Neues Denkmal in Ronsdorf Weltkriegs-Deserteure: „Sich in diese Menschen einfühlen“

Wuppertal · Am Sonntag (1. September 2019) wurde im Ronsdorfer Stadtgarten am Grünen Streifen ein Mahnmal zum Gedenken an erschossene Deserteure des Zweiten Weltkriegs enthüllt. Zwischen 1940 und 1945 fanden auf dem Schießstand in Ronsdorf Hinrichtungen von Fahnenflüchtigen statt. Erst seit den 80er Jahren kam es zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit diesem Thema, das lange Zeit ein Tabu war.

 Der Historiker Florian Hans hat als wissenschaftlicher Beirat in der Ronsdorfer Arbeitsgruppe „Denkmal für die Deserteure“ mitgearbeitet.

Der Historiker Florian Hans hat als wissenschaftlicher Beirat in der Ronsdorfer Arbeitsgruppe „Denkmal für die Deserteure“ mitgearbeitet.

Foto: Stefan Querl

Sophie Ullrich vom NRW-Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten- und Erinnerungsorte sprach mit dem Historiker Florian Hans, der an Planung und Umsetzung des Denkmals beteiligt war und sich schon 2017 in dem von der Begegnungsstätte Alte Synagoge herausgegebenen Buch „Wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt“ mit der Geschichte der Deserteure befasst hat. Wir drucken das Interview hier auszugsweise ab.

Wie kam es, dass dieses Denkmal errichtet werden konnte?

Hans: Im Januar 2015 gab es in Wuppertal eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus. Dort stellte ich zusammen mit Schülern der Erich-Fried-Gesamtschule ein Programm vor, um über das Schicksal erschossener Wehrmachtsdeserteure aufzuklären. Die Schüler wiesen sehr offen darauf hin, dass es bislang noch kein öffentliches Denkmal für die erschossenen Deserteure gebe, und so hat der Oberbürgermeister öffentlich verkündet, dass etwas zum Erinnern gebaut werden sollte. Das war der Anreiz für unsere Projektgruppe.

Das Denkmal selbst besteht aus acht, in der Reihe immer größer werdenden Steinquadern. Welche Bedeutung haben die Form und der Standort des Denkmals?

Hans: Die acht Stelen sollen den Weg des Wehrmachtdeserteurs aufzeigen, der flieht, verfolgt, festgenommen, verurteilt und hingerichtet wird und schließlich aus dem Gedächtnis der Menschheit erst einmal „verbannt“ wird. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass man nicht einfach nur vor einem Denkmal steht, sondern daran entlang läuft und so den beschriebenen Weg mitgehen kann. Die Steine werden immer höher, damit man sie in einem Blick vor sich hat, wenn man auf sie zuläuft. Der Platz im Stadtgarten wurde gewählt, um die dort befindlichen anderen Kriegsdenkmäler in einem größeren Kontext darstellen zu können. Eine Infotafel soll die verschiedenen Denkmäler in Bezug zueinander setzen.

Glauben Sie, dass das Denkmal dazu beitragen kann, dass es zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Hintergrundgeschichte der Deserteure und deren Motiven kommen wird und der bis heute verbreitete „schlechte Ruf“ von Deserteuren überholt werden kann?

Hans: Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Wehrmachtsdeserteure wird durch die Eröffnung des Denkmals auf jeden Fall vorangetrieben, weil das Denkmal nun wirklich steht und das Ganze auch in der Presse behandelt wird. Das Thema kommt so nochmal mehr in die Gesellschaft und wird wohl Stoff für Diskussionen bieten. Es wird darauf hingewiesen, dass es sich um Menschen handelt, derer es würdig ist, zu gedenken. Außerdem kann so deutlich gemacht werden, wie lange diese Menschen verschmäht worden sind, und dass die heutige Auffassung von „Fahnenflucht“ eine andere ist.

Was unterscheidet dieses Denkmal von anderen Mahnmalen und Erinnerungsstätten für die Opfer des Krieges?

Hans: Bei anderen Deserteurs-Denkmälern gibt es oft eine gewisse Tendenz, dass diese Art von Opfergruppe glorifiziert wird, so dass es den Anschein hat, als wären es Widerstandskämpfer gewesen. Das muss ja nicht zwingend so gewesen sein. Vielleicht waren es manche, die ihren Widerstand zum Ausdruck bringen wollten, aber einigen ging es sicherlich auch einfach darum, mit dem Leben davon zu kommen. Das Denkmal in Wuppertal soll vermitteln, dass es keine Rolle spielt, ob diese Menschen Widerständler waren. Es geht darum aufzuzeigen, dass diese Menschen dort zu Unrecht erschossen worden sind. Die Handlung der Deserteure soll anerkannt werden, aber es soll keine Idealisierung damit einhergehen.

Warum ist es bedeutsam, durch ein Denkmal an die hingerichteten Deserteure zu erinnern?

Hans: Weil man sich so selbst vor die Frage gestellt sieht: Wie würde ich in einer solchen Situation reagieren? Widersetze ich mich? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist immer wichtig, auch heutzutage. Es gab Menschen, die aus unterschiedlichen Motiven heraus nicht mitgemacht haben und dafür auch das Risiko eingegangen sind, dafür umgebracht zu werden. Es soll darum gehen, sich in diese Menschen einfühlen zu können, an deren Stelle man eigentlich nichts richtig machen kann. Im Krieg wird man höchstwahrscheinlich sterben, und wenn man sich weigert, wird man als „Verräter“ oder „Feigling“ zum Tode verurteilt. Sich da hinein zu fühlen ist, glaube ich, eine sinnvolle und spannende Auseinandersetzung.

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