Interview: Eva-Maria Böttcher hat erst nach einem Burnout-Syndrom zu sich gefunden "Die Signale sind deutlich"

Eva-Maria Böttcher (60) hat es erwischt. Wie viele andere auch. Nach Jahrzehnten ungebremster Leistungsbereitschaft ging plötzlich nichts mehr. Burn-out. Heute sagt sie: Das ist das Beste, was mir passieren konnte.

 Eva-Maria Böttcher findet heute, dass es keine gute Idee ist, total normal zu sein. Sie hält es mit Erasmus von Rotterdam, der einmal geschrieben hat: "Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit."

Eva-Maria Böttcher findet heute, dass es keine gute Idee ist, total normal zu sein. Sie hält es mit Erasmus von Rotterdam, der einmal geschrieben hat: "Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit."

Foto: kpm

Die Rundschau sprach mit ihr.

Man sagt, die Chinesen benutzen die gleichen Zeichen für "Krise" und "Chance"...

Eva-Maria Böttcher: Ach ja? Das deckt sich durchaus mit meinen Erfahrungen.

Welche Chance haben Sie bekommen?

Ich konnte endlich einen Weg zu mir selbst finden. Mein halbes Leben war eigentlich eine Krise, ich war mir nie gut genug, wollte es immer anderen recht machen und war innerlich voller Angst. Nach dem Zusammenbruch kam für mich der Aufbruch.

Wie kriegt man das hin?

Zunächst einmal habe ich versucht zu verstehen, was da eigentlich mit mir passiert war. Dabei habe ich nicht nur in mich hineingehorcht, sondern mir auch Hilfe von Menschen geholt, die ich noch heute als meine "Engel" bezeichnen würde. Ich musste schließlich lernen, meine eigenen Orientierungen zu finden. Das war ein hartes Stück Arbeit. Dann habe ich Seminare besucht, sehr viel gelesen. Nicht nur über das Burnout-Syndrom, sondern auch philosophische und spirituelle Themen interessieren mich und haben mir neue Sichtweisen erschlossen. Zwei Coaching-Ausbildungen habe ich schließlich auch gemacht. Im Lauf der Zeit bin ich Stück für Stück zur Expertin für meine Probleme, genauer gesagt, für psychische Störungen im beruflichem Umfeld, geworden.

Und wie ging es dann weiter?

Ich war ja viele Jahre Bildungsreferentin bei der IG Metall. Da lag es nahe, mein Wissen weiter mit anderen zu teilen, auch auf der gewerkschaftlichen Ebene. Deshalb habe ich angefangen, Selbsthilfegruppen ins Leben zu rufen, und Seminare für Betriebsräte zum Thema "Frühwarnsysteme für psychisch erkrankte Beschäftigte" konzipiert. Auch etwas, das ich nur machen konnte, weil ich selbst ein Burnout-Syndrom erlebt habe. Und gerade deshalb war es mir auch wichtig.

Sie sprechen von Warnsignalen. Kommt der Zusammenbruch nicht plötzlich?

Der Kollaps kommt vielleicht über Nacht, aber heute weiß ich: Ich hätte schon Jahre früher etwas tun können.

Woran erkenne ich die Gefährdung?

Man fühlt es, gesteht es sich aber nicht ein. Man verliert zunehmend die Freude am Leben, vergisst sich permanent selbst, zieht sich aus dem sozialen Umfeld zurück und vermeidet es tunlichst, darüber intensiver nachzudenken. Mit anderen Worten: Die Signale sind deutlich genug. Irgendwann funktionieren Sie einfach nur noch. Genau so lange, bis Sie ihr Päckchen nicht mehr tragen können. Und dann bekommen Sie vielleicht ihre große Chance ...

(Rundschau Verlagsgesellschaft)
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