ESC-Blog des Wuppertaler Musikexperten Peter Bergener Dragshow, Militärparade, Traktoren und Antikriegslied

Wuppertal / Liverpool · Ich glaube, wenn ich nicht über Kroatien schreibe, dann fehlt doch was, oder? Dachte ich doch eigentlich, dass schon Finnland einen verrückten Auftritt hinlegt. Nun dann weiß ich nicht, den Auftritt von Kroatien zu beschreiben. Zumindest werden sie für sehr viel Gesprächsstoff sorgen.

„Let 3“ aus Kroatien.

„Let 3“ aus Kroatien.

Foto: Bergener

Mit wenig Text und einer Mischung aus Dragshow und Militärparade vertritt die Band „Let 3“, die bereits im ehemaligen Jugoslawien für ihre gewagten Auftritte bekannt war, Kroatien beim ESC in Liverpool. Das Lied „Mama ŠČ!“ ist auf jeden Fall der polarisierendste Beitrag des Jahrgangs 2023!

Die Musiker galten in den 1980er Jahren als radikale Musikprovokateure der frühen jugoslawischen, später kroatischen und slowenischen Rockszene. Bei Konzerten verwunderten sie mit pinkfarbenen Satinanzügen, Fellumhängen und anderen verrückten Klamotten so wie dieses Jahr auch beim ESC. Wenn man sie singen sieht, dann ist das im ersten Moment erst einmal wie so ein „Wadde hadde dudde da“-Klamauk. Es wiederholt sich laufend beim Song der Traktor-Satz: Mama kupila traktora, šč, Mama kupila traktora, šč, kupila traktora! (Übersetzung: Mama hat einen Traktor gekauft, šč)

Ein Riesenspektakel, gekleidet in einer Mischung aus Dragqueen und Diktatorenoutfit, wird dabei auf der Bühne veranstaltet, an dessen Ende die Musikprovokateure fast nackt on stage sind und nur noch mit Unterwäsche. Der „Psychopath“, über den auch in den Textzeilen gesungen wird, taucht am Ende mit seinen Pyro-Raketen auf der Bühne auf. Ich habe bei den Proben immer auf den Traktor gewartet, aber vom Traktor fehlt jede Spur auf der Bühne. Was steckt wohl hinter allem?

Die Band hat selbst nach dem Sieg in der kroatischen Vorentscheidung eingeräumt, dass es in dem Song um Diktatoren geht und vielleicht auch um Russland. „Mama“ im Titel könnte nämlich eine Anspielung auf die bekannteste Personifikation des Landes „Mütterchen Russland“ sein. Im Song heißt es aber auch „Mama ljubila morona“ („Mutter liebte einen Trottel“). Hiermit ist dann auch wohl ein Diktator gemeint. „ŠČ"“(gesprochen etwa „schtsche“) wird während des Songs immer als Ausruf genutzt und ist kein Wort oder Buchstabe des Kroatischen.

 Peter Bergener mit dem „Kompaniechef“.

Peter Bergener mit dem „Kompaniechef“.

Foto: Bergener

Im kyrillischen Alphabet allerdings existiert dies übrigens als ein Buchstabe („Щ“), auch das ist eine evtl. Anspielung auf Russland. Allerdings ist dieser Buchstabe neben Russland auch noch in anderen Ländern verbreitet. Das, was nach Klamauk im ersten Moment aussieht, ist also ein Antikriegslied und es geht um alle Diktatoren, die die Welt als ihr Spielzeug betrachten. Putin ist eben nur ein aktuelles Beispiel, so ließ die Band verlauten.

Hmmm, nun was steckt aber dann hinter den Traktoren. Ja, das ist Auslegungssache, ob das etwas mit Russland und dem Verbündeten Belarus (Weißrussland) zu tun hat. Kann es sein, dass der Traktor das Symbol für Weißrussland? Eine Anmerkung von mir dazu ist, dass das Produkt „Belarus“ eine Serie von vierrädrigen Traktoren ist, die seit 1950 in Minsk in Weißrussland, hergestellt werden. Aber alles nur eine Vermutung – genau, weiß man es nicht, ob das mit Traktor gemeint ist.

Beim ESC sind aber grundsätzlich politische Texte verboten, allerdings enthält „Mama ŠČ!“ eben auch keine direkten politischen Aussagen. Man muss sie alle rein interpretieren.

Obwohl Kostüm und Bühnenbild etwas anderes vermuten lassen könnten, sei „Mama ŠČ!“ ein Antikriegslied, das vielen Menschen gewidmet ist, erzählte Damir Martinović dem kroatischen Sender N1. Nun die Gedanken sind eben frei. Und jeder kann sich sein Teil dabei denken und jedem bleibt selbst überlassen, ob man dafür anrufen soll oder nicht.

Ich bin sehr gespannt, auf welchem Platz der Song im Finale landen wird. Alles ist möglich von Null bis 12 Punkte! Viele musikalische Grüße, der Euro-Music-Peter!

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