Interview zum Führungswechsel bei der ebv "Genossenschaftsgedanken in das ,Heute’ transportieren"

Wuppertal · 1898 als "Eisenbahn-Bauverein Elberfeld eG" von Eisenbahnern für Eisenbahner gegründet, ist die ebv heute eine für alle offene Genossenschaft, die mit rund 2.400 Wohnungen zu den größten Vermietern in Wuppertal gehört.

 Gerd Schmidt und Nachfolgerin Anette Gericke.

Gerd Schmidt und Nachfolgerin Anette Gericke.

Foto: Bettina Osswald

Am 30. Juni endete bei ihr eine Ära, als Gerd Schmidt nach 32 Jahren die Geschäftsführung an Nachfolgerin Anette Gericke übergab.

Im Doppelinterview mit der Rundschau blicken beide zurück und vor allem nach vorn - denn auch nach dem Führungswechsel will die ebv wichtige Impulse zur Stadtentwicklung geben.

Herr Schmidt, "Ich habe fertig" sagten Sie bei Ihrer Verabschiedung. Kann man das wörtlich nehmen?

Schmidt: Ja, weil wir bei meinem Start 1986 drei Ziele formuliert hatten: Die ebv sollte wachsen, sich dabei nicht übernehmen und eine echte Marke werden. Unser Bestand hat sich seitdem um gut 400 Wohnungen erhöht und wir stehen wirtschaftlich gut da: Bei einem Unternehmenswert von geschätzt 170 Millionen Euro haben wir nur 10 Millionen Euro Verbindlichkeiten. Damit sind wir eine der gesündesten Genossenschaften in ganz Deutschland. Und zu einer Marke ist die ebv mit dem vor 15 Jahren erfundenen Slogan "In Wuppertal gibt's auch glückliche Mieter - bei der ebv" ebenfalls geworden. Und das ist nicht nur ein Werbespruch: Wir haben immer versucht, unseren Mitgliedern neben bezahlbarem Wohnraum auch viel Service und eine familiäre Atmosphäre zu bieten.

Der Genossenschaftsgedanke ist Weltkulturerbe. Welche Bedeutung hat er für Sie?

Schmidt: Der ist ja eine Erfindung aus dem Mittelalter, die bis heute trägt: Menschen schließen sich zusammen, um gemeinsame Aufgaben zu bewältigen. Man muss sich dabei vor Augen halten, dass die Bevölkerung von Barmen und Elberfeld explodiert ist - von 146.000 im Jahr 1871 auf 340.000 im Jahr 1910. Da gab es eine unvorstellbare Wohnungsnot, der mit der Gründung von Genossenschaften wie der ebv begegnet wurde. Und im Kern geht es ja heute immer noch darum, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen und Menschen ein sicheres Zuhause zu bieten. Nur dass wir heute auch die Erfordernis haben, Geld zu verdienen, um in unsere älter werdenden Häuser investieren zu können und weitere Wohnungen zu schaffen. Insofern ist der Gedanke immer noch absolut modern.

Frau Gericke, sie treten da ja in wirklich große Fußstapfen ...

Gericke: Natürlich. Dass die ebv wirtschaftlich erfolgreich da steht und als "guter Vermieter" angesehen wird, liegt an der kompetenten Führung von Gerd Schmidt. Und der Generationswechsel geht ja auch noch weiter, da seine Vorstandskollegen Heinz Dohmen und Uwe Schweichert in den kommenden Jahren ebenfalls ausscheiden werden. Deshalb werde ich jetzt oft gefragt: "Wie geht es weiter mit der ebv? Wird es neue Ziele geben? Was wird sich ändern? Einige Mieter fragen mich auch, ob denn das vertraute und gemütliche Miteinander so erhalten bleibt.

Und was antworten Sie darauf?

Gericke: Auch wenn mit dem Abschied von Gerd Schmidt "eine Ära zu Ende geht", wie ich in meiner Abschiedsrede gesagt habe, sind doch die Ziele und Werte, die er mit seiner jahrelang praktizierten Unternehmensphilosophie und Strategie geprägt hat, bei der ebv verankert. Insofern beantworte ich diese Frage immer so: Mir ist es wichtig, auch in Zukunft das vertraute, respektvolle Miteinander für unsere Mieter und auch Mitarbeiter zu wahren und den Genossenschaftsgedanken in das "Heute" zu transportieren. Dabei dürfen wir jedoch auch, die wirtschaftlichen Komponenten nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen das Ziel der Bestandserweiterung weiterführen, um uns als zeitgemäßer Vermieter am Markt etablieren zu können. Nur so ist es möglich, die wirtschaftlich erfolgreiche Strategie auch in Zukunft beizubehalten. Wichtig ist nur, zu erkennen, dass sich die Zeiten geändert haben und wir heute mit einem hohen Anspruch an Wohnqualität und Dienstleistungsorientierung den Markt bedienen wollen. Da die ebv seit 1898 besteht, ist es nur logisch, dass der Bestand veraltet. Es müssen also neue und auch andere Wege beschritten werden, um die genannten Ziele weiterhin zu erreichen.

Welche Wege meinen Sie?

Gericke: Die ebv steckt seit geraumer Zeit etwa 4 Millionen Euro jährlich in die Instandhaltung. Das ist sicher gut investiertes Geld. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass immer mehr Menschen den Wunsch nach barrierearmen Gebäuden und besserer Technologie - "Zauberwort Digitalisierung" - haben. Beides lässt sich im, Altbestand oft nicht nachrüsten. Wir müssen also nicht nur über Neubauten, sondern auch über Ersatzbauten nachdenken.

Was ist mit Ersatzbauten gemeint?

Gericke: In Wuppertal gibt es nicht viele neue Grundstücke für Wohnungsbau. Die Politik bemüht sich zwar, Flächen zu diesem Zweck zu entwickeln, jedoch ist der Bedarf lange noch nicht gedeckt. Hier könnte man zwei Aspekte zusammenführen: Wenn sich der Altbestand nicht mehr wirtschaftlich sanieren lässt und eine Sanierung keinen marktgerechten Wohnraum verspricht, sollte das Objekt abgebrochen und durch einen "Ersatzbau" - also Neubau - ersetzt werden, der die zeitgemäßen Ansprüche der Menschen bedienen kann. Ein umfangreiches und sozial verträgliches Umzugsmanagement ist die Voraussetzung für das Gelingen eines solchen Projektes. Ziel ist es ja. die Mieter im Bestand zu halten. Die ebv ist in diesem Zusammenhang auch an einer sinnvollen Stadtentwicklung interessiert. Wenn wir in fünf Jahren unser 125-jähriges Bestehen groß feiern, sollte nicht nur der historische Genossenschafts-Wohnungsbau stadtentwicklungstechnisch interessant sein, sondern auch das, was wir heute mit unserem zeitgemäßen Wohnungsbau als Genossenschaft stadtbildprägend errichten.

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