Ausbildung Steht die Akademisierung der Pflege vor dem Ende?

Wuppertal · Die Einführung einer akademischen Pflegeausbildung soll viele Bedürfnisse des Gesundheitssystems und seiner Akteurinnen und Akteure erfüllen: eine bessere Qualität in der täglichen Versorgung, eine steigende Arbeitszufriedenheit und eine zukunftsfähige Basis für die Betreuung pflegebedürftiger Menschen.

Symbolbild.

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Das Pflegestudium scheint allerdings derzeit auf unsicheren Füßen zu stehen. Aus gleich mehreren Richtungen kommen deutliche Warnrufe und Forderungen.

Verschiedene Gruppen warnen: Die Akademisierung droht zu scheitern

In diesen Tagen finden sich nicht nur Institutionen wie der Deutsche Pflegerat und die Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft unter jenen Gruppierungen, die sich für Änderungen im Bereich des akademischen Pflegestudiums aussprechen.

Auch Studierende selbst und Akteur*innen aus der Pflegeausbildung sprechen an, was sie bedrückt. Demnach scheint die Pflegeausbildung auf akademischer Basis zu wenig attraktiv zu sein, um wirklich einen Beitrag zur Zukunft der Pflege leisten zu können. Und das – so die Expert*innen und Betroffenen – hat nicht nur einen Grund.

Das Problem dabei: Akademisierte Pfleger*innen zeigen bislang im beruflichen Alltag eine geringere Krankheitslast sowie -dauer, können bei der Versorgung von Pflegebedürftigen also besonders effektiv anpacken. Umso wichtiger ist es, den Stimmen aus der Praxis Gehör zu schenken und herauszufinden, an welchen Stellen die Rahmenbedingungen zügig geändert werden müssen.

Pflegestudium: Schlechte Auslastung, hohe Abbrecherquote

In einem gemeinsamen Schreiben haben sich der Deutsche Pflegerat (DPR), die Bundesdekanekonferenz Pflegewissenschaft, die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und die Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP) bezüglich der aktuellen Situation des Pflegestudiums geäußert und prekäre Verhältnisse beschrieben.

In diesem Dokument geben die Expert*innen an, dass die Studiengänge derzeit nur zu etwa 52,6 Prozent ausgelastet seien. Die Abbrecherquote während der ersten Semester liegt bei rund 19,9 Prozent, es geht dem Studiengang folglich knapp jeder fünfte Studierende wieder verloren. Dies senkt die Auslastung ein weiteres Mal, sodass das Studium weit weniger Absolvent*innen hervorbringt als geplant und gewünscht.

Studierende gewähren beunruhigende Einblicke in offenem Brief

Für solch hohe Abbrecherquoten und eine derart geringe Auslastung gibt es zweifellos Gründe. Auf diese stoßen Beobachter*innen bei einem Blick auf den offenen Brief einiger Studierender. Aus einem Zusammenschluss von Pflegestudierenden der Charité-Universitätsmedizin Berlin, der Alice-Salomon-Hochschule und der Evangelischen Hochschule Berlin entwickelte sich die „Taskforce Pflege-Bachelor“, die ihren offenen Brief selbst als „Hilferuf“ bezeichnet.

Die Studierenden sprechen im Brief sowohl den Senat als auch das Abgeordnetenhaus und den Bundestag an, beschreiben ihre derzeitige Situation vor allem im Hinblick auf die finanzielle Lage als prekär und fordern von den Verantwortlichen Veränderungen. Ihre Forderung: Künftig sollen Pflegestudierende mindestens 1.000 Euro monatlich erhalten. Dies entspräche in etwa jenem Gehalt, welches Auszubildenden in der Pflege und Hebammenstudierenden schon jetzt zufließt.

Finanziell unterversorgt und trotzdem überarbeitet

Aus dem offenen Brief der Studierenden und aus weiteren Berichten geht hervor, dass das Pflegestudium den Studierenden viel abverlangt. Der Studiengang selbst ist unterteilt in einen praktischen Teil und in einen Universitätsteil. Rund die Hälfte des Studiums verbringen die Studierenden in Pflegeeinrichtungen. Hier arbeiten sie etwa 40 Wochenstunden, meist im Schichtdienst. Der Rest des Studiums findet an der jeweiligen Hochschule statt.

Das Problem: Weder für die Arbeit in der Pflege noch für die Zeit des Studierens erhalten die Studierenden eine Vergütung. Im Regelfall müssen sie zusätzlich sogar Semesterbeiträge zahlen, welche ihr Budget mit bis zu 700 Euro jährlich belasten.

BAföG oder auch finanzielle Unterstützung aus dem Elternhaus erhalten nicht alle Studierenden, sodass diejenigen ohne derlei Förderung oft parallel zu ihrem Pflegejob und Studium einer bezahlten Arbeit nachgehen müssen.

Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt daher nicht selten bis zu 70 Stunden, wobei ihnen dies oft gerade einmal ein Leben am Existenzminimum ermöglicht. Auch das sprechen die Studierenden in ihrem offenen Brief an und beschreiben eine emotionale, finanzielle als auch körperliche Belastung, welche viele Studierenden letztlich zum Abbruch des Studiums treibt.

Auch die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, erkennt die prekäre Lage der Pflegestudierenden und fordert gemeinsam mit ihren Kolleg*innen ein Finanzierungsmodell, welches die Studierenden in der Zeit bis zum Abschluss tragen kann.

Voglers Forderung entspricht jener, welche sich auch im offenen Brief der „Taskforce Pflege-Bachelor“ findet. Dementsprechend sollten Studierende künftig eine Vergütung erhalten, deren Höhe jener Summe entspricht, welche auch während der Ausbildung zur Pflegefachkraft oder während des Hebammenstudiums gezahlt wird.

Die Forderungen der Verbände im Überblick

Ausgehend von der aktuellen Lage der Studierenden und der daraus möglicherweise resultierenden Nachteile für den gesamten Pflegesektor, stellten die oben genannten Verbände in ihrem Schreiben klare Forderungen an die neu gebildete Koalition aus SPD, Grünen und FDP.

Hier fordern sie nicht nur eine adäquate Vergütung für die Studierenden, sondern auch
• die Schaffung neuer Förderprogramme für den Auf- und Ausbau von Pflegestudiengängen,
• die Sicherstellung einer finanziellen Basis für die Praxisanleitung in Einrichtungen
• und Maßnahmen, um mehr Hochschullehrer*innen für die Pflegestudiengänge zu gewinnen.

Auch die Zukunft der Pflegeausbildung hängt vom Studium ab

Das akademische Pflegestudium soll zusätzlich zur Bereitstellung von Kräften für die Versorgung Pflegebedürftiger auch eine Basis für die Ausbildung künftiger Pflegekräfte schaffen.

Sowohl der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) als auch der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD) bemängeln diesbezüglich das Fehlen einer ausreichenden Anzahl von Lehrkräften an Pflegeschulen. Dieser könne, so fürchtet Wilfried Wesemann, Chef des DEVAP, die geplante Erhöhung der Ausbildungszahlen in den nächsten zwei Jahren bedrohen.

Auch DEVAP und VKAD fordern daher nun attraktivere und umfangreichere Studienangebote. Lediglich acht Bundesländer böten aktuell qualitativ adäquate Pflegestudiengänge ohne Gebührenpflicht. Dies reicht laut der Verbände aber nicht aus, um die benötigte Anzahl von Pflegelehrkräften hervorzubringen. Ob und inwiefern diese Forderung in den Bundesländern Umsetzung findet, bleibt jedoch abzuwarten.