Amtsgericht Wuppertal Paschalis-Prozess: „In dem Fall hat mich gar nichts gewundert“

Wuppertal · Wer in Verwaltung, Politik und anderswo geglaubt hatte, das Thema „Komplex ASS“ sei erledigt, sieht sich getäuscht. Beim Verfahren wegen übler Nachrede gegen Ex-Dezernent Panagiotis Paschalis, der die ASS-Problematik öffentlich gemacht hatte, dauerte jetzt auch der dritte Verhandlungstag im Wuppertaler Amtsgericht acht Stunden. Der Terminplan zur Vernehmung zahlreicher Zeugen reicht mittlerweile bis in den Februar 2021. Geladen sind mehrere bekannte Personen – darunter Stadtdirektor Johannes Slawig und der ehemalige Oberbürgermeister Andreas Mucke.

 Panagiotis Paschalis (rechts) mit seinem Anwalt Endrik Wilhelm.

Panagiotis Paschalis (rechts) mit seinem Anwalt Endrik Wilhelm.

Foto: Mikko Schümmelfeder

Panagiotis Paschalis geht im Zusammenhang mit dem von 2004 bis 2016 gelaufenen Werbegeschäft zwischen der Stadt Wuppertal und der Bochumer Sportmarketingfirma ASS von „einer Unrechtsvereinbarung der Stadtspitze und des Rechnungsprüfungsamtes aus, mit dem Ziel der rechtswidrigen Niederschlagung der Angelegenheit ASS und der Verhinderung von berechtigtem Regress gegen Beteiligte zum Schaden der Stadt.“ So hat er es am 15. Dezember 2018 der Rundschau gegenüber gesagt.

Da er einen vom Amtsgericht erlassenen 4.000-Euro-Strafbefehl nicht bezahlen wollte, wird nun wegen übler Nachrede gegen den im Juni 2017 abgewählten Ex-Dezernenten für Bürgerbeteiligung, Recht und Beteiligungssteuerung verhandelt.  Paschalis’ Verteidiger Professor Dr. Endrik Wilhelm hat, um die Hintergründe des ASS-Geschäftes zu beleuchten sowie um zu beweisen, dass es die von seinem Mandanten behauptete „Unrechtsvereinbarung“ plus der „rechtswidrigen Niederschlagung der Angelegenheit ASS“ doch gegeben hat, die Befragung zahlreicher Zeugen gefordert. Darunter sind beispielsweise etliche (auch hochrangige) Mitarbeiter der Wuppertaler Stadtverwaltung.

Am vergangenen Dienstag, dem dritten Verhandlungstag im Wuppertaler Amtsgericht, machte die als Zeugin geladene Leiterin des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch, um sich nicht selbst zu belasten. Ebenso wie schon am zweiten Verhandlungstag der Leiter der städtischen Antikorruptionsstelle. Die Antikorruptionsstelle ist eine zum Rechnungsprüfungsamt gehörende Abteilung. Die Aussage verweigert hat ebenfalls der Geschäftsführer der Wuppertal Marketing GmbH (WMG), über die die Geschäfts- und Zahlungsbeziehungen zwischen ASS und Stadt (die zu 30 Prozent an der WMG beteiligt ist) abgewickelt wurden.

Blick zurück: Am 12. Oktober 2018 hatte Panagiotis Paschalis wegen des seiner Auffassung nach nicht rechtskonformen Umganges mit dem Thema ASS Strafanzeige gegen die Stadtspitze, mehrere Rathaus-Mitarbeiter sowie gegen Politiker erstattet. Diese Strafanzeige umfasste eine 43-seitige Anlage plus 29 Seiten einer „ASS-Chronologie“. Die Wuppertaler Staatsanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen wegen ASS im April 2019 eingestellt: Ein Tatverdacht habe sich nicht erhärtet, so Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert seinerzeit gegenüber der Rundschau. Zu der von Panagiotis Paschalis gestellten umfangreichen Strafanzeige sagte Baumert damals: „In diesen Fällen haben wir die Aufnahme von Ermittlungen abgelehnt.“

Amtsrichterin Bittner am Dienstag bei der Belehrung eines Zeugen: „Die Staatsanwaltschaft hat zwar ihre Ermittlungen eingestellt, sie können aber wieder aufgenommen werden, wenn sich neue Anhaltspunkte ergeben.“

Dreh- und Angelpunkt – aus Sicht der Verteidigung – sind eine ganze Reihe von Fragen, die Verteidiger Endrik Wilhelm im Lauf des bisherigen Verfahrens verschiedenen Zeugen stellte: Warum lief die Geschäftsbeziehung zwischen Stadt und ASS, bei der es um die Massenzulassung mehrerer tausend Leasingfahrzeuge in Wuppertal ging, etwa neun Jahre lang ohne Vertrag? Warum flossen Gelder der Stadt (über die WMG) an ASS, obwohl von dort keine ausreichenden Gegenleistungen in Form von Wuppertal-Werbeaufklebern an den Fahrzeugen erbracht wurden? War es überhaupt zulässig, die Autos in Wuppertal zuzulassen, obwohl Bochum der ASS-Firmensitz ist? Wie kommt es zu den deutlich unterschiedlichen Rechtsauffassungen über dieses Geschäft? War die Massenzulassung finanziell vorteilhaft, wie es die Stadt sieht, oder ein Verlustgeschäft, wie sich aus einer von Anwalt Wilhelm vorgestellten Berechnung der Gemeindeprüfanstalt NRW ergibt Was die Paschalis-Verteidigung auch nachfragte: Welche Rolle hat der damalige Oberbürgermeister Andreas Mucke gespielt – und welche Bedeutung kommt Stadtkämmerer und Stadtdirektor Dr. Johannes Slawig zu, der auch der Personalverantwortliche der Stadt ist?

Andreas Mucke ist für Anfang Januar 2021 (nochmals) als Zeuge geladen, Johannes Slawig bereits für Anfang Dezember dieses Jahres. Mit Blick auf dieses Datum fragte Richterin Bittner Verteidiger Wilhelm: „Reicht Ihnen für die Befragung von Herrn Slawig ein Tag?“ Wilhelms Antwort: „Ich weiß ja nicht, ob er etwas sagt. Wenn ich er wäre, würde ich nichts sagen.“

Fest steht: Das Rechnungsprüfungsamt hatte, seinerzeit von Oberbürgermeister Andreas Mucke mit einer Prüfung beauftragt, das ASS-Geschäft als zwar mit Fehlern behaftet beurteilt, aber keine Hinweise auf mögliche Korruption und Straftatbestände gesehen. Im Gegensatz zu Panagiotis Paschalis und dem Leiter des städtischen Rechtsamtes, Olaf Radtke, der das RPA-Gutachten in seiner Zeugenvernehmung als „nicht belastbar“ bezeichnete.

Das RPA sieht sich nun mit von Paschalis-Anwalt Professor Dr. Endrik Wilhelm formulierten Vorwürfen der Vertuschung und der Manipulation von Akten konfrontiert, die die Verteidigung auch auf Andreas Mucke ausdehnt. Den abschließenden Bericht des Rechnungsprüfungsamtes bezeichnete Anwalt Wilhelm als „ein ganz perfides Schriftstück“. Der Bericht verschleiere beispielsweise, dass Kämmerer Slawig „ohne Vertrag und Leistungsnachweis in 39 Fällen Zahlungen persönlich freigezeichnet“ habe.

Auch auf der Zeugenliste am Dienstag: der stellvertretende Leiter des Oberbürgermeister-Büros. Er machte unmissverständlich klar: „Dass Oberbürgermeister Mucke etwas vertuschen oder unter dem Deckel halten wollte, kann ich ganz klar ausschließen.“ Andreas Mucke habe sich „auf die Expertise des Rechnungsprüfungsamtes verlassen, das von weiteren Schritten abriet“. Außerdem habe Mucke ja auf Anraten von Dezernent Paschalis das Landeskriminalamt eingeschaltet. Und, so der Zeuge: „Herr Slawig hat keinerlei Einfluss auf den OB gehabt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Herr Slawig persönlich Rechnungen freizeichnet.“

Der OB-Büro-Vize weiter: „In dem Fall hat mich gar nichts mehr gewundert.“ Auf die Bitte der Richterin, dies zu konkretisieren: Dezernent Paschalis habe vor seiner drohenden Abwahl „bewusst choreographierte Anzeigen und Kriminalisierungen anderer gestreut und sich wenig kritikfähig gezeigt“. Dass es, wie im Fall der Beurteilung der Angelegenheit ASS, unterschiedliche Blickwinkel gebe, sei in einer Verwaltung normal.

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