Wir reiben uns die Bäuche, die gefüllt sind vom vielen Tagungskaffee. Dann schütteln wir die Hände aus und wippen auf den Fußspitzen, bouncen heftiger, um richtig warm zu werden nach dem Sitzen. Wir werden Bäume im Wind und hängen im Honig – erst im flüssigen, dann im cremigen Honig.
Mit viel Charme bringt Maria Giovanna Delle Donne Bewegung in die Körper und vermittelt, was Tanz alles sein kann: Die Tänzerin ist zuständig für den praktischen Teil der Tagung „TanztheaterDenken: Theoretische und praktische Zugänge“, die im Gästehaus der Universität stattgefunden hat. Sie ist eingesprungen für Çagdas Ermis, der sich bei der Generalprobe zu „Água“ verletzt hatte und deshalb ausgefallen war.
Dass Professor Matei Chihaia als Organisator sogleich eine Karte mit Genesungswünschen durchreicht, steht beispielhaft für die familiäre Atmosphäre auf der Tagung. Die übrigens um 9 Uhr und damit zu einer Uni-unüblichen einstelligen Uhrzeit beginnt. Das Interesse an den Beiträgen der Forschenden lässt die Zeit aber nur so verfliegen.
Marion Fournier befragt die Sprache des Tanztheaters, erinnert an „Vollmond“ und die Zitronenszene mit dem Ausruf: „Ich bin so sauer“ – der ja nicht übersetzt werden kann und eine eigene Sprache spricht. Und das im Tanz, einem intersprachlichen Gebiet mit einem Ensemble, das sich aus vielen Muttersprachen zusammensetzt.
Tanzwissenschaftlerin Gabriele Klein spricht zu den Schwierigkeiten, ein fliehendes Phänomen wie den Tanz festzuhalten – obwohl sich am Arbeitsplatz Pina Bauschs zwischen Zigaretten, Kaffeebechern und einem Hut Notizen befinden, wie ein Foto zeigt.
Neben einem Beitrag zur Verbindung von Tanz und Dadaismus von Karine Montabord spricht Valentina Paz Morales zu Soli und Einsamkeiten bei Pina Bausch – und ruft dazu auf, das Tanztheater nicht nur aus eurozentraler Sicht zu betrachten.
Ludmila Hlebovich betrachtete den Tanz als Denkanstoß und machte am Beispiel von „Kontakthof“ das Problem der Einzigartigkeit und der Wiederholung deutlich: Das Stück wurde sowohl mit Teenagern als auch mit älteren Tänzerinnen und Tänzern gezeigt und veränderte dadurch grundlegend seine Stimmung.
Wertvoll zu allen Themen sind die Beiträge von Barbara Kaufmann, Probenleiterin des Tanztheaters. Sie hat viele Jahre mit Pina Bausch zusammengearbeitet und erklärt, dass die Choreografin keinem analytischen Ansatz folgte, sondern einfach ihrer Neugier: „Pina folgte einer inneren Karte und fragte: ,Was hat diese Person beizutragen?’“ Dabei gehe es in jedem Stück Bauschs um eine Annäherung, nicht um „Rollen“, sondern mehr um „Plätze“. „Copy and paste hat für viele nicht geklappt“, berichtet Kaufmann von den Proben nach dem Tod Pina Bauschs.
Bei der Gelegenheit räumt Barbara Kaufmann auch mit einem Gerücht auf. Das Zitat „Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren“ stammt gar nicht von Pina Bausch. Ein zehnjähriges Kind hat es zu Pina Bausch gesagt. Weil Kinder die Wahrheit sagen, folgt nach so viel Denken über Tanz auch das Tanzen selbst. Maria Giovanna Delle Donne findet, dass der Körper „ein Container für Erinnerungen“ ist. Die guten wie die schlechten holt sie aus den müden Tagungskörpern heraus, übersetzt sie in Bewegung, Gesten und vor allem Tanz.