader: „Ich sehe auch heute wieder verstärkt antisemitisches Verhalten.“

Foto: Eduard Urssu

Rundschau-Redaktionsleiter Hendrik Walder sprach darüber mit der Leiterin der Begegnungsstätte, Dr. Ulrike Schrader.

Rundschau: Wie hat man sich die Ereignisse damals im November 1938 in Wuppertal vorzustellen?

Schrader: Wie überall im ganzen Land feierte die NSDAP auch in Wuppertal ihr 15-jähriges Bestehen und zwar zentral im Barmer Stadttheater. Von dort es ging es in die Vereinslokale der Ortsgruppen, wo es schon sehr alkoholorientiert und martialisch zugegangen sein soll.

Rundschau: Von dort aus zogen die Horden dann marodierend durch die Stadt?

Schrader: Nein, tatsächlich wurde überall parallel über eine Telefonkette zu den Ausschreitungen aufgerufen. So erhielt Wilhelm Peters, SS-Mann und Kreisorganisationsleiter der NSDAP, in der Gaststätte Thelen in der Gerstenstraße gegen Mitternacht einen entsprechenden Anruf von seiner Schwiegermutter. Man sammelte sich dann in der Parteizentrale, der heutigen Villa Frowein am Deweerthschen Garten und zog wohl teils sturzbetrunken durch die Herzogstraße, wo schon Schaufenster eingeschlagen wurden. Anschließend wurden die beiden Synagogen an der Genügsamkeitstraße in Elberfeld und in der Barmer Scheurenstraße in Brand gesetzt. Alleine in dieser Nacht verhaftete die Polizei über 100 jüdische Männer und verschleppte sie wenige Tage später ins Konzentrationslager Dachau.

Rundschau: Der Antisemitismus trägt inzwischen auch wieder ein aktuelles Gesicht. Das findet sich auch im Veranstaltungsprogramm wieder?

Schrader: Genau. Wir nehmen uns des Themas auch in einem neuen Modul unserer Dauerausstellung in der Begegnungsstätte an, das am Sonntag um 15 Uhr erstmals präsentiert wird. Hier informieren wir über Vorurteile, widerlegen Klischees und entlarven Verschwörungsfantasien.

Rundschau: Sehen Sie denn antisemitisches Verhalten auch in Wuppertal?

Schrader: Durchaus. Und das würde noch deutlicher werden, wenn sich die Anhänger des jüdischen Glaubens erkennbar "outen" würden. Ich registriere beispielsweise in den zahlreichen Schul-Führungen durch unser Haus, wie sich meist muslimische Jugendliche deutlich in diese Richtung äußern. Ich spüre da viel Verachtung und Misstrauen.

Rundschau: Wie greifen Sie den Jahrestag selbst, den 9. November, in ihrer Reihe auf?

Schrader: Uns war klar, dass die jüdische Gemeinde diesen Freitag zu ihrem allwöchentlichen Schabbat-Gottesdienst nutzen wird. Deshalb haben wir mit ihr zusammen vereinbart, dass dieses Mal auch Gäste daran teilnehmen können. So haben Interessierte die Möglichkeit, ein jüdisches Abendgebet zu erleben und zugleich ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinde zum Ausdruck bringen. Über 50 Wuppertaler haben das Angebot bereits angenommen. Wer möchte, kann sich bei mir noch unter Telefon 0202 / 563-28 43 anmelden.

Rundschau: Wie solche Gottesdienste vor über 100 Jahren musikalisch gestaltet wurden, davon kann man sich bei einer Abschlussveranstaltung in der Friedhofskirche überzeugen.

Schrader: Das wird wirklich spektakulär. Dort wird man man deutlich hören können, wie die jüdische Gesellschaft in der Kaiserzeit in ihrer Umgebung aufging. Man schwelgt in der opulenten, pathetischen Musik des langjährigen Elberfelder Oberkantors Hermann Zivi und seiner Vorstellung, ein anerkanntes Mitglied der hiesigen Gesellschaft zu sein. Im Kontrast dazu stehen Lesungen mit Texten von Viktor Klemperer und Gershom Scholem, die die schreckliche darauf folgende Wirklichkeit beleuchten.

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