Diskussion im Bundestag Lindh über Sterbehilfe: „Nicht über Motive richten“

Wuppertal / Berlin · Für eine Neuregelung der Sterbehilfe außerhalb des Strafrechts hat der Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh im Deutschen Bundestag geworben. Er sprach in erster Lesung über die vorliegenden Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidhilfe für einen fraktionsübergreifenden Antrag aus, den er federführend mit den Abgeordneten Kathrin Helling-Plahr (FDP), Petra Sitte (Linke), Till Steffen (Grüne) und Otto Fricke (FDP) vorgelegt hat.

 Helge Lindh im Plenum.

Helge Lindh im Plenum.

Foto: Fionn Große

Der Entwurf sieht eine umfassende Beratung von sterbewilligen Menschen vor und nimmt Ärzte, die beim assistierten Suizid unterstützen, vom Strafrecht aus. Ärzte seien nach dem Entwurf weiterhin frei in ihrer Entscheidung, ob sie Menschen beim Suizid unterstützen wollten oder nicht, so Lindh. Eine Mehrheit der Bevölkerung sei Umfragen zufolge für ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das mit diesem Gesetzentwurf verwirklicht werden könne.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht das derzeit geltende Verbot der Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt hatte, debattierte der Bundestag nun über mögliche Vorschläge zur Neuregelung. Dringend notwendig sei zugleich eine Offensive für eine deutlich bessere Suizidprävention durch Beratung und Therapieangebote. Ebenso wichtig sei eine fortwährende Verbesserung der Palliativmedizin.

„Wir müssen am Ende akzeptieren, dass der Moment sein kann, dass jemand selbstbestimmt – aus Motiven, über die er oder sie selbst entscheidet – sich entscheidet aus dem Leben zu gehen, und das müssen wir ermöglichen und das müssen wir auch assistiert ermöglichen. Das hat uns das Verfassungsgericht aufgegeben. […] Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass wir nicht über Motive zu richten haben und nicht fremddefinierte Kategorien entscheidend sein dürfen.“, so Lindh.

Vor allem aber stelle er folgende Frage: „Was für ein Menschenbild und Gesellschaftsbild haben wir? Es ist doch nicht so, dass wir uns in einem Verrechnungsverhältnis bewegen von Palliativmedizin, von Hospizbewegung, von Prävention und assistiertem Suizid. Nein, zusammen ist das zu denken. Und wieso gehen wir oft davon aus, dass Menschen – auch wenn uns das nicht gefällt, auch wenn wir uns dagegen wehren – am Ende eine solche Entscheidung treffen, sie auch treffen können, und wir deshalb nicht von unserer eigenen Befindlichkeit ausgehen können, sondern diese zutiefst persönliche Entscheidung in ihrer persönlichen Form wahrnehmen und sehen müssen und dabei unterstützen: Denen, die es entscheiden, aber auch denjenigen, die helfen und sie nicht in die Gefahr der Strafbarkeit zu senden.“

Zur Debatte um die Neuregelung der Suizidhilfe erklärt Lindh: „Das derzeitige Verbot der Sterbehilfe (Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) wurde vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig befunden. Wir werben dafür, die Sterbehilfe aus dem Strafrecht zu lösen. Der Sterbewunsch eines Menschen ist eine Zumutung. Eine Zumutung, der wir uns stellen müssen. Wir sind der Überzeugung, dass wir aus dieser Zumutung keine Zumutung für den Betroffenen und potenzielle Helferinnen und Helfer werden lassen dürfen, sondern dass wir diese Zumutung ertragen müssen.

Wir dürfen auch nicht den Fehler machen, Palliativmedizin und Suizidhilfe gegeneinander auszuspielen oder in ein Verrechnungsverhältnis zueinander zu setzen. Wir dürfen im Gesetzgebungsverfahren nicht von unserer persönlichen Befindlichkeit ausgehen, sondern müssen den individuellen Wunsch respektieren. Sterbewillige, Ärzte und Angehörige dürfen in keinem Fall mit dem Strafrecht konfrontiert werden, sondern sollen unseren Beistand und Unterstützung in dieser existenziellen Situation erwarten dürfen.

Unsere Gesellschaft hat bisher keinen Weg gefunden, mit Sterbewünschen umzugehen. Das ist auch Resultat fehlender öffentlicher gesellschaftlicher Debatten. Ich werbe für einen Weg, der den selbstbestimmten Willen des Menschen anerkennt. Über Motive der Sterbewilligen hat der Gesetzgeber nicht zu richten. Wohl aber müssen Beratungsangebote selbstverständlich zur Verfügung stehen – nicht in der Erwartung, dass nach jeder Beratung der Sterbewunsch abgelegt wird, aber im Sinne der selbstbestimmten Entscheidungsfindung jedes betroffenen Menschen. Deshalb werde ich – auch in Tradition des verstorbenen Wuppertaler Bundestagsabgeordneten Peter Hintze – für eine liberale Neuregelung der Suizidhilfe.“

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