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Wuppertaler Schauspiel: Spielzeitstart mit "Waisen" von Dennis Kelly

Spielzeitstart im Schauspiel : Mosaik der Monstrositäten

Endlich wieder echtes Theater! Das Wuppertaler Schauspiel hat mit „Waisen“ von Dennis Kelly am Engelsgarten seine Spielzeit eröffnet. Ein wort-gewaltiges Drei-Personenstück auf außergewöhnlichem Niveau.

So leise, so zärtlich fängt das an. Helen (Lena Vogt) und Danny (Alexander Peiler) sind zu Hause, ihr kleiner Sohn bei Dannys Mutter. Die karge Bühne (Milagros Pia del Pilar Salecker) noch schummrig blau ausgeleuchtet. Das Paar wird zu romantischer Musik gleich zu tanzen beginnen. Da flammt das von nun an beherrschende grell-weiße Licht auf – und Helens Bruder Liam (Kevin Wilke), der einen Schlüssel zum Haus hat, obwohl er anderswo wohnt, steht mit blutverschmiertem Hemd im Raum.

Ab jetzt wird nichts mehr gut. Im Gegenteil. Angeblich hat Liam auf der Straße einem von einer Messerattacke verletzten Jugendlichen helfen wollen. Angeblich. Immer mehr Fragen drängen sich auf, immer mehr Widersprüche stehen im Raum. In nur einer Stunde und 50 Minuten (ohne Pause) entfaltet sich eine scheinbar nicht endenwollende Reihe schrecklicher Wahrheiten. Nicht allein, was das Geschehen mit Liam auf der Straße angeht. Auch die fragile Situation zwischen der gerade schwangeren Helen und dem gutbürgerlich erfolgreichen Danny, der jedoch draußen auf der Straße schon von ausländischen Jugendlichen verprügelt worden ist, zeigt tiefe Risse. Trautes Heim, Glück allein? Oh nein! Das Wohnviertel erscheint plötzlich feindlich, die sozialen Spannungen zwischen Einheimischen und Migranten tief – und die Verbindung der Waisen Helen und Liam, deren Eltern vor langer Zeit verbrannt sind, offenbart Abhängigkeiten und Abgründe. Was sich jetzt entwickelt, ist eine scheinbar unaufhaltsame Spirale der Gewalt – gewürzt mit Rache, (Verlust-)Angst, Minderwertigkeitsgefühlen, sozialer Kälte.

  • Das Opernhaus in Wuppertal-Barmen.
    75.000 Euro : Wuppertaler Bühnen erhalten den Theaterpreis
  • Das Engels-Haus in Barmen.
    Ab 27. Juni 2021 : Engels-Stadtführung mit Besuch im Engels-Haus
  • Das Opernhaus wurde vom Hochwasser erheblich
    Ab dem 9. August : Hochwasser: Vorverkauf der Bühnen eingeschränkt

Die Inszenierung von Bastian Kabuth führt die Zuschauer geradezu durch eine ganze Wechselbadeanstalt der Gefühle: Da mögen die Dialoge ein ums andere Mal etwas langatmig erscheinen, aber wenn man ehrlich ist, ist jedes Wort nötig, um die Demaskierung spürbar, erlebbar zu machen.

Schlimme Brutalität, schreckliche verschüttete Wut, lange, dunkle Seelenschatten, heftige Gefühlsausbrüche prägen dieses Closed-Room-Stück. Zu sehen ist nichts, wenn man so will: Alles, was Schlimmes passiert, wird „nur“ erzählt. Und ist eben darum noch viel schlimmer. Wenn es gegen Ende sogar der so ruhige, so nachdenkliche Danny ist, der in den Abgrund-Sog gerät – dann mag man ihr gar nicht mehr zuhören, der Kleinteiligkeit dieses Mosaiks der Monstrositäten. Die Ausweglosigkeit, in die sich die drei Personen manövriert haben, macht fast fassungslos.

Gespielt wird das von einer Frau und zwei Männern auf wirklich hohem Niveau – inklusive großer Bandbreite der Gefühle, breitem Spektrum der Stimmen und Stimmungen, starkem Setzen von Kunstpausen. Kevin Wilke zieht erschreckend gut alle Register einer verlorenen Seele, wird am Ende verstoßen. Alexander Peiler durchlebt in 110 Minuten die Vernichtung seines gesamten Lebensentwurfes. Sein Schlussauftritt ist heftig und hart.

Aber Lena Vogt. Oh, wie sie das macht. Zart, klein, hat sogar die Füße mädchenhaft unterm Stuhl verdreht. Und ist doch gar nicht klein, gar nicht zart. Führt eine mögliche Abtreibung wie ein Schwert gegen Danny, fordert von ihm den Beweis, dass er kein Feigling sei, enthüllt auch ihrem Bruder eine bittere Wahrheit. Dann muss sie lachen und glaubt (auch sie eine Verlorene), alles sei wieder gut. Nein, ist es nicht.

Grauenhaft, diese „Waisen“. Großartiges Theater.

Die nächsten Aufführungen im Theater am Engelsgarten unter anderem am 3., 5. und 18. September 2021. Einlass für alle mit einem der drei G. Während des Stückes muss eine Maske getragen werden. Tickets, Infos und mehr auf www.wuppertaler-buehnen.de.