Mit Martin Schulz in der Immanuelskirche Lindh (SPD): „Schon eine beunruhigende Situation“

Wuppertal · In krisengerüttelten Zeiten besuchten am Freitagabend (28. Junii 291) die SPD-Bundestagsabgeordneten Martin Schulz und Helge Lindh die Oberbarmer Immanuelskirche, um über die Situation ihrer Partei und die Zukunft Europas zu sprechen.

 Helge Lindh (li.) und Martin Schulz.

Helge Lindh (li.) und Martin Schulz.

Foto: Jan Turek

Die SPD steckt in der Krise. Diese Feststellung ist nicht neu, aber dennoch hochaktuell. Erst vor wenigen Wochen trat Andrea Nahles vom Parteivorsitz zurück – weil das Ergebnis der Europawahl mit 15,8 Prozent in Deutschland historisch schlecht ausgefallen war. Auch in Wuppertal hatte die Partei bei der Europawahl 13,5 Prozent der Wählerstimmen verloren und wurde mit 18,6 Prozent nur noch die drittstärkste Kraft, nachdem sie hier bei der vorherigen Europawahl, 2014, noch die stärkste gewesen war.

„Wir sind in einer Situation, die für die SPD durchaus kritisch und entscheidend ist für ihre Zukunft. Darum ist es genau der richtige Zeitpunkt für so eine Veranstaltung“, erklärte der Wuppertaler Bundestagsabgeordnete Helge Lindh im Vorfeld. Aus diesem Grund und angesichts der „äußerst politisch aufgeladenen Zeit“ sei es besonders wichtig, „Klartext zu sprechen und Haltung zu zeigen“.

„Die Europawahl ist nicht nur eine dramatische Niederlage, sondern auch eine große Enttäuschung gewesen“, stellte auch Martin Schulz in der gut gefüllten Immanuelskirche gleich zu Beginn klar. Der Kanzlerkandidat von 2017 äußerte sich in seinem Vortrag selbstkritisch über Fehler, die die eigene Partei gemacht habe und mögliche Wege aus der Krise: „Die Antwort kann nicht darin liegen, dass wir uns permanent mit uns selbst beschäftigen.“ Niemand sei „interessiert an unseren internen Debatten“.

Stattdessen sieht der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments die Lösung in einem stärkeren Fokus auf Europa: Insbesondere Steuerpolitik, Flüchtlingspolitik und Klimapolitik müsse man auf europäischer Ebene betreiben. „Die Europapolitik ist in Deutschland ein Waisenkind und es gibt keine Partei, die sich dieses Thema als zentrale Aufgabe zu eigen macht“, so Schulz. Darum werde er „alles daran setzen, dass die SPD die Europapartei Deutschlands wird“.

Etwa in Bezug auf die europäische Flüchtlingspolitik sei es, Schulz zufolge, eine „Schande, dass wir tatenlos zusehen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken“. Man könne zwar über Seenotrettungsstrategien streiten, dass aber jemand, der einen Ertrinkenden retten will, kriminalisiert werde, sei nicht akzeptabel: „Wie moralisch tief muss man eigentlich sinken, um so etwas zuzulassen?“

Helge Lindh, hat sich selbst schon auf dem Rettungsschiff „Sea Watch 3“ ein Bild von der Lage auf dem Mittelmeer gemacht. „Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich für eine menschliche Flüchtlingspolitik einstehe und dass ich die AfD als politischen Gegner betrachte, den man entlarven muss“, sagt er. Aufgrund dessen sei er Opfer von Hackingattacken geworden und habe Morddrohungen erhalten: „Das ist schon eine beunruhigende Situation, die ich aber durch eine selbst verordnete Naivität ausblende, weil ich sonst nicht frei sein könnte.“

Der 42-jährige Wuppertaler bekräftigte, dass er sich nicht einschüchtern lassen wolle, denn „wenn es soweit kommt, dass man es nicht mehr wagt, offen zu sprechen, dann haben sie gewonnen“. Im Hinterkopf müsse jedoch trotzdem die Gewissheit bleiben, „dass aus Worten auch Taten werden können“, sagte er nachdenklich und mit Verweis auf den Mord an Walter Lübcke.

In diesem Zusammenhang gingen beide weiter auf den gesellschaftlichen Rechtsruck und die AfD ein, die Schulz als „eine Schande für die Bundesrepublik“ bezeichnete. Gleichzeitig stellte Lindh klar, man dürfe „keine Menschen verloren geben, die noch nicht verloren sind“, und müsse durch Kontakt „die, die unsicher sind, von einer menschlichen Politik überzeugen“ anstatt ihre Sorgen zu ignorieren.

Schulz ergänzte, Personen „wie Thilo Sarrazin“ seien Rassisten, die nicht in die SPD gehörten. Jedoch dürfe man „einfache Menschen, die nicht fein daherreden“ können, nicht aufgeben. Stattdessen müsse die SPD weniger elitär werden, einen Neuanfang wagen, der „ zu einem solidarischen Miteinander führen muss“ und zurückkehren zu ihrem Selbstverständnis als „Schutzmacht der kleinen Leute“, wie Johannes Rau es ausgedrückt habe – denn „diese Menschen empfinden uns nicht mehr als ihre Schutzmacht“.

Ob sich bei der SPD ein solcher Neuanfang abzeichne, und man Wählerstimmen zurückgewinnen kann, werden erst künftige Wahlergebnisse zeigen. Am Ende der knapp zweistündigen Veranstaltung fiel das Fazit von Helge Lindh zumindest positiv aus: „Der Abend hat mir sehr gut gefallen, weil es nicht um Wahlwerbung ging, sondern selbstkritisch die Probleme der SPD benannt wurden. Das Hauptproblem ist das fehlende Vertrauen – und das stellt man durch Begegnung her.“

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