Bundestagswahl 2021 Auf ein Wa(h)lnuss-Eis mit ... Till Sörensen-Siebel

Wuppertal · Der Bundestagswahlkampf läuft auf vollen Touren, viel Stress für die Beteiligten. Die Rundschau beschert Kandidatinnen und Kandidaten aus dem großen Wuppertaler Wahlkreis I daher einen etwas entspannteren Termin und lädt sie in ihrem Lieblings-Eissalon auf ein „Wa(h)lnusseis“ ein. Redakteurin Milka Vidovic traf Till Sörensen-Siebel von den Linken in Wuppertal bei „Creme Eis“ am Platz der Republik.

 Till Sörensen-Siebel entschied sich für ein Himbeereis.

Till Sörensen-Siebel entschied sich für ein Himbeereis.

Foto: Simone Bahrmann

Rundschau: Hallo Herr Sörensen-Siebel, was darf’s denn sein und warum treffen wir uns hier?

Sörensen-Siebel: „Ich wohne um die Ecke und bin regelmäßig hier bei ,Creme Eis’ am Platz der Republik, deswegen habe ich diesen Ort für unser Treffen ausgesucht. Hier halte ich mich gerne auf. Aufgewachsen bin ich aber in Ronsdorf. Ich nehme übrigens ein Himbeereis, das esse ich am liebsten.“

Rundschau: Auf dem politischen Parkett zählen Sie mit einem Alter von 24 Jahren zu den Jüngeren. Die meisten Wuppertaler kennen Sie vermutlich noch nicht. Um ehrlich zu sein, musste ich auch erst nach Ihnen googeln. Dabei entdeckte ich, dass Sie derzeit studieren, Geschichte und Sozialwissenschaften. Warum diese beiden Fächer?

Sörensen-Siebel: „Naheliegend wäre es gewesen, Politikwissenschaft zu studieren. Allerdings habe ich für mich festgestellt, dass ich dafür nicht neutral genug bin. Ich entschied mich für Sozialwissenschaft. Mein Interesse für Geschichte kommt daher, dass ich damals an der Ronsdorfer Gesamtschule einen genialen Geschichtslehrer hatte. Über die Schule nahm ich an einem Denkmal-Projekt zu gefallenen Deserteuren des 2. Weltkriegs teil. Die Arbeit in dieser Projektgruppe hat mich sehr beeindruckt, auch das Zusammensitzen in Gremien. Das hat sehr zu meinem Interesse an Geschichte beitragen und mich in die Politik gebracht.“

Rundschau: Jetzt sind Sie bei den Linken. Seit wann?

Sörensen-Siebel: „Seit 2017 bin ich Mitglied, habe hier eine politische und persönliche Heimat gefunden. Ich habe für die Stadtratsfraktion die Rolle des schul- und jugendpolitischen Sprechers übernommen. Darüber hinaus konnte ich mit der Linksjugend ,’solid Wuppertal’ einige Projekte wie die ,Engels-Akademie’ erarbeiten und umsetzen.“

Rundschau: Mal unterstellt, die Wuppertaler Wählerschaft schickt Sie nach Berlin. Welche Themen nehmen Sie mit?

Sörensen-Siebel: „Mein Schwerpunkt liegt in der Bildungs- und Schulpolitik. Ja, das ist kein klassisches Bundesthema, sondern eher ein Landesthema. Ich stehe aber mit Absicht auf keiner Landesliste, weil ich der Meinung bin, dass wenn ich in den Bundestag einziehen sollte, dann über das Direktmandant. Das wäre ein Paukenschlag, ich wäre der erste Linke aus dem Westen Deutschlands, der in Berlin sitzt. Dieses Licht möchte ich wiederum auf Wuppertal werfen. Ich will was für diese Stadt machen und schaffen. Selbstverständlich nehme ich auch die Themen rund um die Verbesserung der Kinder- und Jugendarbeit und die soziale Frage mit.“

Rundschau: Was möchten Sie in den Bereichen in Wuppertal verändern?

Sörensen-Siebel: „Mir ist die so genannte soziale Frage besonders wichtig. Und die findet sich in jedem Thema wieder. Auch in der Bildung- und Schulpolitik und in der Jugendarbeit. Wir müssen Schule neu denken. Und auch die Strukturen an Universitäten überdenken.“

Rundschau: Was genau bedeutet das?

Sörensen-Siebel: „Ganz radikal gesagt, ist es fatal, dass Schülerinnen und Schüler nach der 4. Klasse getrennt werden. Wir brauchen das Modell der Gemeinschaftsschule. Die Kinder sollten von der 1. bis zur 10. Klasse zusammenbleiben. Das stärkt, fördert den Sinn für Gemeinschaft. Und wer danach ein Abitur machen möchten, drei Jahre lang sollte es meiner Meinung nach dauern, würde dies in einem Oberstufenzentrum machen.“

Rundschau: Was soll ein Oberstufenzentrum sein?

Sörensen-Siebel: „Oft fallen einzelne Leistungskurse weg, weil nicht genügend interessierte Schülerinnen und Schüler innerhalb einer Schule dafür gefunden werden. Diesen Fall hatten wir damals auch an meiner ehemaligen Schule. Der Kunst-LK kam nicht zustande. In einem Oberstufenzentrum würde das nicht passieren, weil es ein zentraler Anlaufpunkt für alle in Wuppertal wäre.“

Rundschau: Was läuft sonst noch schief?

Sörensen-Siebel: „Getreu dem Motto ,kurze Beine, kurze Wege’ sollten Kinder und Jugendliche wohnortnah zur Schule gehen. So bekämen wir eine gewisse Durchmischung innerhalb der Schülerschaft hin. Finanziell gut gestellte Eltern, die ihre Kinder mit dem SUV in eine weiter weg liegende Schule fahren, damit diese bloß nicht mit den „ärmeren Kindern“ in Kontakt kommen, das möchte ich nicht. Besonders viele Vorurteile haben wir hier auch gegen die migrantische Community. Und was mich auch stört: Wir müssen das Prinzip Hausaufgaben überwinden. Warum sollen Schülerinnen und Schüler sich nach dem Unterricht zu Hause noch mal zum Lernen hinsetzten? Das ist in meinen Augen totaler Quatsch.“

Rundschau: Warum ist das Quatsch?

Sörensen-Siebel: „Zu Hause sollen sich Kinder und Jugendliche persönlich entfalten können und nicht weiter Stoff lernen. Stoff lernen ist nicht das Entscheidende, Schule sollte vor allem Fähigkeiten vermitteln. Jungen Menschen sollte die Fähigkeit vermittelt werden, wie sie sich frei entfalten können. Das bleibt derzeit innerhalb unseres Schulsystems auf der Strecke. Bildung findet auch außerhalb der Schule statt.“

Rundschau: Was meinen Sie mit der Fähigkeit, sich frei zu entfalten?

Sörensen-Siebel: „Bildung hört nicht nach dem Unterrichtsschluss, nach der mittleren Schulreife oder dem Abitur auf oder findet über Hausaufgaben statt. Bildung geht darüber hinaus. Wir müssen niedrigschwellige Angebote schaffen, den Zugang zur Kultur erleichtern, Teilhabe bieten. Für viele ist das nicht möglich. Ein Beispiel für Bildung nach der Schule: Für viele junge Menschen ist ein Studium ein finanzieller Risikofaktor. Wenn sie sich dazu entscheiden, doch zu studieren, ballern sie oftmals ihr Studium durch, um schnell fertig zu werden. Damit sie sich während der Studienzeit nicht verschulden. Und plötzlich sind sie fertig, stehen vielleicht als Lehrkraft vor einer Klasse und hatten gerade mal ein einziges Didaktik-Seminar. Das ist für mich keine Methode, um Lehrkräfte zu befähigen, die wiederum selbst Wissen vermitteln sollen.“

Rundschau: Sie spielen auf soziale Ungerechtigkeit an?

Sörensen-Siebel: „Ich komme an dieser Stelle wieder zurück auf die Schulen. Hier fängt es doch schon an. Zum Beispiel fehlen uns rund fünf Millionen Euro, um die Realschule Leimbach auszulagern und guten Unterricht zur Verfügung zu stellen (anstehende Sanierung, Anm. d. Red.). Wie kann dieses Geld fehlen, in einem Land, in dem jeder 80. Mensch Millionär ist. Und es trifft wieder eine Schule mit finanziell benachteiligtem Klientel. Kindern, die aus prekären Verhältnissen kommen, also die klassischen Arbeiterkinder, sind abgehängt. Ich möchte diese Schichtengrenzen aufweichen.“

Rundschau: Wie denn?

Sörensen-Siebel: „Eine Vermögensbesteuerung ist sinnvoll. Ab einem Vermögen von über einer Million Euro. Dieses Geld sollte reinvestiert werden. In die Bildung und freie Entfaltung junger Menschen.“

Rundschau: Sie möchten mit Ihrer Politik insbesondere junge Wuppertaler ansprechen?

Sörensen-Siebel: „Ich spreche Wuppertals breite Masse an. Nicht die oberen 10.000. Was eine Wahlstimme angeht, weiß ich, dass die mich bzw. die Linke sowieso nicht wählen. Ich spreche den Mittelstand und den finanziell bzw. sozial benachteiligten Teil der Bevölkerung an.“

Rundschau: Woher kommt Ihr Engagement für die sozial bzw. finanziell benachteiligte Bevölkerungsschicht?

Sörensen-Siebel: „Ich komme selbst aus prekären Verhältnissen. Ich wuchs als Sohn einer allein erziehenden Mutter auf und lernte früh, dass Armut in diesem Land knallharte Realität ist. Gerade für Frauen. Wer von weniger als 1.200 Euro im Monat leben muss, ist arm. Insbesondere wenn diese Summe für einen Haushalt mit mehr als einer Person zur Verfügung steht. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Wir müssen davon betroffene Menschen auffangen. Ob über ein bedingungsloses Grundeinkommen, was in unsere Partei auch umstritten ist, oder ein elternunabhängiges Bafög oder mehr Wohnungsgeld. Finanziell eingeschränkt kann sich niemand frei entwickeln. Wir müssen diesen Druck von den Menschen nehmen, damit sie ihr Leben frei führen können. Ich hatte keinen niedrigschweilligen Zugang zu Kunst und Kultur. Das ist mir in meiner Jugend leider flöten gegangen. Auch die politische Partizipation. Nun hatte ich das Glück, die Gesamtschule Ronsdorf zu besuchen und ohne Schulwechsel nach der Mittelstufe das Abitur zu erwerben – in einer anderen Schulform eher fraglich. Darüber hinaus politisierte mich der wirklich gute Geschichtsunterricht.“

Rundschau: Zum Abschluss mal was ganz Anderes: Ich habe gehört, dass Sie Star-Wars-Fan sind. Gibt es einen Charakter aus diesem Universum, der Ihr politisches Vorbild sein könnte?

Sörensen-Siebel: „Da fällt mir Qui-Gon Jinn ein, ein Jedi-Meister des Alten Jedi-Ordens zur Zeit der Galaktischen Republik. Er lässt sich nicht von der herrschenden Meinung mittragen und geht seinen eigenen Weg. Für meine Heimat Wuppertal würde ich mich auf dieselbe Art in Berlin einsetzen.“

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