Professor Ernesto Medina aus Nicaragua „Die Hoffnung ist noch groß“

Wuppertal · Nicaragua in Mittelamerika, wo auch Wuppertals Partnerstadt Matagalpa liegt, steckt seit einem Jahr in einer schweren politischen und inzwischen auch wirtschaftlichen Krise. Die Regierung um den ehemaligen Revolutionsführer Daniel Ortega kann sich nur noch mit Hilfe von Gewalt und Einschüchterung an der Macht halten. Rundschau-Redakteur Stefan Seitz sprach mit Professor Ernesto Medina, Mitglied der Verhandlungsdelegation der Alianza Cívica, die in den letzten Wochen versuchte, durch einen nationalen Dialog zu einer Lösung für das Land zu finden.

 Professor Dr. Ernesto Medina (66) hat auf seiner Reise durch Europa auch Station in Wuppertal gemacht.

Professor Dr. Ernesto Medina (66) hat auf seiner Reise durch Europa auch Station in Wuppertal gemacht.

Foto: Wuppertaler Rundschau

Rundschau: Wie ist die Lage in Nicaragua?

Medina: Unsere immer schon sehr schwierigen Verhandlungen mit der Regierung, bei denen Präsident Ortega nie persönlich anwesend ist, sind nach der Erschießung eines politischen Gefangenen unterbrochen. Jetzt blicken wir auf den 19. Juni. Bis zu diesem Termin, so unsere Forderung, müssen alle 250 politischen Gefangenen freigelassen sein.

Rundschau: Und wenn nicht?

Medina: Dann kann es keine weiteren Verhandlungen geben. Das würde unsere Allianz vor ein großes Problem stellen. Die Hoffnung ist noch groß, aber was wirklich geschehen kann, ist schwer zu sagen. Es droht die Eskalation der Gewalt von beiden Seiten.

Rundschau: Ihre Allianz steht auf einem breiten Boden?

Medina: Ja, fast alle gesellschaftlichen Gruppen, wie die Kirche, die Studenten, die Bauern, viele bürgerliche Kräfte, sind vertreten. Wir haben das Vertrauen der Mehrheit der Nicaraguaner gewonnen.

Rundschau: Beschreiben Sie bitte die Atmosphäre im Land.

Medina: Öffentliche Proteste gegen die Regierung sind verboten. Die blau-weißen Farben unserer Bewegung zu zeigen, ist gefährlich. Managua, Matagalpa oder Leon, wo die Proteste mit großen Demonstrationen und Barrikaden am stärksten waren, ähneln besetzten Städten. Polizei, paramilitärische Kräfte, Verhaftungen, Videoüberwachung und Denunziationen durch Spitzel bestimmen das Bild. Studenten, die protestierten, wurden von den Universitäten alle Studiennachweise und Dokumente gelöscht. Die jungen Leute stehen vor dem Nichts. Die Studentenführer sind eingesperrt.

Rundschau: Was fordern Sie?

Medina: Ehrliche, transparente, demokratische Neuwahlen unter der Aufsicht internationaler Beobachter. Und dass die Wahrheit darüber gesagt wird, wie es dazu kommen konnte, dass Hunderte Nicaraguaner getötet, Zehntausende verhaftet und Hunderttausende ins Ausland getrieben wurden.

Rundschau: Die Welt nimmt das Thema Nicaragua nur am Rand wahr.

Medina: Ja, das ist sehr traurig. Unsere Regierung benutzt die Formalia einer Demokratie, um die Demokratie abzubauen. Ortega sagt: Wir sind doch gewählt. Aber wer seine Meinung frei äußern möchte, muss Verhaftung und Tod befürchten. Bei solch einem Zynismus darf die Welt nicht zuschauen. Egal, in welchem Land so etwas passiert.

Rundschau: Was ist Ihre nächste Station?

Medina: Berlin. Ich spreche mit dem Außenministerium und verschiedenen Parteien.

Rundschau: Was könnte Deutschland tun?

Medina: Die deutsche Regierung hofft auf eine Verhandlungslösung bei uns, möchte keinen Druck machen. Das kann ich verstehen. Aber allein in Hamburg gibt es etwa 60 junge Leute, die aus Nicaragua geflohen sind. Sie haben keinen Schutzstatus in Deutschland, können aber nicht mehr in ihre Heimat zurück.

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