Superintendentin Ilka Federschmidt Sexualisierte Gewalt: „Menschen wurden schwer enttäuscht“

Wuppertal · Am 25. Januar wurde die erste bundesweite Studie zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche und Diakonie veröffentlicht. Superintendentin Ilka Federschmidt nimmt dazu für den Kirchenkreis Wuppertal Stellung.

Superintendentin Ilka Federschmidt.

Superintendentin Ilka Federschmidt.

Foto: Kirchenkreis

Wie sehr berührt Sie das Thema der sexualisierten Gewalt als Pfarrerin und Superintendentin?

Federschmidt: „Ich war über 27 Jahre Gemeindepfarrerin in drei verschiedenen Gemeinden. Ich weiß, wie sehr echter Kontakt und vertrauensvolle Beziehungen ein Lebensnerv für das Gemeindeleben sind. Mit Kindern, mit Jugendlichen, mit Erwachsenen bis in das hohe Alter. Und ich weiß, wie wichtig Vertrauen gerade in der Seelsorge ist. Wenn es gebrochen wurde, weil Menschen in einer Kirchengemeinde oder diakonischen Einrichtung sexualisierte oder andere Formen der Gewalt angetan wurden, dann erschüttert und beschämt mich das.“

Sind Ihnen auch Fälle aus Wuppertal bekannt?

Federschmidt: „Es gab in meiner Zeit als Superintendentin und Pfarrerin – meines Wissens und nach meinen bisherigen Erkundigungen – Vorkommnisse mit grenzverletzendem und sexuell übergriffigem Verhalten, die aber nicht justiziabel waren. Ich denke zum Beispiel an einen kirchlichen Mitarbeiter, dem wir gekündigt haben, weil er Mädchen gegenüber sexuell übergriffig gewesen ist. Es wurde auch Anzeige erstattet, die aber erfolglos blieb. Es gab auch Berührungen mit dem Thema bei ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Da haben wir zum Schutz der betroffenen Personen Hausverbote erteilt.

Wenn bei den Tätern und der Verzweiflung der Betroffenen weggesehen wurde, sehe ich das als schwere Schuld. Solche Vorkommnisse gehen an die Substanz. Denn Menschen geben uns in Kirche und Diakonie einen hohen Vertrauensvorschuss, weil sie sich darauf verlassen haben, dass wir uns ja noch vor einem Höheren, vor Gott, vor Jesus Christus und vor dem Gebot seiner Liebe verantworten. Wenn dann bei den Tätern und der Verzweiflung der Betroffenen weggesehen worden ist, sehe ich das als schwere Schuld.“

Ein Schuldbekenntnis hat die Evangelische Kirche 2019 formuliert. Aber für viele Menschen, vor allem für von sexualisierter Gewalt Betroffene, ist das nicht genug.

Federschmidt: „Völlig zu Recht! Im Sinne des Schuldbekenntnisses hat sich unsere kirchliche Gemeinschaft verpflichtet, alles zu tun, um Gewalt und Missbrauch in Gemeinden und Diakonie zu verhindern und für Prävention und Schutz zu sorgen. Dies ist auch im eigenen Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt verankert. Es gilt eine Verpflichtung für alle Mitarbeitenden zur zentralen Meldung von Verdachtsfällen, und es gibt ein festgelegtes Verfahren, wie mit den Vorwürfen umzugehen ist.

Steht der Verdacht strafrechtlicher Verfehlungen gegen Minderjährige im Raum, werden immer die staatlichen Ermittlungsbehörden durch eine Anzeige davon informiert. Ist die betroffene Person erwachsen, entscheidet sie selbst darüber. Wir weisen auch immer darauf hin, dass es eine unabhängige Meldestelle für Betroffene beim Landesverband unserer Diakonie gibt. Zudem können wir im Kirchenkreis bei Verdachtsfällen eine professionelle Beratung bei unserer Landeskirche in Anspruch nehmen. Mit dieser Ansprechstelle arbeiten wir auch im Hinblick auf unsere Präventionsschulungen zusammen.“

Jeder Kirchenkreis muss Schutzkonzepte erstellen und Schulungen anbieten. Wie weit sind Sie in Wuppertal damit?

Federschmidt: „Seit 2014 gibt es bei uns erste Schutzkonzepte in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die wir dann ausgeweitet haben auf alle schutzbedürftigen Erwachsenen. Ein detaillierter Handlungsleitfaden beschreibt die nötigen Maßnahmen, falls ein Vorwurf im Raum steht. Das alles ist auf hier unserer Webseite zu finden.

Wir haben Vertrauenspersonen und ein gutes Kriseninterventionsteam, das Hinweisen konsequent nachgeht. Auf Wunsch stellen wir betroffenen Personen auch anwaltliche Hilfe auf unsere Kosten zur Seite. Mehr als 400 haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende haben wir bisher in einer der regelmäßig stattfindenden Schulungen sensibilisiert.

Alle, die beim Kirchenkreis angestellt sind oder ehrenamtlich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten und in der Beratung und Seelsorge tätig sind, müssen ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen und an einer zielgruppenspezifischen Schulung teilnehmen. So bekommen zum Beispiel die Jugendlichen, die ehrenamtlich in der Jugendarbeit mitwirken, andere Schulungen als etwa die Ehrenamtlichen in der Telefonseelsorge. Insgesamt wurden bisher mehr als 400 haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende in einer der regelmäßig stattfindenden Schulungen sensibilisiert und handlungsfähig gemacht.“

Wie stehen Sie zu der Studie und wie geht der Kirchenkreis weiter mit ihr um?

Federschmidt: „Menschen wurden schwer enttäuscht und verbittert im Umgang mit sexualisierter Gewalt in unserer Kirche und Diakonie. Dort, wo sie bei uns erhöhten Schutz erwartet haben, wurden sie schutzlos. Daher ist es gut und wichtig, dass die ForuM-Studie nun endlich veröffentlicht wird. Aber auch wir kennen ihre Inhalte noch nicht. Wir werden Zeit brauchen, um die umfassende Untersuchung für uns im Kirchenkreis gründlich zu analysieren.

Daher werden wir erst mal Zeit brauchen, um die voraussichtlich mehr als 800 Seiten umfassende Untersuchung für uns im Kirchenkreis gründlich zu analysieren. Zudem steht die regionale wissenschaftliche Aufarbeitung ja noch an. Wann die Forscher damit beginnen, auch unsere Region Rheinland-Westfalen und Lippe auszuwerten, wissen wir noch nicht. Aber als Kirchenkreis werden wir uns konsequent daran beteiligen. Niemand hat Interesse, das Unrecht, das möglicherweise geschehen ist, zu vertuschen. Im Gegenteil: Wir stehen und sehen uns da ganz in der Verantwortung.

Zugleich wünsche ich mir, dass unsere gesamte Gesellschaft sich selbst gegenüber ehrlich ist. Kein gesellschaftlicher Bereich kann sich von Missbrauch freisprechen. Alle miteinander stehen wir daher in der Verpflichtung, die Anwaltschaft für den Schutz vor sexualisierter Gewalt zu übernehmen.“

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