Interview: Fachärztin Karin Hoeltz (Gesundheitsamt) über den Aids-Fallanstieg "Der Schutzwille lässt nach"

Wuppertal · Am Dienstag wurde der Welt-Aids-Tag begangen — in Wuppertal traditionell mit dem Verteilen der roten Solidaritätsschleifen in der Schwebebahn. Rundschau-Redakteurin Sabina Bartholomä sprach mit Fachärztin Karin Hoeltz vom Gesundheitsamt über Aids und die Frage, warum die zahl der Neuinfektionen weiterhin auf einem hohen Niveau liegt.

 Karin Hoeltz: „Viele wussten gar nicht mehr, was die Aids-Schleife sollte.

Karin Hoeltz: „Viele wussten gar nicht mehr, was die Aids-Schleife sollte.

Foto: Raina Seinsche

Rundschau: Haben Sie den Eindruck, dass Aids im Bewusstsein vieler nicht mehr vorkommt?

Hoeltz: Ja, schon seit mehreren Jahren. Als wir am Dienstag die Schleifen verteilt haben, wussten viele gar nicht, dass Welt-Aids-Tag war. HIV ist wieder zu einer Sache geworden, die im Bewusstsein vieler Menschen nicht mehr besonders präsent ist.

Rundschau: Zeigt diese Einstellung Folgen?

Hoeltz: Ja, seit 2001 verzeichnen wir einen leichten Anstieg der Neuinfektionen. Der Schutzwille lässt nach. Die Schrecken aus den 80er Jahren, als auch viele Prominente unter den Aids-Opfern waren, sind nicht mehr so groß. Für die junge Generation ist das Thema Geschichte. Aber auch Syphilis und Gonorrhoe treten wieder vermehrt auf, was auch auf einen häufigeren Partnerwechsel deutet. Hoch liegen die Neuinfektionen bei Chlamydien, eine Erkrankung, die zur Unfruchtbarkeit führen kann. Davon sind besonders junge Menschen stark betroffen.

Rundschau: Wie hoch ist die Zahl der HIV-Neudiagnosen?

Hoeltz: Wir verzeichnen in Wuppertal zehn bis 20 Fälle pro Jahr, aber es können durchaus mehr sein. Es kann sein, dass sich Menschen in anderen Städten testen lassen. Da viele Tests anonym durchgeführt werden, werden einige Fälle möglicherweise den testenden Städten zugeschlagen.

Rundschau: Gibt es noch die Ansteckungsgefahr durch Blutübertragung?

Hoeltz: Blutübertragungen spielen praktisch keine Rolle mehr, das Risiko liegt bei 1:3 Millionen. Außerdem wird im Vorfeld großer Operationen versucht Eigenblut des Patienten zu sammeln, um eine Übertragung zu vermeiden.

Rundschau: Haben sich die Behandlungsmöglichkeiten für HIV-Patienten weiter verbessert?

Hoeltz: Ja, wird die Infektion frühzeitig erkannt und behandelt, kann der Infizierte meistens ganz normal leben und arbeiten, auch die Lebenserwartung ist nicht eingeschränkt. Die neuen Medikamente greifen das Virus an verschiedenen Stellen in seinem Vermehrungszyklus an. Gut behandelte HIV-Patienten sind quasi nicht mehr infektiös.

Rundschau: Müssen HIV-Positive auch heute noch mit Diskriminierung rechnen?

Hoeltz: Viele befürchten das und outen sich nicht. Aber wer sich nach reiflicher Überlegung outet, macht meistens keine negativen Erfahrungen. Auch unsere Umfragen haben ergeben, dass die meisten Menschen keine unnötige Angst vor Ansteckung haben und aufgeklärt sind. Nur Zahnärzte, die es eigentlich besser wissen müssten, tun sich manchmal schwer.

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