1. Wahl

Wuppertaler OB-Kandidat Bernhard Sander (Linke) im Interview

OB-Kandidat Bernhard Sander (Linke) : „Dieses Klein-Klein bringt gar nichts“

Seit 2009 sitzt der 65-jährige Bernhard Sander für die Linke im Stadtrat. Am 13. September kandidiert der gebürtige Hagener, der seine Partei im Stadtentwicklungs- und im Kulturausschuss sowie in der Döppersberg-Kommission vertritt, als Oberbürgermeister für Wuppertal. Stefan Seitz und Roderich Trapp sprachen mit Sander.

Rundschau: Wie und wo würde sich Wuppertal verändern, wenn Sie Oberbürgermeister werden?

Sander: Den Kapitalismus würde ich nicht abschaffen, aber bei der Wirtschaftsförderung, die sich ja heute wie eine bessere Sorte Grundstücksmakler versteht, würde ich ganz andere Akzente setzen. Auch bestimmte soziale Fragen müssen ganz anders angegangen werden.

Rundschau: Was meinen Sie konkret?

Sander: Die Ungleichheit ist in manchen Bereichen eklatant. Ein Hartz IV-Empfänger etwa hat pro Monat 2,51 Euro für Kauf und Reparatur von digitalen Geräten zur Verfügung. Für Kinder gilt ein noch niedrigerer Satz. Das gerade in der Corona-Krise so wichtige Home-Schooling ist für diese Kinder also fast unmöglich. Ein Drittel aller Arbeitnehmer sind aktuell in Kurzarbeit; viele von ihnen drohen jetzt in die Hartz IV-Mühle abzurutschen.

Rundschau: Und Ihr Wirtschaftskurs?

Sander: Nach Corona darf es kein „Weiter so“ geben. Wir brauchen soziale und ökologische Innovationen. Wir brauchen verbessertes Flächenrecycling und mehr Innenentwicklung. Unsere Grünflächen werden fürs Klima gebraucht, aber Wohnen und Gewerbe wollen die Areale für sich. „Fläche, Fläche, Fläche“ – SPD und FDP tragen das wie eine Monstranz vor sich her. Aber das Gewerbe, vor allem das moderne, gute Arbeit und viel Wertschöpfung bietet, muss wieder in die Stadt. Mir schwebt vor, aus der alten Bundebahndirektion ein „Haus der Gründer“ zu machen. Dann wäre das vermeintliche Filetstück vielleicht noch zu retten. Ansonsten bröckelt ja schon der Stein vom Leuchtturm Döppersberg. Grundsätzlich gilt: Eigentum ist ein wichtiges Gut, das respektiere ich auch, aber wir müssen dafür sorgen, dass das Eigentum auch seine soziale Verantwortung wahrnimmt.

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Rundschau: Ein wichtiges Wuppertaler Zukunftsthema ist die Mobilität ...

Sander: Das ist eine große Aufgabe und dieses ständige Klein-Klein, das ich in der hiesigen Kommunalpolitik erlebe, bringt gar nichts. Radfahrer haben zum Beispiel gar nichts davon, wenn sie in Zukunft in Staus voller E-Autos, deren Produktion neue Umweltschäden hervorruft, stehen. Wir brauchen ganz andere Systeme und große bauliche Veränderungen, damit Fußgänger und Radfahrer gleichberechtigt am Verkehr teilnehmen können. Das kostet natürlich Geld. Und wir brauchen unbedingt eine neue Finanzierung für einen starken ÖPNV, der viel besser ist als der aktuelle. Ich bin für ein Bürgerticket nach dem Motto „Alle bezahlen, jeder kann fahren“. Mit solch einem Verfahren hätten wir eine gesicherte ÖPNV-Finanzierung.

Rundschau: Thema Wohnen: Da geht es immer wieder um Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese. Im Stadtentwicklungsausschuss halten Sie für die Linke stets dagegen.

Sander: Weil die Landschaftsversiegelung durch Einfamilienhäuser und Stadtvillen mit Eigentumswohnungen unbedingt aufhören muss. Was dringend gebraucht wird, ist mehr sozialer Wohnungsbau. Dessen Quote muss von 20 auf 40 Prozent wachsen, aber schon 25 Prozent haben die anderen im Stadtentwicklungsausschuss abgelehnt. In begehrten Wuppertaler Wohngebieten wie dem Luisenviertel oder dem Ölberg sind Mietsteigerungen um die 16 Prozent zu verzeichnen. Das führt zur Verdrängung von Menschen. Wuppertal braucht mehr Mietwohnungen für Senioren, Studenten und Familien mit vielen Kindern. Das alles kann man übrigens in der Stadt bauen. Zum Beispiel an der Hofaue gibt es viele leere Flächen, die als Firmenparkplätze genutzt werden. Oder man könnte in die Höhe bauen. Moderne Architekten sind durchaus imstande, so etwas zu realisieren, ohne dass Wohnturm-Ghettos dabei herauskommen. Ich bin übrigens fest davon überzeugt, dass solche Innenstadt-Baumaßnahmen oder die Schaffung eines neuen ÖPNV mehr Menschen in Arbeit bringen und die Binnennachfrage stärken.

Rundschau: Ein Oberbürgermeister ist auch Chef der Verwaltung. Die bekommt oft viel Kritik aus der Bürgerschaft. Ihre Position dazu?

Sander: Im Rathaus sind seit 2009, als ich in den Rat kam, etwa 1.000 Stellen abgebaut worden. Weil die Stadt riesige Einnahmeverluste und Kürzungen durch Gesetze von Bund und/oder Land erlitten hat. Das hat immense Folgen für die Bürgerdienstleistungen. Die Warteschlangen vor Ämtern haben nichts damit zu tun, dass die Verwaltungsmitarbeiter faul sind. Sondern damit, dass es zu wenige gibt und ihre Arbeitsbedingungen einen hohen Krankenstand nach sich ziehen. Und wenn die Verwaltung in vielen Bereichen noch nicht einmal Mitarbeiter hat, um vorhandene Fördermittel nach Wuppertal zu holen, dann hat man ein echtes Problem. Wer aber glaubt, aus der Verwaltung könnte man mit neuen Führungsmethoden und etwas mehr Flexibilität noch mehr Leistung herauskitzeln, der irrt sich gewaltig. Um mehr Dienstleistungen zu erbringen, braucht man mehr Menschen.

Rundschau: Was halten Sie vom aktuell beschlossenen Konjunkturpakt, das den von Corona hart getroffenen Kommunen jetzt helfen soll?

Sander: Da ist viel Gießkannenprinzip dabei, aber auch Gutes wie etwa der Ausgleich für die verlorenen Gewerbesteuern. Aber werden all die anderen Verluste auch kompensiert? Die der WSW, der Kultur, der Verlust des Einkommensteueranteils wegen Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit? Eine Kommune wie Wuppertal aus der Krise herauszusparen, funktioniert nicht. Ganz im Gegenteil muss man investieren, in die siebte und achte Gesamtschule, ins Pina Bausch Zentrum, aber auch in die Stärkung kleiner und mittlerer Gewerbebetriebe. Wuppertal muss sich sozial und ökologisch ausrichten. Im Osten der Stadt können wir dafür aufgegebene Industrie-Flächen recyclen.

Rundschau: Apropos Pina Bausch – Sie haben in der so genannten Tanztheateraffäre um Intendantin Adolphe Binder sehr offensiv die Stadtspitze kritisiert. Immer noch?

Sander: Unbedingt! Auf den Bericht des OB, was bei der Information der Medien durch den PR-Berater Bieger wirklich gelaufen ist, warte ich nach wie vor. Auch viele andere Personalentscheidungen im Kulturbereich waren sehr unglücklich. Denken Sie an Kamioka und die Auflösung des Opern-Ensembles, oder an das unsägliche Verfahren bei der Finckh-Nachfolge. Ich weiß auch bis heute nicht, was der Kern der Vertragsauflösung von Theater-Intendantin Abbrederis war. Herr Slawig als Chef der Personalverwaltung schaltet und waltet, Kulturdezernent Nocke sitzt dabei. So etwas geht nicht.

Rundschau: Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten für sich und die Linke bei der Wahl am 13. September ein?

Sander: Bei der letzten Wahl bekam die Linke etwa acht Prozent, Gunhild Böth als OB-Kandidatin 6,7. Mehr wäre besser. Schon mit diesem Gewicht haben die Wähler der Linken damals die Stichwahl entschieden. Ich glaube, dass es in Zukunft eine haushaltstragende Koalition nur noch mit drei Parteien geben wird. Ich finde die Ausgangslage für uns nicht schlecht, denn die SPD hat kein eigenes Profil gewonnen und der CDU geht es auch nicht gut. Im letzten Stadtrat war immer Rot-Rot-Grün möglich, aber niemand hat mit uns geredet. Dabei sind in der Kommunalpolitik ganz andere Flexibilitäten möglich als auf Landes- oder Bundesebene.

Rundschau: Ihre Mitbewerber haben wir auch immer nach der Bundesgartenschau gefragt. Was sagen Sie?

Sander: Mir gefiel die ursprüngliche Idee der Verbindung aller großen Wuppertaler Parks. Das aktuelle Konzept sehe ich sehr kritisch. Davon geht kein tragfähiger Impuls aus. Außerdem hätte der Osten der Stadt gar nichts davon. Eine große Fläche an der Tesche in Vohwinkel würde für Parkplätze versiegelt, wäre für die Landwirtschaft verloren und dann käme wieder nur Einfamilienhausbau. Das Geld für die BUGA kann man anderswo sinnvoller ausgeben.

Rundschau: Wie müsste „ihr“ Wuppertal aussehen?

Sander: Eine Stadt, in der alle gut leben können, bezahlbaren Wohnraum bekommen, Arbeit finden, von der man leben kann und gute Luft zum Atmen haben. Und eine Stadt, in der diejenigen, die mehrere Autos, darunter auch SUVs, fahren, für ihren immensen ökologischen Fußabdruck einen Ausgleich bezahlen. In dieser Stadt haben dann auch rechts-nationalistische und neofaschistische Rattenfänger keinen Einfluss. Wenn das alles zusammen den Kapitalismus reformiert, soll es mir recht sein.