Interview mit Pastoralreferent Dr. Werner Kleine "Der Papst spricht nicht immer unfehlbar"

Wuppertal · "Tiere segnen Sie, aber Homosexuelle nicht." Mit diesem Vorwurf unterbrach ein junger Wuppertaler Pastoralreferent Werner Kleine während der Tiersegnung Anfang Oktober auf dem Laurentiusplatz.

 Werner Kleine bei der Tiersegnung auf dem Laurentiusplatz.

Werner Kleine bei der Tiersegnung auf dem Laurentiusplatz.

Foto: Wuppertaler Rundschau / Simone Bahrmann

Kleine reagierte schnell: "Ich segne Sie auch." Volontärin Hannah Florian blieb der Vorfall im Kopf. Sie suchte das Gespräch mit dem Pastoralreferenten der Katholischen Citykirche.

Rundschau: Die katholische Kirche bezeichnet homosexuelle Neigungen als unmoralisch. Warum erhält ein Homosexueller trotzdem Ihren Segen?

Kleine: Weil die Kirche Homosexuellen nicht kritisch gegenüber steht. Das ist ein großes Vorurteil. Es gibt sicher Amtsträger, die Vorbehalte gegenüber Homosexuellen haben. Die Kirche an sich aber nicht. Vorbehalte gibt es nur gegenüber ausgelebter Homosexualität.

Rundschau: Was für ein Unterschied wird da gemacht?

Kleine: Nach traditioneller katholischer Auffassung dient der sexuelle Akt der Zeugung von Nachkommen. Ein homosexuelles Paar kann ohne Tricksereien keine Nachkommen zeugen. Jetzt lässt sich zu Recht die Frage stellen: Kann man Homosexualität und ausgelebte Homosexualität überhaupt trennen? Da sage ich nein. Deshalb muss an dieser Stelle ein Schritt nach vorne gegangen werden.

Rundschau: Papst Franziskus sagte vor einigen Jahren über Homosexuelle: "Wer bin ich, sie zu verurteilen." Dann geraten Aussagen von ihm in die Presse, dass Kinder mit homosexuellen Neigungen therapiert werden sollen. Wie kann mit solchen Widersprüchen umgegangen werden?

Kleine: Bei Papst Franziskus sehe ich das Problem, dass seine offene Art direkt als Akt der Befreiung erlebt wurde. Trotzdem steht Franziskus mit beiden Beinen in der Tradition der Kirche. Die Frage ist, wie wichtig ein Wort des Papstes im Leben eines Katholiken ist. Der Papst spricht nicht immer unfehlbar und nicht immer, wenn der Papst etwas sagt, hat der Katholik zu spuren. Wir sind schließlich erwachsene Menschen, die selbst denken können.

Rundschau: Der Papst ist aber das Oberhaupt der katholischen Kirche und kreiert mit solchen Aussagen ein bestimmtes Bild.

Kleine: Natürlich hören alle zu, wenn der Papst etwas sagt, aber wir müssen nicht blind folgen. Alle warten darauf, dass der Papst sagt, Homosexuelle dürfen jetzt heiraten. Das wird er nie sagen. Der Papst ist der Garant für die Einheit der katholischen Kirche. Es gibt Menschen in der Kirche, die halten Homosexualität für Sünde. Der Papst muss alle Meinungen unter einem Dach zusammenhalten.

Rundschau: Denken Sie, dass Homosexualität Sünde ist?

Kleine: Ich finde keine Hinweise darauf, warum das so sein sollte. Ich bin hetero, aber ich habe mir das nicht ausgesucht. Ich kann es mir nicht vorstellen, wie es ist, einen Mann zu küssen oder mit einem Mann zu verkehren. Ein homosexueller Mensch liebt eben das gleiche Geschlecht. Er ist von Gott so geschaffen, also kann das keine Sünde sein.

Rundschau: Würde der Papst einen homosexuellen Menschen segnen?

Kleine: Ja, gehe ich von aus. Ich kenne den Zusammenhang der Aussage nicht, dass Kinder mit homosexuellen Neigungen therapiert werden sollen. Aber mein Lateinlehrer sagte immer, vor dem Gebrauch des Mundwerks das Gehirn einschalten. Das würde ich dem Papst gerne sagen.

Rundschau: Erleben Sie in Ihrem Berufsalltag öfter Situationen wie den Vorfall auf dem Laurentiusplatz?

Kleine: Das kommt vor, schließlich stehe ich als Katholik oft in der Öffentlichkeit. Die Menschen wissen nicht, dass ich zu Homosexualität eher ein entspanntes Verhältnis habe. Leider ist der junge Mann, der mich auf dem Laurentiusplatz unterbrochen hat, weggegangen. Ich hätte ihm gerne den Segen erteilt.

Rundschau: Ist es schwer für einzelne Gemeinden, sich öffentlich gegen die Ansichten des Papstes zu stellen?

Kleine: Prinzipiell nein. Wo wir allerdings in Konflikt geraten können, ist in Fragen der Sexualmoral und Sittenlehre. Ich weiß von Kirchenmusikern, die homosexuell sind und mit gleichgeschlechtlichen Partnern zusammenleben. Im Grunde genommen dürfte ihnen aus diesem Grund gekündigt werden. Das hängt immer vom leitenden Pfarrer ab. Wenn er die Füße still hält, dann passiert da nicht viel. Aber für die Betreffenden ist das ein unhaltbarer Zustand. Was passiert, wenn der Pfarrer plötzlich wechselt?

Rundschau: Wird sich die Situation in der katholischen Kirche in den nächsten Jahren verändern?

Kleine: In der Zivilgesellschaft hat sich in den letzten 30 Jahren bereits viel getan. Die Kirche hängt hinterher, aber wir sollten ihr die Chance geben, tief durchzuatmen und zu erkennen, dass die Welt offenkundig nicht untergegangen ist.

Dazu auch die Umfrage (bis 30. Oktober 2018, 11 Uhr): hier klicken!

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