Zum Schluss herrscht Stille

"Rache": 285 Seiten mit elf neuen — wieder ganz außergewöhnlichen — Storys von Jochen Rausch.

 "Restlicht", "Trieb", "Krieg" und jetzt "Rache": Jochen Rauschs Buchtitel sind einprägsame Schlagwörter.

"Restlicht", "Trieb", "Krieg" und jetzt "Rache": Jochen Rauschs Buchtitel sind einprägsame Schlagwörter.

Foto: Thorsten Neuhaus

Wer Leser in den Bann schlagen will, muss nichts erfinden. Alles geschieht wirklich. Der Wuppertaler Journalist, Musiker und Autor Jochen Rausch hat das 2011 schon in seinem Story-Band "Trieb" eindrucksvoll bewiesen, als er seine Erfahrungen unter anderem als Gerichtsreporter verarbeitete. Das jetzt aktuelle Buch "Rache" setzt die Reihe der abgründig- einfühlsamen Auseinandersetzung mit der Finsternis fort. Atemlos, ohne schrill zu sein. Still, auch wenn eine schwere Explosion dröhnt. Wortkarg, obwohl das Gerede groß ist.

 „Rache“ von Jochen Rausch ist im Berlin-Verlag erschienen und kostet im Buchhandel 19,99 Euro.

„Rache“ von Jochen Rausch ist im Berlin-Verlag erschienen und kostet im Buchhandel 19,99 Euro.

Foto: Berlin-Verlag

Jochen Rausch hat elf Rache-Taten zum Anlass genommen, deren Entstehung und Ablauf er erzählt. Warum rächt sich jemand? Und wofür? Dabei taucht er tief ein in seine Figuren. So tief, dass es weh tut.

In neun der elf Storys ist am Ende mindestens einer tot. In den beiden anderen, wo es "nur" schwere Verletzungen gibt, ist schnell klar: Der Tod wäre besser. Faszinierend zugespitzt in "Haie": Da geht es (nicht nur) um Ehebruch. Und es ist nicht etwa die betrogene Frau, die sich rächt. Es ist der jugendliche Neffe, der seinen Onkel ins Verderben stürzt. Ganz private Geschehnisse hat Jochen Rausch auf- und nachgezeichnet. Und doch haben viele von ihnen mit Schlagzeilen-Themen zu tun: Dschihadismus, Ehrenmord, Jobcenter-Druck, Stasi-Vergangenheit, Kindesmissbrauch durch katholische Priester, Arbeitsmigration, ungleiche Verteilung von Besitz.

Dabei sind alle Texte ganz intim. Weil es um Liebe geht, um das Gefühl von (Un-)Gerechtigkeit, um seelische Wunden. Und um den winzigen Moment, wo etwas umkippt, jemand vom Weg abkommt — unvermeidbar.

Jochen Rausch bietet ständig wechselnden Perspektiven. Nicht nur von Story zu Story, oft auch innerhalb der einzelnen Texte. Und fast immer gibt es mehrere Erzählstränge, die parallel laufen, scheinbar nichts miteinander zu tun haben, aber dann — in der Katastrophe — zusammenlaufen. Das erinnert an Filme wie "Pulp Fiction". Überhaupt: "Rache" hat viel Ähnlichkeit mit einem Drehbuch. Ganz besonders in der letzten Story.

"Rache" hat einen ganz eigenen (Rausch-)Rhythmus: Wörtliche Rede, Gedankenprotokolle, Erzählpassagen. All das auf einer literarischen Ebene, die die die deutsche Sprache intensiv auslotet. "Rache" ist ein Stück Beobachtung der Gesellschaft. Was sie mit den Menschen macht. Aber vor allem beobachtet Jochen Rausch Menschen. Was sie mit sich selbst machen und mit anderen. Er schreibt es auf, schildert es, lässt die Handelnden eins zu eins zu Wort kommen. Er wertet nie.

Keine dieser elf Storys hat irgendeinen Fehler. Immer fängt es klein an, wird dann ganz breit, bis das schrecklich verzweigte Bild vor einem steht, dann verdichten die Texte die Geschehnisse, zum Schluss herrscht Stille.
"Rache" ist Jochen Rauchs viertes Buch. Wieder geht es um Liebe und Tod. Schreibt Rausch Krimis? Thriller? Völlig egal. Für das erzählerische Niveau von "Rache" gilt: Ganz große Short-Story-Klasse.

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