"Nicht nachvollziehbar!"

Betr.: Leserbrief "Es gibt nur Verlierer", Rundschau vom 12. Oktober

Sehr geehrter Herr Mengel,
vielen Dank für Ihre Zuschrift, auch wenn ich aufgrund des von Ihnen gewählten Formats der Übermittlung als offener Brief diese primär als Meinungsbekanntgabe, denn als Beginn einer ernst gemeinten Kommunikation mit mir einstufe. Dennoch möchte ich Ihnen direkt und persönlich antworten.

Gerade bei einem so kontroversen Thema gilt es Haltung zu zeigen, Sichtweisen und Meinungen zu erläutern, zu argumentieren und sich nicht weg zu ducken. Ihre Darstellung, ich hätte im Januar verkaufsoffene Sonntage am 6. November und 4. Dezember diesen Jahres abgesprochen und sei nicht verlässlich, weil ich diese nun beklage, ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich habe weder erklärt, dass ich einer Verkaufsöffnung an diesen Sonntagen zustimme, noch gab es die von Ihnen angegebenen Entscheidungen, die dies zum Inhalt gehabt hätten. Daher kann ich auch keine Vereinbarung gekippt haben.

Was konkret meinen Sie mit "Machtposition"? Ich bin stellvertretend für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Kläger in einem Rechtsstreit mit der Stadt Wuppertal und habe beantragt festzustellen, dass die Verordnung der Stadt Wuppertal, die Rechtsgrundlage für die Verkaufsöffnung an Sonntagen ist, gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Ein Rechtsstreit ist ein zivilisierter und normaler Lebenssachverhalt, mit dem zwei Parteien, die über eine Rechtsfrage keine Einigkeit herstellen konnten, einen objektiven Richter um Entscheidung nach Recht und Gesetz bitten. Diese "Machtposition" hat in einem Rechtsstaat jeder, der belegen kann, dass eine Verletzung seiner Rechte droht. Ich finde es befremdlich, mir die Ausübung eines zustehenden Rechts als "Machtposition" auszulegen, müsste ich ansonsten im Umkehrschluss ein rechtswidriges Verhalten über mich bzw. die von mir vertretene Organisation ergehen lassen.

Bezogen auf die von Ihnen angesprochenen Aufwände wäre das in etwa so, als würden Sie einen rechtswidrigen Bußgeldbescheid von der Stadt Wuppertal erhalten und ich erwarte dann von Ihnen, dass Sie gegen diesen nicht gerichtlich vorgehen, weil ja für das Ausstellen des Bescheides Aufwände für Personal, Papier und Versand entstanden sind und das fällige Bußgeld ja der Allgemeinheit zu Gute kommt. Auf Ihre Reaktion auf diese Forderung wäre ich sehr gespannt.

Ich will nicht bestreiten, dass die Kurzfristigkeit in einem Eilverfahren kein angenehmer Umstand für die Betroffenen ist. Zu einem Rechtsstreit gehören aber immer zwei Seiten. Ich habe der Stadt Wuppertal in einem Gespräch am späten Nachmittag des 25. Oktober 2016 eine rechtskonforme Lösung zur Vermeidung des Rechtsstreits vorgeschlagen. Diese wurde seitens der Stadt abgelehnt. Dafür trage ich keine Verantwortung.
Der Ehrlichkeit halber sei erwähnt, dass diese Lösung Sie gar nicht erfasst hätte, da eine Verkaufsöffnung im Bereich Rauental mit den derzeitigen Anlässen nicht rechtskonform darstellbar ist.

Ich halte Ihre Argumentation zu den Aufwänden nicht für schlüssig. Ich habe als Kunde die Erwartung, dass mein Einkauf nicht nur an verkaufsoffenen Sonntagen ein Erlebnis ist, sondern Kundinnen und Kunden auch zu den regulären Öffnungszeiten eine kompetente, ehrliche, fachkundige Beratung und attraktive Angebote erhalten. Ich finde diese montags bis samstags bei den Händlerinnen und Händlern meines Vertrauens und kaufe deshalb im Fachhandel vor Ort ein. Ich denke, dies gilt für alle Kundinnen und Kunden, deren Erwartungen ebenso erfüllt sind wie meine. Kaufkraftabflüsse haben Sie dann nicht zu befürchten. Zudem beweisen kreative Events wie "Das Viertel leuchtet" am vergangenen Freitag in Elberfeld, dass der lokale Einzelhandel auch zu regulären Öffnungszeiten mit attraktiven Ideen zusätzliche Kundenströme und Umsätze generieren kann.

Für die von Ihnen angesprochene Ungleichbehandlung bin ich nicht verantwortlich. Fakt ist, dass eine Rechtslage besteht, die in Nordrhein-Westfalen für alle Kommunen gleich ist. Auf Basis eines Ministerialerlasses wären alle Kommunen verpflichtet, die bestehende Rechtslage anzuwenden. Der Ministerialerlass wiederholt die Anordnung unseres Grundgesetzes in Artikel 20 Absatz 3: "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden." Damit wären alle (!!!) Kommunen gehalten, die Verordnungen zum Offenhalten von Verkaufsflächen auf Rechtmäßigkeit zu prüfen und wo diese nicht gegeben ist auszusetzen. Sie wollen mir die Schuld dafür geben, dass von den Kommunen Recht und Gesetz gebrochen wird und diejenigen benachteiligt sind, die sich rechtsstreu verhalten? Dies kann in einem Rechtsstaat kein überzeugendes Bild sein. Rechtsstaatlichkeit kann nicht erst durch Klage erzwungen werden müssen! Sie muss stets und immer gelten.

Es mag sein, dass die von Ihnen beschriebenen Standards zur Vergütung Ihrer Beschäftigten an Sonntagen so gut sind. Dies wäre aber ein Standard, der mitnichten in der gesamten Branche gilt. Im Gegenteil, ist kaum eine andere Branche so stark von prekärer Beschäftigung geprägt, wie der Einzelhandel. Nur noch rund 10% der Unternehmen sind zudem tarifgebunden. Die Zahlen des statistischen Bundesamtes und der Bundesagentur für Arbeit sprechen eine deutliche Sprache. Beispielsweise hat die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten an Samstagen bis 20:00 Uhr seit dem Jahr 2003 bis zum Jahr 2007 im Handel lediglich zu einer Umsatzsteigerung von 0,2 % geführt. Zugleich ist die Zahl der Beschäftigten um 3,2 % zurückgegangen. Besonders gravierend ist die Entwicklung bei den Vollzeitbeschäftigten. Deren Zahl ist in den letzten 10 Jahren zunächst um 10,5 % gesunken und heute auf dem Niveau des Jahres 1995 (!!!), während der Anteil geringfügig entlohnter Beschäftigter um 4,9 % und der Anteil von Teilzeitbeschäftigten um 5,9 % gestiegen sind (Quelle: Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit für das WABE-Institut Berlin und Statistisches
undesamt (DESTATIS), Jahresstatistik im Handel 2012, (Genesis-Statistik 3
45.341)). Diese Zahlen zeigen, dass eine umfangreichere Verlängerung der Ladenöffnungszeiten nicht die von Ihnen erhofften positiven Effekte nach sich zieht. Die Veränderung der Öffnungszeiten hat keine Erhöhung des Konsums zur Folge, verursacht aber höhere Betriebskosten. Regelmäßig werden diese durch Einsparungen bei den Personalkosten kompensiert, was zu einer Ausweitung geringfügig entlohnter Beschäftigung zulasten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führt.

Daher sind unsere Mitglieder in den Beschlussfassungen klar und festgelegt und haben uns als Organisation den Auftrag gegeben, den Sonn- und Feiertagsschutz des Grundgesetzes zu verteidigen, wo immer es geht. Zudem zeigt ein Vergleich der Regelungen zu Ladenöffnungszeiten der Bundesländer, dass die Entwicklung des Einzelhandels in den Bundesländern die beste ist, die die rigidesten Ladenöffnungszeitenregelungen haben (bspw. Bayern).

Im Ergebnis verlagern sich lediglich die Kundenströme, zugunsten der großen Einkaufszentren, zulasten kleinerer Einzelhandelsgeschäfte und der Geschäfte in städtischen Randlagen. Trotz oder vielleicht gerade aufgrund der Novellierung des LÖG und der Einführung eines Anlassbezuges und der Begrenzung der verkaufsoffenen Sonntage liegt die Umsatzrendite im Einzelhandel relativ stabil über 3,5%. Die Personalkosten-Gewinn-Relation erreicht (2012) 31%, d.h. mit einem Euro, der für Personalkosten aufgewendet wird, werden aktuell 31 Cent an Brutto-Gewinnen verdient. Mitnichten kann und wird daher der notwendige Verzicht auf Sonntagsöffnung
im Umfang von 10 Stunden in diesem Jahr zu wahrnehmbaren Effekten bezogen auf die Umsätze führen. Die Effekte einer Sonntagsöffnung dürften im Gegenteil in Bezug auf die Vorteile im entsprechenden Faktor marginal sein, wohingegen die negativen Auswirkungen vollumfänglich eintreten. Spannenderweise könnte die vorab beschriebene Konkurrenzsituation
dazu führen, dass die Händler in Randlagen zulasten des Sonn- und Feiertagsschutzes um liberalere Öffnungszeiten wetteifern müssen. Bezogen auf die aktuelle Rechtsprechung sind es aber gerade die Innenstadtlagen, die von den durch die Interessen- und Standortgemeinschaften organisierten Veranstaltungen durch den Anlassbezug überhaupt für eine Freigabe von Sonntagsöffnung in Frage kommen.

Für Sie am Rauental kommt dies nicht zum Tragen. Diese Form der Wettbewerbsverzerrung durch die Politik des Einzelhandelsverbandes und der Interessen- und Standortgemeinschaften wird von Ihnen überhaupt nicht berücksichtigt.

Die Interessen von Kunden und Einzelhändlern werden von Montag bis Samstag in 108 möglichen verkaufsoffenen Stunden ausreichend berücksichtigt. Der arbeitsfreie Sonntag ist die Regel und nicht die Ausnahme. Es muss daher zu Einschränkungen von Verkaufsöffnungen an Sonntagen kommen, um dem Verfassungsauftrag und Grundrechtsschutz nachzukommen. Danach ist bei der konkreten Ausgestaltung ein öffentliches Interesse solchen Gewichts zu verlangen, dass dies Ausnahmen von der Arbeitsruhe rechtfertigt. Dazu genügen das alleinige Umsatz- und Erwerbsinteresse auf Seiten der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche "Shopping-Interesse" auf der Kundenseite nicht, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 1. Dezember 2009 klarstellt. Der Prüfung der Anlässe für die Sonntagsöffnung kommt daher eine entscheidende Bedeutung zu. Sämtliche Gerichtsentscheidungen in der Sache dokumentieren aber, dass diese Bedeutung von den Verantwortlichen in Verwaltung und Handel völlig ignoriert wird. Dies ist und war nicht länger akzeptabel.

Die Tatsache, dass eine große Mehrheit von bis zu 75 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in aktuellen Umfragen lokaler Medien die Absage der verkaufsoffenen Sonntage für richtig befinden, schafft bei mir im Ergebnis den Eindruck, dass unser Vorgehen richtig ist, auch wenn es Ihnen nicht gefällt. Ihre Darstellung, es gäbe nur Verlierer, teile ich somit nicht, schon gar nicht in Bezug auf die Schlussbemerkung zu meiner Person.

Daniel Kolle, Bezirksgeschäfstführer ver.di

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