Armutsrisiko in Wuppertal Warum viele Menschen trotz Vollzeitjob am Existenzminimum leben

Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über enorme Wirtschaftskraft und zählt zu den finanzstärksten Staaten der Europäischen Union. Zudem verfügt es über ein ausgedehntes soziales Netz, um Menschen aufzufangen, die aufgrund innerer oder äußerer Einflüsse Probleme haben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dennoch leben viele Menschen trotz Vollzeitjob am Existenzminimum. Auch in Wuppertal ist Armut ein nicht zu vernachlässigendes Thema. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

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Foto: Ilham Fitrotul Hayat - Flaticon

Vollzeitjob und gleichzeitig Hartz IV-Empfänger

Die Arbeitslosenquote in Deutschland momentan (Stand 2019) ist so gering, wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Inzwischen arbeiten viele in einem Vollzeitjob und verdienen ihr eigenes Geld. Allerdings heißt das noch lange nicht, dass dies auch wirklich zu Leben reicht. Laut der Bundesagentur für Arbeit verdienen etwa 3,7 Millionen Arbeitnehmer in ihrem Vollzeitjob weniger als 2.000 Euro pro Monat und davon müssen noch Steuern und Sozialleistungen abgezogen werden.

Rund 205.000 Vollzeitbeschäftigte müssen zusätzlich Sozialleistungen beantragen und erhalten neben ihrem Lohn noch Arbeitslosengeld II (Hartz IV). Ursachen hierfür sind, trotz des inzwischen eingeführten Mindestlohns, zu niedrige Einkommen sowie immer höhere Lebenshaltungskosten aufgrund von enorm gestiegenen Mieten, Energie- und Lebensmittelpreisen.

In Wuppertal ist vor allem die damit verbundene Kinder- und Jugendarmut im bundesweiten Vergleich auf einem sehr hohen Niveau. Rund jeder vierte Minderjährige in der Kreisfreien Stadt bezog nach dem Sozialbericht des Landes NRW 2016 Mindestsicherungsleistungen.

Mindestlohn ist nicht hoch genug

Um den Arbeitnehmern bessere Verdienstmöglichkeiten zu verschaffen, wurde der Mindestlohn eingeführt. Allerdings hat sich in der Praxis gezeigt, dass der ab Januar 2019 geltende Betrag von 9,19 Euro in insgesamt 44 von knapp über 100 kreisfreien Städten und Landkreisen nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt einer Person zu gewährleisten. Der Mindestlohn wird zwar im Jahr 2020 auf 9,35 Euro steigen, allerdings ist abzusehen, dass auch diese Steigerung nicht die gewünschten Verbesserungen erzielen wird.

Die Wuppertaler SPD fordert neben einer Reihe weiterer Verbesserungen vor allem bezüglich der Tarifverträge, eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro. Diese Höhe wäre notwendig, um soziale Gerechtigkeit und ein gesichertes Einkommen zu garantieren.

Mietkosten sind kaum zu leisten

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Foto: Ilham Fitrotul Hayat - Flaticon

Ein Grundproblem ist das Fehlen bezahlbaren Wohnraums. Auch in Wuppertal werden steigende Mieten immer mehr zur Belastung. In den letzten fünf Jahren war hier ein Anstieg um rund 15 Prozent zu verzeichnen. Gerade Geringverdiener müssen einen immer größeren Anteil ihres Einkommens für Wohnen und Unterkunft aufbringen – zum Leben bleibt entsprechend weniger.

Aus diesem Grund müssen viele, wenn sie in ihrer angestammten Umgebung bleiben wollen, Sozialleistungen in Form von Wohngeld beantragen. Einfach umzuziehen, ist innerhalb der Städte aufgrund eines Mangels an bezahlbarem Wohnraum häufig nur schwer möglich. Zudem sind die meisten Arbeitnehmer durch ihren Job örtlich gebunden.

Alleinerziehende – ihr Lohn liegt oft unter Hartz IV-Niveau

Besonders Alleinerziehende Elternteile müssen trotz eines Jobs oft noch Sozialleistungen beantragen. Mit den Kindern, für deren Erziehung sie alleine zuständig sind, benötigen sie noch einmal deutlich mehr Geld, um den Lebensunterhalt für sich und ihren Nachwuchs zu gewährleisten. Der Anteil an Teilzeitbeschäftigten ist hier zudem entsprechend groß.

Gerade als Alleinerziehender bewegt man sich dadurch an oder sogar unter der Grenze zur Armut und hat nicht einmal das gesetzlich vorgeschriebene Existenzminimum zur Verfügung. Auch hier ist es häufig die Miete, die den Gang zum Sozialamt erforderlich macht. Wer Mindestlohn bezieht und ein Kind alleine erzieht, dessen Miete dürfte (einschließlich Nebenkosten) nicht mehr als 336 Euro betragen, was gerade in Städten unmöglich ist.

Neben der Doppelbelastung als Alleinerziehende – im Durchschnitt meist Mütter – sind Frauen ohnehin deutlich häufiger von Armut bedroht. Cornelia Lieto von der Diakonie in Wuppertal bestätigt einen hohen Bedarf an spezifischen Beratungsangeboten für Frauen in prekären Situationen.

Inflation frisst alle Lohnerhöhungen auf

Die von der Bundesregierung durchgeführte Erhöhung des Mindestlohnes 2019 ist zwar vom Prinzip her der richtige Weg. Allerdings wird nahezu jede Lohnerhöhung vermutlich von der Inflation „aufgefressen“, sodass trotz eines höheren Lohns kein real verfügbares Geld übrig bleibt.

Handelskriege, der Brexit und eine abflauende Konjunktur sorgen derzeit dafür, dass die Verbraucherpreise in allen Bereichen deutlich steigen und das wesentlich höher, als es im Schnitt die Löhne tun. Das bedeutet, dass den Arbeitnehmern von ihrem Lohnplus letztlich nichts oder nur ein kleiner Bruchteil erhalten bleibt.

Laut Prognosen werden sich im Jahr 2019 die Löhne um 2,9 Prozent erhöhen. Was zunächst nach ordentlich mehr Geld klingt, wird wiederum relativiert, wenn man die für dieses Jahr vermutete Inflation in Höhe von etwa 1,9 Prozent davon abzieht. Im Idealfall beträgt die um die Inflation bereinigte Lohnsteigerung dann nur noch zwischen 1,0 und 1,9 Prozent.

Energiekosten als Kostenfaktor

Die Versorgung mit Energie wird ständig teurer. Der stetig schrumpfende Vorrat an Erdöl und die gleichzeitig unsichere Situation in vielen erdölfördernden Ländern treiben die Preise in die Höhe. Der Umstieg von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien ist sehr kostenintensiv, weil vollkommen neue Gewinnungsmethoden und Versorgungsnetze aufgebaut bzw. bereits bestehende angepasst werden müssen.

All dies sorgt für einen deutlichen Anstieg der Energiekosten für die einzelnen Haushalte. Die Folge ist natürlich eine höhere finanzielle Belastung, die sich vor allem bei Geringverdienern stärker bemerkbar. Um nicht ein Abstellen von Strom oder Gas zu riskieren, beantragen viele Geringverdiener zusätzlich Sozialleistungen des Staates.

Keine Chance zum Sparen

Wer trotz Vollzeitjob auf Sozialleistungen angewiesen ist, unterliegt strengen Auflagen, was die Anrechnung von vorhandenen Finanzmitteln angeht. Hartz IV-Empfänger sind dazu verpflichtet, zunächst ihr vorhandenes Vermögen zu verbrauchen und dürfen nur bestimmte Beträge zu den Sozialleistungen hinzuverdienen.

Werden darüber hinaus Einkünfte generiert, sind Kürzungen der Leistungen die Folge. Durch die engen Vorgaben ist es in der Regel kaum möglich, etwas für kleine Wünsche oder sogar für die Altersvorsorge extra zur Seite zu legen. Wenn man am Existenzminimum lebt, startet sehr oft ein Teufelskreis, aus dem man sich nur befreien kann, wenn man einen besser entlohnten Job ergattert, der es möglich macht, auf die Sozialleistungen dauerhaft zu verzichten.

Besonders schwierig kann es für Bürger werden, die ursprünglich ein gutes Einkommen hatten, Geld beiseitelegen konnten, die dann jedoch in die Abhängigkeit von Sozialleistungen rutschen. In diesem Fall muss zumindest ein Großteil des mühsam angesparten Geldes eingesetzt und verbraucht werden, bevor der Staat mit Leistungen einspringt. Auf diese Weise verlieren sehr viele Arbeitnehmer ihr Polster für das Alter und sind später eventuell von Altersarmut betroffen.

Doch nicht nur für die Altersvorsorge, auch für den Alltag bedeutet ein geringes Einkommen oft der Beginn einer Abwärtsspirale. Ohne Rücklagen wird dann bereits eine einfache Rechnung zur Reparatur von Auto oder Waschmaschine zur existenziellen Bedrohung. Mit einer schlechten Bonität ist es dann auch schwierig, in solchen Fällen ein Darlehen zu beantragen. Betroffene können sich allerdings im Internet über alternative Möglichkeiten informieren. Gegebenenfalls können Kredite mit besonders kleinen Raten auch schon in kleinerer Höhe einen Weg aus der Schuldenfalle bedeuten.

Geringere Bildung – schlechter bezahlte Jobs

Studien zeigen, dass ein sozialer Aufstieg oft schwierig ist für Kinder aus sozial schwachen Familien. Eine schlechtere Bildung in Form eines nicht so hohen Schulabschlusses führt oft dazu, dass der Wunschberuf nicht erlernen werden kann, in der die Person eigentlich tätig sein möchte. Zudem spielt auch das (familiäre) Umfeld eine wesentliche Rolle für die Bildung.

Lehrer berichten immer wieder, dass Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Familien nicht selten die Verhaltensweisen ihres Umfeldes annehmen, sich nicht anstrengen oder ganz offen äußern, dass sie beispielsweise mit einem Hauptschulabschluss eh keinen guten Job bekommen. Hier färbt die im Umfeld erlernte Demotivation auf die Schüler ab und die Folge sind nicht selten ein schlechterer Schulabschluss, abgebrochene Berufsausbildungen und ein sich ergeben die vermeintlich unvermeidbare Realität von Hartz IV.

Hier ist es notwendig, dass diesen Jugendlichen immer wieder aufgezeigt wird, dass sie selbst es in der Hand haben, ihr Leben zu gestalten. Auch wer einen Hauptschulabschluss mit erstklassigen Noten erreicht, hat gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz und einen Job, der ihn eben nicht dazu zwingt, am Existenzminimum zu leben und Sozialleistungen des Staates in Anspruch zu nehmen.

Wuppertal setzt derzeit verstärkt auf den Ausbau von Beratungsangeboten im Rahmen des „Bündnisses gegen Armut – für soziale Gerechtigkeit“. Darüber hinaus soll die Stadtteilarbeit gestärkt und niedrigschwellige Angebote zur sozialen Teilhabe geschaffen werden.