Ev. Schulreferentin Beate Haude „Bewundere das Krisenmanagement“

Wuppertal · In dieser Woche hat wieder die Schule begonnen. Der Start ist überschattet von vielen Sorgen. Doch die sollten jetzt nicht im Vordergrund stehen, rät Schulreferentin Beate Haude vom Ev. Kirchenkreis Wuppertal.

 Schulreferentin Beate Haude.

Schulreferentin Beate Haude.

Foto: Kirchenkreis

Corona, Krieg, Energiekrise und Inflation: Es gibt genug Gründe, sich Sorgen zu machen. Wie wirkt sich das auf die Stimmung an den Schulen aus?

Haude: „Das habe ich ein paar Kolleginnen aus dem Kreis der Grundschulleiterinnen kurz vor Ende der Ferien auch gefragt. Ich war überrascht zu hören, dass Corona inzwischen zu den kleineren Aufregern gehört. Was die Schulleiterinnen und Schulleiter der Grundschule derzeit stark bewegt, ist der eklatante Mangel an Lehrkräften. Es fehlen zu Schuljahresbeginn 30 reguläre Klassenleitungen. Und es gibt in Wuppertal 500 Schülerinnen und Schülern mehr, die aus der Ukraine zu uns gekommen sind. Wir bräuchten im Grunde ganze zwei weitere Schulen. Die strukturellen Probleme in der Schule werden in der Öffentlichkeit unterschätzt. Ich bewundere das Krisenmanagement in den Schulen.“

Das Schulministerium setzt auf „Klarheit und Verlässlichkeit“ für einen guten Start ins Schuljahr 2022 und hat bereits über Regelungen für den Schulbetrieb nach den Sommerferien informiert. Hat das Lehrer, Schüler und Eltern etwas beruhigt?

Haude: „Ich will es einmal so sagen: Jenseits aller Ideologie hat Schulministerin Dorothee Feller mit der 20-seitigen Handreichung zu Corona durchaus gepunktet. Die ständige Planungsunsicherheit und die Arbeit an Konzepten, die wenig später nicht mehr relevant waren, hat die Schulen und Elternhäuser seit 2020 am meisten zermürbt.“

Was können Eltern und Lehrer tun, damit der Start gut gelingt und nicht die Sorgen, sondern die Freude für die Schüler überwiegt?

Haude: „Eine gute Frage, denn die Sorgen über die Zukunft sind ja nicht nur berechtigt, sondern vollkommen rational. Es gibt ein Kirchenlied mit dem Titel „Gehet nicht auf in den Sorgen dieser Welt, sondern sucht zuerst Gottes Reich.“ Und das glaube ich tatsächlich auch: Wenn wir darauf vertrauen, dass Gott am Ende gut machen wird, was der Mensch verpatzt hat, gibt es Anlass zu Hoffnung und Freude, auch in schwierigen Zeiten. Deshalb können Lehrerinnen und Lehrer und Eltern einfach freundlich, rücksichtsvoll, mutig und voller Pläne mit den Kindern sein, ohne dass die Sorgen alles kaputt machen. Darum sind auch die Einschulungsgottesdienste so wertvoll: Sie zeigen etwas davon.“

Viele Schüler empfinden heute großen Erwartungs- und Leistungsdruck. Schon in der Grundschule ist das Abitur ein Thema. Wie kann das Lernen mit mehr Gelassenheit verbunden werden?

Haude: „Gar nicht, wenn wir uns nicht endlich von dieser Leistungsgesellschaft mit ihrem ,Immer-mehr‘ verabschieden. Wir sollten verstehen, dass Wachstum eine Grenze hat. Ich bin nicht gegen Leistung. Im Gegenteil. Allzu häufiges Herumhängen ohne groß Leistung zu erbringen, macht unglücklich und krank. In der Schule muss es gleichermaßen Phasen von Anstrengung und Phasen von Entspannung geben. Aber auch die schönsten Schulprogramme und Konzepte nützen nichts, wenn am Ende doch nur ein Teil der Schülerinnen und Schüler ein sorgloses Leben mit gutem Auskommen führen kann und der Rest nicht. Das zu beheben ist nicht in erster Linie Aufgabe der Schule, sondern eine politische Aufgabe mit dem Titel Gerechtigkeit.“

Gerade in Krisenzeiten brauchen Kinder und Jugendliche Ermutigung und Wertschätzung. Was kann der Religionsunterricht dazu beitragen?

Haude: „Der Religionsunterricht ist – obwohl ordentliches Unterrichtsfach – ein Raum, in dem die Uhren anders gehen. In diesem Unterricht geht es nicht um Konkurrenz, sondern im allerweitesten Sinne um die Weitergabe und den Sinn der großen Geschichten unserer Bibel. Das ist nur denkbar, wenn man alle Schülerinnen und Schüler so annimmt, wie sie sind. Ihre existenziellen Themen bestimmen den Unterricht mit, ihre Fragen und Beiträge sind selbst Unterrichtsgegenstand. Im Idealfall nimmt sich der Religionsunterricht mehr Zeit für alle, steht weniger unter Druck. Ich selbst habe im Religionsunterricht die erstaunlichsten Beispiele von Frieden erlebt. Momente, in denen plötzlich einfach alles nur schön ist. In denen man versteht, warum Frieden ein so zentraler theologischer Begriff ist.“

Schule ist heute nicht nur ein Lern- sondern auch Lebensort. Was braucht es, damit das im neuen Schuljahr trotz all der Krisen, die auf uns einwirken, nicht vergessen wird?

Haude: „In dieser Hinsicht kann man manches vom jungen Luther lernen, der erkannte, dass es einerseits die klare politische Realität gibt, in der gehandelt und deutlich geredet werden muss, und eine andere Realität, in der Menschen Rückenwind bekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen oder können. Schülerinnen und Schüler sollten also auf didaktisch geeignete Weise dazu gebracht werden, Probleme zu erkennen und je nach Talenten Problemlösung zu betreiben.

Aber Schülerinnen und Schüler sollten auch erfahren dürfen, dass unsere Wirkmacht ein Ende hat, dass wir nicht allein unseres Glückes Schmied sind, dass Liebe, Glück und Frieden etwas sind, das wir nicht machen können, sondern uns in der Gemeinschaft geschenkt überrascht und umhüllt. Daher ist es ein enorm wichtiges Lernziel, zur Ruhe zu kommen und wahrzunehmen, dass wir nur das Wenigste selbst in der Hand haben. Das Wichtigste wächst selbst und wird uns geschenkt.“

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