Sollen und Sein in der Wuppertaler Selbstverwaltung Sind Stadtbezirke Stiefkinder der Kommunalpolitik?

Betr.: Aktion „Wohnen in der Politik“ / Tischgespräch „Die Spielregeln der Stadt“

Das Tischgespräch „Die Spielregeln der Stadt“ am 14. März 2020 im Schauspielhaus war thematisch eine Fortsetzung des Tischgesprächs „Stadt gestalten“ vom Vortage. Während es im ersten Gespräch um ein reales Problem in einem konkreten Bezirk gegangen war – Verkehrsberuhigung der Friedrich-Engels-Allee in Barmen –, stand jetzt zur Debatte, nach welchen Spielregeln die Angelegenheiten der Bezirke eigentlich geregelt werden sollen und tatsächlich werden, was die Gemeindeordnung über die Bezirke sagt und wie sie in Wuppertal wirklich mit Machtmitteln und Personal ausgestattet sind.

Als Experten hatten die Veranstalter, Mitarbeiter des Fachs Public Interest Design an der Wuppertaler Universität, außer dem Büroleiter des Oberbürgermeisters, Michael Telian zwei Bezirksbürgermeister eingeladen: Aus Langerfeld-Beyenburg Eberhard Hasenclever und aus Ronsdorf Harald Scheuermann-Giskes, der auch sachkundiger Bürger im Stadtrat ist. Sie ließen sich von der Corona-Pandemie nicht davon abhalten, diese nicht alltägliche Gelegenheit der Außendarstellung wahrzunehmen, aber aus dem Kreis der engagierten Bürger war nur ein einziger da, obwohl es sonst etwa 20 Interessierte waren. Das war wohl der Todesstoß für das Projekt „Wohnen in der Stadt“, in dessen Rahmen die Tischgespräche stattfanden. Tröstlich ist, dass ungefähr ein Drittel des Programms durchgeführt werden konnte, während spätere Großveranstaltungen wie der Heimat-Kongress in der Stadthalle am 28. März 2020 abgesagt werden mussten.

Auf dem Tisch waren Exemplare der „Kreisordnung und Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen“ ausgelegt, und §1 der Gemeindeordnung, Wesen der Gemeinden, diente dem Moderator Pierre Smolarski als Einstieg: „Die Gemeinden sind die Grundlage des demokratischen Staatsaufbaus. Sie fördern das Wohl der Einwohner in freier Selbstverwaltung durch ihre von der Bürgerschaft gewählten Organe. Sie handeln zugleich in Verantwortung für die zukünftigen Generationen.“ Das bildet den allgemeinen Rahmen für die folgenden Normen, wirft aber auch Fragen danach auf, was die darin verwendeten Begriffe bedeuten.

„Was ist der Unterschied zwischen Einwohnern und Bürgern?“, „Welche gewählten Organe gibt es und in welcher Beziehung stehen sie zueinander?“ und „Was bedeutet es, das Wohl der jetzt lebenden Generation zu fördern und zugleich in Verantwortung für die zukünftigen zu handeln?“ – diese Fragen wurden unter dem Gesichtspunkt der spezielleren Normen behandelt.

Die Stadt Wuppertal ist keine gewöhnliche Gemeinde, zwischen der und dem Land es noch den Kreis als kommunale Ebene gibt, sondern aufgrund ihrer Größe eine kreisfreie Stadt und somit direkt dem Land unterstellt. Dafür gibt es aber im Gegensatz zu kleineren Gemeinden eine Gliederung in Bezirke. Dort gibt es als demokratisches Organ die Bezirksvertretung mit einem Bezirksbürgermeister an der Spitze, während es auf der Stadtebene den Rat und einen Oberbürgermeister gibt, der gleichzeitig den Vorsitz im Rat hat und Chef der Verwaltung ist. Diese Doppelfunktion des Oberbürgermeisters ist relativ neu, sie wurde 1994 in einer neuen Fassung der Gemeindeordnung eingeführt.

Gestärkt wurden auch die Rechte der Bürger durch die Instrumente der Einwohner-Bürgerbeteiligung, des Einwohnerantrags, des Bürgerbegehrens und der Bürgerbefragung, was auch Gegenstand der Erörterungen war. In diesem Zusammenhang ist auf das Beispiel der Verkehrsberuhigung hinzuweisen, wo ein engagierter Bürger von diesen neuen Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat.

Wofür ist ein Stadtbezirk zuständig? Laut §38, Aufgaben der Bezirksvetretungen …,wenn der Rat nicht ausschließlich zuständig ist, „unter Berücksichtigung der Belange der gesamten Stadt und im Rahmen der vom Rat erlassenen allgemeinen Richtlinien“ für alle „Angelegenheiten, deren Bedeutung nicht wesentlich über den Stadtbezirk hinausgeht“. Dazu gehört unter anderem der Betrieb von Grundschulen sowie „Büchereien und ähnliche soziale und kulturelle Einrichtungen“. Nicht dazu gehört etwa das Opernhaus, weil es für die gesamte Stadt ist.

Die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Bezirken im Rahmen dieser eng anmutenden Spielregelungen scheint nicht immer problemlos zu sein, aber die allgemeine Botschaft war, dass in diesem Bereich Änderungen zum Positiven angestrebt werden.

Bisher nicht oder für die Öffentlichkeit nicht erkennbar umgesetzt ist §38, Bezirksverwaltungsstellen in den kreisfreien Städten. Für die Bezirke gibt es Geschäftsführer*innen, die allerdings nicht im jeweiligen Bezirk, sondern im Rathaus in Barmen sitzen. Aber in Abs. 1 dieser Norm steht: „Für jeden Stadtbezirk ist eine Bezirksverwaltungsstelle einzurichten. Die Hauptsatzung kann bestimmen, dass eine Bezirksverwaltungsstelle für mehrere Stadtbezirke zuständig ist oder dass im Stadtbezirk gelegene zentrale Verwaltungsstellen die Aufgaben einer Bezirksverwaltungsstelle mitverwalten.“ §7 der Wuppertaler Hauptsatzung legt fest, dass die Bezirke Cronenberg, Langerfeld-Beyenburg, Ronsdorf und Vohwinkel eine eigene Bezirksverwaltungsstelle haben, für alle anderen Bezirke deren Funktion vom Rathaus in Barmen oder im Verwaltungshaus Elberfeld wahrgenommen wird.

Die Verwaltungsseite scheint in dieser Hinsicht kein Hemmnis für die eigenständige Arbeit der Bezirksvertretungen zu sein, aber unter „Bezirksverwaltungsstelle“ gibt es im Internet keinen Treffer, nur die Verlegenheitslösung „Bezirksvertretung“: Dass etwas beschlossen ist, bedeutet nicht, dass es auch umgesetzt wird. Es wurde kritisch angemerkt, dass die Bezirksvertreter keinerlei Weiterbildung erhalten, die sie in die Lage versetzen würde, ihre Aufgabe zu erfüllen.

Beim Tischgespräch nicht erwähnt wurde ein Punkt, der für Engagierte wichtig sein könnte: Zu den Aufgaben der Bezirksvertretung gehören auch „Betreuung und Unterstützung örtlicher Vereine, Verbände und sonstiger Vereinigungen und Initiativen im Stadtbezirk“ sowie „kulturelle Angelegenheiten der Stadtbezirke einschließlich Kunst im öffentlichem Raum, Heimat- und Brauchtumspflege im Stadtbezirk“.

Ein drängendes finanzielles Problem im kulturellen Bereich dürfte sich für die privaten Theater wie Stößels Komödie in Elberfeld und das TiC in Cronenberg ergeben, weil wegen der Corona-Pandemie die Einnahmen aus Eintrittsgeldern wegfallen, aber die fixen Kosten bleiben. Ob das in die Zuständigkeit der jeweiligen Bezirksvertretung fällt? Wenn ja: Wer müsste sich gegebenenfalls an wen wenden, damit der Konkurs eines solchen Theaters abgewendet werden kann?

Ferner gibt es ein Förderprogramm „Heimat.Zukunft.Nordrhein-Westfalen“, das bis 2022 läuft. Auf dessen Internetseite wird verbreitet: „Heimat ist, was Menschen zusammenbringt“ und „Heimat zu haben heißt: Heimat zu gestalten.“ Da Heimatpflege eine Standardaufgabe von Bürger- und Heimatvereinen ist, stellt sich die Frage, welche Rolle die Wuppertaler Bezirksvertretungen in diesem Zusammenhang spielen könnten.

Zu guter Letzt stellt sich die Frage, was alles unter den Begriff der Kunst im öffentlichen Raum fällt. Gehören außer Standbildern und Zierbrunnen auch Folklorefeste und Aktionskunst im Stile des Projekts der Studenten des Public Interest Designs dazu, das auch Thema von „Wohnen in der Politik“ war?

Dr. Rüdiger Blaschke

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