Gemeinde Gemarke-Wupperfeld Wichteln statt Viewing

Wuppertal · Zur Fußball-WM gibt es in diesem Jahr weder Flaggen noch Public Viewing im Schülercafé SCOT der ev. Gemeinde Gemarke-Wupperfeld, sondern einen adventlichen Boykott.

Jan, Marvin und Leonie.

Jan, Marvin und Leonie.

Foto: Damaschke/Müller

Die Fußball-WM als Wintermärchen? Im Schülercafé SCOT ist davon nichts zu sehen. Am Eingang steht ein dicker Wichtel, den Jan, Marvin und Leonie erst mal freundlich begrüßen, bevor sie nach der Schule ins SCOT kommen. Gerne hätte Jugendleiter Holger Müller ihn als Fußballfan mit Trikot und Fahne ausstaffiert, aber darauf hat er verzichtet. Auch die Nationalflaggen der teilnehmenden Mannschaften fehlen im Flur. Stattdessen hängt dort eine große Regenbogenfahne – als Zeichen der Solidarität mit queeren Menschen.

„Wir sind hier sehr fußballbegeistert und haben unsere Räume bisher für jede Welt- und Europameisterschaft geschmückt und Public Viewing für den ganzen Stadtteil angeboten“, erklärt Holger Müller. „Doch diesmal hat die FIFA so massiv ihre eigenen Werte verraten, dass wir der WM bei uns keine große Bühne geben möchten.“

 Jugendleiter Holger Müller kickert mit Jan und anderen Jugendlichen.

Jugendleiter Holger Müller kickert mit Jan und anderen Jugendlichen.

Foto: Damaschke/Müller

Eine Entscheidung, die Holger Müller und seinem Team schwergefallen ist. Doch als kurz vor der WM in Interviews mit Repräsentanten des Gastgeberlandes Katar herauskam, dass sie Homosexualität als geistige Schaden und Frauen als Süßigkeiten sehen, war für sie endgültig klar, dass das Public Viewing ausfällt.

Plätzchen backen und fernsehen

Eine „kleine Bühne“ aber ist für die WM reserviert. Wenn die Spiele übertragen werden, schalten auch die Mitarbeitenden des SCOT den Fernseher für die Kinder und Jugendlichen an. Viele wollten auf die Spiele nicht verzichten und würden sonst zuhause bleiben, vermutet Holger Müller. Doch dabei wird gebacken, gebastelt, gekickert und geredet – auch über die großen Themen, die die WM noch mal ins Bewusstsein gebracht hat: Menschen- und Frauenrechte, Greenwashing und Sportkommerz.

Fußball schauen wird zur „Nebensache“ im SCOT.

Fußball schauen wird zur „Nebensache“ im SCOT.

Foto: Damaschke/Müller

In dieser Woche findet im SCOT der traditionelle Wichtelmarkt mit vielen Aktionen für Kinder und Jugendliche statt. Am vergangenen Samstag wurde er mit einem Fußballturnier eröffnet. Am Sonntag fand ein Torwandschießen statt. Zu gewinnen gab es Adventskalender. Ein bisschen „Winter“- statt „Sommermärchen“, die man sich seit dem Jahr 2006 bei Fußballweltmeisterschaften wünscht, gibt es also doch.

Verantwortung übernehmen und Haltung zeigen

Ein Singstar-Spiel mit Fußballsongs soll auch noch ausgetragen werden. „Es ist uns wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen weiterhin Spaß am Fußball haben“, betont Holger Müller. „Doch wir möchten auch Haltung zeigen, denn dafür steht unsere Kinder- und Jugendarbeit.“ Ob Homosexualität, Rassismus, Klimaschutz oder der Ukraine-Krieg – stets habe man Stellung bezogen und damit gezeigt, dass Kirche auch eine gesellschaftliche und politische Verantwortung wahrnehme.

 Zeichen der Solidarität: Jugendleiter Holger Müller vor der Regenbogenfahne.

Zeichen der Solidarität: Jugendleiter Holger Müller vor der Regenbogenfahne.

Foto: Damaschke/Müller

Im SCOT sind dafür keine großen Worte und langen Rede nötig. Es seien eher die „Nebenbeigespräche“ und das soziale Miteinander, in denen diese Haltung sichtbar werde, betont der Jugendleiter. „Wenn Jugendliche fragen, warum es kein Public Viewing gibt oder irritiert sind über die Regenbogenfahne, sind wir schon mittendrin im Gespräch.“

Das kann beim Plätzchenbacken, Basteln und Kickern geschehen, aber auch in Holger Müllers Büro. Seine Tür steht immer offen. Auch für ganz praktische Fragen wie die, ob man zur nächsten Fußballübertragung im Trickot der Lieblingsmannschaft erscheinen darf. „Na klar“, meint Holger Müller und scherzt: „Wenn’s nicht gerade Bayern München ist.“

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