100 Jahre Wuppertaler Stadtmission „Wir vermitteln Hoffnung und wollen Perspektiven eröffnen“

Wuppertal · Die Stadtmission feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Ein Interview mit Renate Görler, Leiterin der Wuppertaler Stadtmission, und Stadtmissionar Paul-Gerhard Sinn.

 Renate Görler und Paul-Gerhard Sinn zeigen den Jubiläumskalender der Stadtmission.

Renate Görler und Paul-Gerhard Sinn zeigen den Jubiläumskalender der Stadtmission.

Foto: Tim Polick

Warum wurde die Stadtmission gegründet?

Renate Görler: Die Gründung war eine Reaktion auf Not der Menschen auf den Straßen unserer Stadt. Fräulein Lydia Frowein, die ehrenamtlich für die Gemeinde Gemarke arbeitete, gab dafür den Anstoß. Sie wollte den Menschen helfen und ihnen Gemeinschaft ermöglichen. Sie war von 1920 bis 1963 bei der Stadtmission tätig.

Paul-Gerhard Sinn: Als Stadtmissionarin kümmerte sich Lydia Frowein um Menschen, die im Gemeindeleben kaum vorkamen. Die Stadtmission hat sich schon damals als verlängerter Arm der Kirche verstanden und tut dies bis heute. In den Anfängen ging es z.B. um Hilfe für Gasthaus-Mitarbeiter, Zirkusleute, Prostituierte und andere Menschen am Rande der Gesellschaft.

Wie hat die Stadtmission denn konkret geholfen?

Sinn: Ein großer Schwerpunkt der Arbeit waren die Besuche bei den Menschen in den Notunterkünften im gesamten Stadtgebiet. Es wurde mit Kindern gespielt und gesungen, Frauentreffs organisiert, einzelne Familien wurden betreut und Bibelstunden angeboten, Ende der 1920er Jahre wurde eine "Evangeliumsbaracke" auf dem Klingholzberg in Langerfeld gebaut. Seit 1930 ist sie das Zuhause der Stadtmission. Im Jahr 2000 wurde sie umfassend renoviert.

Görler: Die Arbeit auf dem Klingholzberg hat die Menschen vor Ort sehr geprägt. Die Menschen dort lebten zum Teil in umgebauten Pferdeställen unter einfachsten Bedingungen und großen hygienischen Herausforderungen. Die Stadtmission ist in die Unterkünfte gegangen und hat praktische Hilfe geleistet. Als mein Kollege Sinn und ich 1995 dazu kamen, haben wir noch von dem großen Vertrauen gezehrt, dass sich unsere Vorgänger und Vorgängerinnen vor Ort erarbeitet haben. Es ging immer darum, Gottes Liebe durch das Evangelium zu vermitteln und gleichzeitig praktische Hilfe zu leisten und Gemeinschaft zu stiften.

Inwiefern hat sich die Arbeit verändert? Was sind heute Ihre Aufgaben?

Sinn: In den 60er Jahren wurden die Notunterkünfte durch Neubauten auf der Hilgershöhe ersetzt, die im Jahr 2000 abgerissen wurden. Heute ist die Gegend normal bebaut und das Klientel von früher gibt es in dieser Konzentration nicht mehr. Vor Ort befinden sich heute die Sporthalle der Gesamtschule Langerfeld und Einfamilienhäuser. Aber die ehemalige Evangeliumsbaracke in der Heinrich-Böll-Straße ist noch immer ein Zentrum unserer Arbeit. Dort finden neben unseren Gottesdiensten und dem Bibelgesprächskreis auch unsere Hausaufgabenhilfe mit dem Mittagstisch statt: Neun Ehrenamtliche kümmern sich montags bis donnerstags um 20 Kinder vorwiegend mit Migrationshintergrund.

Görler: Bereits in den 1980er Jahren kam die Arbeit mit Geflüchteten dazu: Ein Ehepaar setzte sich für Flüchtlinge aus Eritrea ein. Daraus wurde ein eigener Verein der sich unter anderem um ca. 200 Patenkinder in Eritrea kümmert. Mit dieser Arbeit wurden die Wurzeln für die heutige Arbeit mit Geflüchteten gelegt. Wir begannen in den 90er Jahren, Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien zu begleiten. Inzwischen sind Geflüchtete aus vielen anderen Ländern dazu gekommen. Vor 50 Jahren kam das Engagement für blinde und sehbehinderte Menschen hinzu. Wir organisieren monatliche Treffen, spezielle Gottesdienste und gemeinsame Urlaubszeiten. Außerdem werden Hörandachten produziert. Damals noch auf Kassette, heute digital auf CD. So erreichen wir ca. 600 Blinde- und Sehbehinderte regelmäßig mit unseren täglichen Andachten.

Sinn: Nach wie vor sind wir vor allem für die Menschen da, die Hilfe suchen. Für Geflüchtete, Hartz IV Empfänger, Alleinerziehende, Menschen ohne festen Wohnsitz und Rentner und Rentnerinnen mit kleiner Rente. Sie alle finden bei uns eine Anlaufstelle und erfahren Zuwendung und Respekt. Ganz konkret geschieht das dreimal wöchentlich in der DiakonieKirche.

Sind Sie auch noch für die Zirkus-Mitarbeiter da?

Görler: Die Arbeit mit dem Zirkus konzentriert sich mittlerweile auf den Zirkus Casselly. Es finden seelsorgerische Gespräche statt, und wir feierten auch schon Taufe und Konfirmation im Zirkuszelt. Jedes Jahr laden wir zum Zirkus-Gottesdienst auf dem Carnaper Platz ein. Bei kleineren Familienzirkussen geht es oft um ganz praktische Unterstützung: Zum Beispiel um Futterspenden für die Tiere im Winter oder für die Heizung im Wohnwagen.

Was beschäftigt Sie mit Blick in die Zukunft?

Görler: Wir haben aktuell zwei Standorte: Unser bewährtes Zuhause auf dem Klingholzberg sowie die Diakoniekirche in Elberfeld. Wir fragen uns, wie wir die Menschen, die uns brauchen, auch in Zukunft erreichen können. Da müssen wir uns immer wieder neu aufstellen.

Sinn: Wir vermitteln Hoffnung und wollen neue Perspektiven eröffnen. Uns beschäftigt dabei auch die Frage nach Gottesdienst-Formen mit einfacher Verkündigung, die jede/r verstehen kann.

Das Gespräch führte: Nikola Dünow, Kirchenkreis

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