Wuppertaler Stadtsohn Als Friedrich Engels noch Jesus liebte

Wuppertal · Friedrich Engels ein gläubiger Christ? Das passt im ersten Moment überhaupt nicht zu dem Mann, den man als den Verfasser des „Kommunistischen Manifests“ kennt. Am 5. August ist der 125. Todestag des Wuppertaler Stadtsohns, der sich in seiner frühen Jugend doch recht fromm präsentierte. Matthias Hilbert, Autor des Buches „Fromme Eltern – unfromme Kinder?“, blickt in der Rundschau auf diese Lebensphase Engels zurück.

 Engels-Statue in Barmen: Der Revolutionär hatte auch eine gläubige Seite.

Engels-Statue in Barmen: Der Revolutionär hatte auch eine gläubige Seite.

Foto: Max Höllwarth

„Herr Jesu Christe, Gottes Sohn, / o steig herab von Deinem Thron / und rette meine Seele! / O komm mit Deiner Seligkeit, / Du Glanz der Vaterherrlichkeit.“ Diese frommen Zeilen entstammen einem mehrstrophigen Gedicht, das einst – man glaubt es kaum – Friedrich Engels verfasst hat. Etwa 16 Jahre war der Wuppertaler Fabrikantensohn beim Verfassen jenes erbaulichen Textes alt. Er stand damals kurz vor seiner Konfirmation. Auch war gerade um diese Zeit der von ihm geliebte und verehrte Großvater Bernhard van Haar gestorben. Das alles mag neben der christlichen Sozialisation, die er in seinem moderat-pietistischen Elternhaus erfuhr, mit dazu beigetragen haben, dass der junge Engels jene temporäre fromme Phase durchlebte.

Dabei war es ihm durchaus ernst mit seinem christlichen Glauben gewesen. Das macht nicht zuletzt ein Brief deutlich, den er im Juli 1839, gut zweieinhalb Jahr nach seiner Konfirmation, seinem Freund Friedrich Graeber schrieb. In ihm gesteht er: „Ich habe nicht um der Poesie willen geglaubt; ich habe geglaubt, weil ich einsah, so nicht mehr in den Tag hineinleben zu können, weil mich meine Sünden reuten, weil ich der Gemeinschaft mit Gott bedurfte.“ Den Brief hatte Engels damals von Bremen aus geschrieben. Denn hierhin hatte ihn sein Vater im August 1838 zur kaufmännischen Lehre geschickt. Und Engels fühlt sich wohl in Bremen. Fern der väterlichen Aufsicht lebt es sich in der Hansestadt nicht schlecht. In seiner Freizeit liest er jetzt Heinrich Heine und politisch anrüchige Schriften.

Zugleich löst sich Engels immer mehr von der Glaubenswelt seiner Väter. Nicht zuletzt das „Leben Jesu“-Buch von David Friedrich Strauß übt einen starken Einfluss auf ihn aus. Es bestreitet die Gottessohnschaft Jesu sowie seine Wunder und Auferstehung. Und so kritisch Engels jetzt gegenüber der Bibel eingestellt ist, so unkritisch schwärmt er nun von Strauß. In einem Brief bekennt er: „Ich bin jetzt begeisterter Straußianer (…), ich verkrieche mich unter die Fittiche des genialen David Friedrich Strauß.“ Dann ist er von der Philosophie Hegels fasziniert. Dieser hatte gelehrt, dass eine ewige, absolute Vernunft, ein „Weltgeist“, den Weltprozess durchwalte. Prompt erklärt sich Engels zum „modernen Pantheisten“.

 Matthias Hilbert.

Matthias Hilbert.

Foto: Foto Ullrich

Zuvor hatte er bereits angefangen, gesellschaftskritische Texte zu veröffentlichen. Sein erster größerer publizistischer Artikel schlug in seinem Heimatort wie eine Bombe ein. Er erschien anonym in einer Artikelserie von sechs Folgen im „Telegraph für Deutschland“ im März und April 1839. Überschrieben war der Aufsatz mit der harmlos klingenden Überschrift „Briefe aus dem Wuppertal“. Scharf kritisiert der erst 18-jährige Engels in seinen Beiträgen das Verhalten der kapitalistischen Unternehmer und die sozialen Verhältnisse in seiner Heimatstadt. Gnadenlos zieht er über den bekannten Elberfelder Erweckungsprediger Friedrich Wilhelm Krummacher und die Pietisten her. Dass diese Artikel nicht frei von Karikierungen und Pauschalisierungen sind, weiß der Autor selbst. Sie litten – wie er später bekennt – „an Einseitigkeiten und halben Wahrheiten“.

Und dann kommt jener gescholtene Krummacher im Juli 1840 höchtpersönlich nach Bremen. Zweimal predigt er in der dortigen St.-Ansgarii-Kirche. Dabei zieht er gegen das rationalistische Christentum zu Felde. Als deren Hauptvertreter galt in Bremen Pfarrer Paniel. Der hält nun polemische Kontroverspredigten. In dem öffentlich ausgetragenen Kirchenstreit mischt sich Engels in Zeitungsbeiträgen ein. Dabei fällt auf, dass der junge Ex-Pietist die ganze Hohlheit der „vernunftgemäßen“ Theologen, die Jesu Wunder auf natürliche Weise erklären wollten und aus seiner Lehre einen seichten Tugendkatalog machten, schonungslos demaskiert. Ja, er gibt sogar zu: „Man muss gestehen, dass der Pietismus sich diesmal mit mehr Geschicklichkeit benommen hat als seine Gegner. (…) Außerdem war auf Seiten des Pietismus diesmal auch das Talent. Ein Krummacher wird im Einzelnen manche Geschmacklosigkeit vorbringen, nie aber sich ganze Seiten lang in so nichtssagenden Redensarten umdrehen können, wie Paniel es tut.“

Foto: Chrismon Verlag

Nach seiner im Frühjahr 1841 beendeten Bremer Lehrzeit und der Beschäftigung mit der Philosophie Ludwig Feuerbachs erklärt sich Engels offen als Atheist. 1844 lernt er Karl Marx kennen. Er verfasst mit ihm das „Kommunistische Manifest“ und wird zum „Missionar des Marxismus“.

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