Abbruch der Sondierungsgespräche Lindh: "Grundgesetz bietet Möglichkeiten"

Wuppertal / Berlin · Nach dem Abbruch der Sondierungsgespräche über die Bildung einer neuen Bundesregierung gibt es Stellungnahmen Wuppertaler Politiker.

 Helge Lindh.

Helge Lindh.

Foto: Büro Lindh

Helge Lindh (SPD-Bundestagsabgeordneter):

"Die langen Sondierungsgespräche von CDU/CSU, FDP und Grünen sind gescheitert. Angela Merkel hat es als Verhandlungsführerin nicht geschafft, den Auftrag zur Regierungsbildung, den ihr die Bürgerinnen und Bürger übertragen haben, umzusetzen. Sie hat in den Sondierungsgesprächen keine Linie vorgegeben. Bei den Jamaika-Verhandlungen standen nicht das Wohl unseres Landes im Vordergrund, sondern innerparteiliche Machtkämpfe und persönliche Eitelkeiten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat heute zu Recht darauf hingewiesen, dass das Mandat zur Regierungsbildung der höchste Auftrag der Wählerinnen und Wähler an die Parteien in einer Demokratie ist. Es ist richtig, dass er jetzt mit allen Parteien sprechen möchte. Die SPD hat sich noch nie vor Verantwortung gedrückt und wird sich auch jetzt den Gesprächen stellen. Ich vertraue auf den Bundespräsidenten und seine im Grundgesetz festgeschriebene Rolle in diesen wichtigen nächsten Wochen. Sein Vorgehen und letztliches Entscheiden verdient den angemessenen Respekt.

Für alle Demokratinnen und Demokraten sollte klar sein, dass Neuwahlen nur als letztmögliche Option zur Anwendung kommen sollten. Die Wählerinnen und Wähler haben ihren Willen bereits vor acht Wochen kundgetan. Wir können nicht so lange wählen lassen, bis es für Angela Merkel passt. Sie kann sich mit Forderungen nach Neuwahlen nicht einfach so aus der ihr übertragenen Verantwortung herausstehlen.

Die SPD scheut keine Neuwahlen. Aber zunächst gilt es, alle Möglichkeiten abzuwägen, die das demokratische System Deutschlands bietet. Zu den Varianten gehört auch die Option einer Minderheitsregierung aus dem Kreis der Jamaika-Parteien. Das wäre sicherlich nicht der bequemste Weg für Angela Merkel. Aber eine Regierung, die für ihre politischen Vorhaben

werben und Überzeugungsarbeit leisten muss, um Mehrheiten zu organisieren, könnte auch eine Chance sein, um bei vielen Bürgerinnen und Bürgern verlorengegangenes Vertrauen wieder herzustellen. Unser Grundgesetz bietet ausreichend Möglichkeiten dafür.

Eines steht aber fest: Alle demokratischen Parteien müssen zusammenarbeiten, damit nicht die antidemokratischen Kräfte vom Scheitern Angela Merkels und der Jamaika-Parteien profitieren."

 Jürgen Hardt.

Jürgen Hardt.

Foto: Büro Hardt

Jürgen Hardt (CDU-Bundestagsabgeordneter und Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion):

"Bis zum Sonntagabend hatte ich damit gerechnet, dass die Sondierung zum Erfolg geführt wird. In den zahlreichen Zusammentreffen und Telefonkonferenzen der letzten Wochen war ich als Außenpolitischer Sprecher durch unseren CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder und unsere Verhandlungsführerin für die Außen- und Sicherheitspolitik, Ursula von der Leyen, in die Sondierungsverhandlungen eingebunden. Aus meiner Sicht war zu jedem strittigen Punkt eine Einigung greifbar.

Umso erstaunter bin ich, dass gerade die FDP gestern Abend die Gespräche zum Platzen brachte. Ich kann mir dies nicht inhaltlich, sondern allenfalls emotional erklären: Vielleicht fühlt sich die FDP in ihrem Stolz verletzt, dass sie in einer Jamaika-Koalition für die Union nicht klar die Nummer Zwei wäre, sondern sich diesen Rang mit den Grünen teilen müsste. Nun sind verschiedene Optionen denkbar:

Erstens eine Fortsetzung der offensichtlich zielführenden Gespräche zwischen Union und Grünen mit dem Ziel, die Inhalte für eine schwarz-grüne Minderheitsregierung zu vereinbaren, die zunächst einmal für die nächste Zeit die notwendigen Entscheidungen trifft. Angela Merkel hätte hierfür sicher die notwendige Mehrheit. Ein klares schwarz-grünes Regierungsprogramm würde auch den Bundespräsidenten überzeugen, das Wagnis einer Minderheitsregierung einzugehen.

Zweitens sollte die Union noch einmal auf die SPD zugehen. Die aktuelle Situation wird eine Debatte in der SPD entfachen, warum sie bisher leichtfertig jedwede Regierungsbeteiligung ausgeschlossen hat. Diese Haltung verstößt gegen den Geist unserer Demokratie, in der gewählte Volksvertreter eigentlich gefordert sind, Verantwortung für das Land zu übernehmen und nicht von sich zu weisen. Für mich war es eine bewusste Irreführung der Wähler, dass Martin Schulz im Wahlkampf der Frage nach möglichen Koalitionen immer ausgewichen ist. Hätten die Menschen gewusst, dass die SPD für eine Regierungsbildung im Falle einer Niederlage nicht zur Verfügung steht, hätten wohl manche anders gewählt.

Drittens könnte die FDP zur Vernunft kommen und die Entscheidung von heute Nacht noch einmal überdenken. Sie würde dann aber geschwächt an den Verhandlungstisch zurückkehren. Der Parteivorsitzende wäre erheblich angeschlagen.

Viertens bleibt als Option die Auflösung des Bundestages und Neuwahlen. Dies wäre eine schlechte Lösung. Insbesondere sehe ich nicht, dass sich an den Mehrheiten im Bundestag dadurch etwas grundsätzlich ändern würde. Wahrscheinlich bliebe es bei den beiden Optionen Jamaika oder Große Koalition. Es wäre nur Zeit verloren. Ich glaube, dass bei Neuwahlen die "Verweigerer" bestraft würden - mit Leihstimmen aus der Union könnte die FDP bei einem neuen Urnengang sicher nicht rechnen. Und die SPD gibt derzeit auch kein Bild von Handlungs- und Entscheidungsfreude ab. Eine eigenständige Mehrheit für Schwarz-Grün auf Basis der Sondierungsergebnisse, von Union wie Grünen zum Wahlziel erklärt, könnte die Wähler ermutigen, beim neuerlichen Urnengang eher CDU bzw. CSU oder Grün zu wählen.

Es kommt jetzt darauf an, dass die Akteure bei FDP und oder SPD ihre Verweigerungshaltung aufgeben und den Wählerauftrag erfüllen, in Deutschland für stabile politische Verhältnisse zu sorgen. Die Union, Angela Merkel und Horst Seehofer sind dazu bereit."

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