Leserbrief „Nicht einfach im Stich lassen“

Betr.: Junges Theater Wuppertal, offener Brief an Schauspiel-Intendant Thomas Braus

Szene aus „Ein Traumspiel“ von August Strindberg, einer Aufführung des Jungen Theaters Wuppertal.

Szene aus „Ein Traumspiel“ von August Strindberg, einer Aufführung des Jungen Theaters Wuppertal.

Foto: Junges Theater Wuppertal

Sehr geehrter Herr Thomas Braus,

eine der vielleicht zentralen und politisch hochbrisanten Aussagen in der aktuellen Aufführung von „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ des Jungen Theaters Wuppertal lautet: „Ich weiß, dass das System falsch ist. Ich diene dem falschen System mit Hingabe. Denn im Rahmen des falschen Systems sind die falschen Maßnahmen naturgemäß richtig und die richtigen sind begreiflicherweise falsch!“

Autor Erich Kästner legte mit seinem Roman im Jahr 1931 den Finger in die Wunde des Molochs Berlin, zeigt unerbittlich den moralischen Verfall und die politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen kurz vor dem Ende der Weimarer Republik und allem Horror, der danach noch kommen sollte. Dabei sind manche Parallelen zur Gegenwart überaus verstörend.

Nun muss man leider aus profunden Quellen vernehmen, dass die aktuelle Aufführung des Jungen Theaters Wuppertal auch ihre letzte gewesen sein könnte. Wie immer in solchen Fällen geht es natürlich ums Geld. Aber ist dies hier wirklich der ausschlaggebende Faktor?

Zweifellos ist der Kampf um finanzielle Zuwendungen und Kulturmittel in einer chronischen klammen Stadt wie Wuppertal eine permanente Herausforderung, von der Sie, Herr Braus, allerdings schon mehrfach betont haben, dass Sie diese nicht nur nicht scheuen, sondern spannend und reizvoll fänden.

Ist es also vielleicht doch eher eine nicht übermäßig ausgeprägte Wertschätzung für das Junge Theater Ihrerseits? Bei maximal vier Aufführungen pro Spielzeit, bei Requisiten, Bühnenbildern und Kostümen aus dem Fundus und leidenschaftlichen, aber kostenlosen „Laienschauspieler*innen“ dürften sich die damit verbundenen Kosten (und nun möglichen Einsparpotenziale) stark in Grenzen halten. Was also ist los?

Gelten die Maximen, gezielt auch jüngere Leute für das Theater zu begeistern, „raus“ und auf die Menschen zuzugehen, nicht mehr? Geht man in unruhigen Zeiten stattdessen doch wieder nur den Gang des geringsten Widerstands, kürzt da, wo die geringste Lobby vermutet wird?

Beim ersten, im Jahr 2017 von Ihnen und Alexander Peiler geleiteten Treffen des Jungen Theaters dürfte ich als Gast dabei sein. Es wehte mehr als ein Hauch von Aufbruch und „Graswurzelrevolution“ durch die heiligen Theaterhallen. Die damaligen Erwartungen dürften mehr als übertroffen worden sein, sodass es an der „Qualität“ des Jungen Theaters eigentlich noch viel weniger liegen kann.

Seit damals hat sich ein fester Stamm aus jungen Schauspielerinnen und Schauspielern etabliert, die sich mit jugendlicher Leidenschaft für die Bühne in jeder Aufführung buchstäblich zerreißen. Es gab grandiose Inszenierungen von Barbara Büchmann zu sehen, deren ästhetische Brillanz und gesellschaftspolitische Relevanz zutiefst beeindruckend waren. Die jüngst angestoßene und im aktuellen Stück innovativ umgesetzte Kooperation mit dem Tanzhaus Wuppertal erschließt neue Horizonte und macht neugierig auf mehr. Bei allen vier aktuellen Vorstellungen gab es ein (nahezu) ausverkauftes Haus und frenetischen Applaus von einem jungen Publikum zu sehen und zu hören.

Und das alles soll nun vorbei sein? Sollen hoch motivierte junge Menschen mal wieder still und heimlich abserviert und im Stich gelassen werden? Wie steht es um die gesellschaftliche Verantwortung des Theaters? Und was ist mit der viel zitierten „Systemrelevanz“, die in Coronazeiten von Kulturschaffenden doch so gerne bemüht wurde?

Tun Sie in diesem System nicht das Falsche, Herr Braus! Tun Sie das Richtige! Bitte werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht und lassen Sie das Junge Theater Wuppertal nicht einfach im Stich! Lassen Sie es nicht vor die Hunde gehen!

Gian Linde

● Leserbrief an die Wuppertaler Rundschau: redaktion@wuppertaler-rundschau.de
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