Urteil vor dem Landesarbeitsgericht zum Tanztheater-Prozess Kündigung von Adolphe Binder bleibt unwirksam

Wuppertal · Die Kündigung, die das Wuppertaler Tanztheater Pina Bausch im Juli 2018 gegen seine Intendantin Adolphe Binder ausgesprochen hat, bleibt unwirksam. Das hat das Landesarbeitsgericht in Düsseldorf am Dienstag (20. August 2019) entschieden.

 Adolphe Binder mit Rechtsanwalt Steinbeiss. Das Gericht entschied: Ihre Kündigung bleibt unwirksam.

Adolphe Binder mit Rechtsanwalt Steinbeiss. Das Gericht entschied: Ihre Kündigung bleibt unwirksam.

Foto: Mikko Schümmelfeder

Eine Revision ist nicht zugelassen. In dem Urteil heißt es, das Tanztheater habe keine hinreichenden Gründe für die fristlose Kündigung geliefert. Das angeführte Fehlen eines umsetzbaren Spielplanes reiche dafür nicht aus. Zuvor hatte auch das Wuppertaler Arbeitsgericht der 50-Jährigen Recht gegeben.

Binder hat das Tanztheater auch auf Weiterbeschäftigung und Zahlung des Gehaltes verklagt. Dazu hat das Gericht noch nicht geurteilt.

„Das hier ist kein Ermittlungsverfahren!“, bremste der Vorsitzende Richter Alexander Schneider die Erwartungshaltung im übervollen Gerichtsraum des Landesarbeitsgerichts in Düsseldorf, und setzte nach: „Wir beschränken uns auf den Klage-Gegenstand“.

Das Tanztheater hatte schon in der ersten Instanz schweres Geschütz aufgefahren. Der Vorwurf, Adolphe Binder habe keinen oder einen nur schwer umsetzbaren Spielplan für die Theatersaison 2018/2019 vorgelegt, hatte den Fakten damals schon nicht standgehalten. Es habe sehr wohl einen Plan gegeben, so Adolphe Binder, der im Nachhinein von ihrer Nachfolgerin für die erste Hälfte der Saison auch durchgeführt worden sei.

Keine Einschränkung bei künstlerischen Entscheidungen

Dass auch aufwendige Produktionen geplant waren, wie die Wiederaufführung des seit zwanzig Jahren ungespielten Erfolgsstücks „Café Müller“, schien den Kaufleuten in der Verwaltung des Tanztheaters schwer im Magen zu liegen.

 Adolphe Binder und die Rechtsanwälte.

Adolphe Binder und die Rechtsanwälte.

Foto: Mikko Schümmelfeder

Aber hatte die Verwaltung denn überhaupt die Entscheidungsgewalt, um Adolphe Binder zu bremsen, die in ihren Augen ja nur eine Angestellte war? Eben nicht, sagte das Gericht schon in der 1. Instanz und kam zum Dreh- und Angelpunkt dieses Streites: dem Arbeitsvertrag. Denn der enthielt nach Meinung des Gerichts keine Einschränkungen, vor allem nicht bei künstlerischen Entscheidungen. Der Vorsitzende Richter sah Parallelen zur Bundesliga – „ein Hoeneß sagt dem Kovac auch nicht, welche Spieler er aufstellen soll“. Laut Roger Christmann, dem neuen Geschäftsführer, der an den Kündigungswirren nicht beteiligt gewesen sein soll, habe es aber wohl eine Vorbesprechung gegeben. Nach der sei klar gewesen, dass Adolphe Binder der Verwaltung unterstellt sei – nur, so das Gericht, sei das im Vertrag nicht zu finden! und wertete die Entwicklung so: „Das Kind ist in den Brunnen gefallen, als der Vertrag gemacht wurde.“

Eine „Carte blanche“

Aus Sicht normaler Arbeitnehmer schien der Vertrag ungewöhnlich großzügig zu sein: es gab keine Kündigungsparagraphen, es gab weder Stellenbeschreibung, Aufgabenbeschreibung noch Organigramm und auch keine Zeitplanung. Dafür aber eine großzügige Urlaubsregelung. Also: eine ‚Carte blanche’, ein nicht unüblicher Vertrauensbeweis, mit dem gemeinhin auch Spitzenkräfte in der Wirtschaft gelockt werden.

 Adolphe Binder.

Adolphe Binder.

Foto: Jens Grossmann

Als hilflose Versuche, aus Randgeräuschen trotzdem einen Hebel zur Vertragsaufhebung zu konstruieren, wertete das Gericht weitere Vorwürfe. Einen vermuteten und angeblich von Adolphe Binder verschwiegenen Rausschmiss beim Tanztheater Göteborg wollte das Tanztheater als arglistige Täuschung mit der Konsequenz der Vertragsaufhebung einstufen. Das Arbeitsgericht hingegen erkannte in der Übersetzung aus dem englischsprachigen Text nur eine gütliche Trennung aufgrund unterschiedlicher künstlerischer Ansichten – das sei nicht ehrenrührig, so etwas habe Adolphe Binder nicht anzugeben brauchen, zudem sei die Vereinbarung auf einer Webseite veröffentlicht worden.

„Unbelehrbar und ungeeignet“

Ein behaupteter Eignungsmangel und der Vorwurf einer chaotischen und unprofessionellen Arbeitsweise sei für das Gericht aufgrund der vorgelegten Unterlagen nicht nachzuvollziehen. Auch der Vorwurf „die Klägerin (Adolphe Binder) ist extrem ichbezogen und stellt sich in den Vordergrund“ schien dem Gericht nur ein Achselzucken und ein knappes „So what? – Na und?“ wert zu sein. Ein 80-seitiger Bericht der Beraterin Dr. Henke für die Verwaltung, der in dem Vorwurf gipfelte, Adolphe Binder sei „unbelehrbar und ungeeignet“, fiel als Beweis schon deshalb durch den Formfehler-Rost, weil er weder dem Gericht bekannt noch Adolphe Binder zugänglich gemacht worden sei. Selbst der Beirat habe nichts davon gewusst, der Richter stellte den Ausdruck „Geheimdiplomatie“ in den Raum. Als Kündigungsgrund sei das „unerheblich“ - ähnlich den Mobbingvorwürfen langjähriger Mitarbeiter, die „fehlende Wertschätzung“ beklagt haben sollen.

Und die Abmahnung, Adolphe Binder habe die Presse informiert und für ihre Zwecke eingespannt? Ebenfalls kein Kündigungsgrund, wehrte das Gericht ab - die Verwaltung des Tanztheaters und die Stadt hätten das ebenfalls gemacht.

Ein Vergleich zwischen den Parteien schien nicht möglich zu sein, wenn auch die Stadt nicht mehr so aggressiv auftrat. Adolphe Binder sah dennoch ihre Reputation angegriffen und wollte das Gericht urteilen lassen. Ein Einknicken in diesem Stadium könne als mögliches Schuldanerkenntnis gesehen werden, wie sie in einem letzten Plädoyer betonte.

Eine Ohrfeige für die Stadt

Die Abweisung der Berufung in all diesen Punkten schien dem Gericht deshalb zwingend, eine Revision wurde nicht zugelassen. Eine Ohrfeige für die Stadt, eine Genugtuung für Adolphe Binder - wenn man die Reaktionen im Publikum für sich sprechen lässt, darunter auch einige Tänzer der Compagnie.

Die Weiterverhandlung der noch offenen Punkt, die Fortführung des Arbeitsvertrages mit einer Wiedereinsetzung in ihre Funktion als Intendantin - was kaum jemand für realistisch zu halten schien - sowie die finanziellen Dinge schien das Gericht bewusst auf einen späteren Termin Ende des Jahres legen zu wollen. Der Vorsitzende machte keinen Hehl daraus, dass er – als Wuppertaler - nicht glücklich mit dem Streit sei und empfahl den Parteien, sich in dieser Zeit um eine Lösung zu bemühen.

Dass jetzt Bewegung in die Sache zu kommen scheint, war im Anschluss an die Verhandlung offensichtlich – Geschäftsführer Roger Christmann nahm unverzüglich Kontakt mit Adolphe Binder auf, um Gesprächstermine zu vereinbaren.

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