Spielzeit-Start der Oper Ein Fall von Operettenverweigerung

Wuppertal · Angestrengt modernisiert: Die Premiere von Lehárs Erfolgsoperette „Die lustige Witwe“ im Opernhaus.

Ziemlich ungelenkes Finale: Die lustige Witwe (Eleonore Marguerre) und Graf Danilo (Simon Stricker) finden im Dreivierteltakt zueinander, aber einen richtigen Walzer will, darf oder kann hier niemand tanzen.

Ziemlich ungelenkes Finale: Die lustige Witwe (Eleonore Marguerre) und Graf Danilo (Simon Stricker) finden im Dreivierteltakt zueinander, aber einen richtigen Walzer will, darf oder kann hier niemand tanzen.

Foto: Björn Hickmann/stage picture

In ihren besten Momenten entführt die Operette aus der schon immer tristen und bedrückenden Gegenwart in eine walzerselige Zwischenwelt, in der für einen spöttischen Augenblick die brüchigen Regeln der bürgerlichen Gesellschaft aufgehoben sind. Zur Freude des Publikums. Irgendwann wurde das den Intendanten und Regisseuren suspekt: Zu wenig hehre Kunst, zu viel Kitsch, zu viel heile Welt. Dabei war die Welt in der Operette nie heil, im Gegenteil. Aber man singt und tanzt sich über die Katastrophen hinweg. Wenn es die Regie erlaubt. Wenn jetzt Franz Léhars „lustige Witwe“, ein Kronjuwel der Operettenliteratur, im Opernhaus Premiere hat, erlaubt sie das leider nicht.

Die pontevedrinische Botschaft im kaiserlichen Paris hat der Komponist sich sicher prunkvoller vorgestellt als den öden Wartesaal mit Schreibtisch und Neonlampen, den Bühnenbildnerin Blanca Añón gebaut hat. Vom ersten Moment an wird deutlich, dass Regisseur Christopher Alden alle vermeintlichen Operettenklischees unterlaufen und jeden Anflug von historisierendem Ausstattungstheater vermeiden möchte. So liegt über dem Abend konsequent der bürokratische Charme einer schlecht funktionierenden Behörde, und es geht ähnlich beschwingt zu wie im Barmer Einwohnermeldeamt.

Die Geschichte erzählt Alden ziemlich holprig, manche Arien inszeniert er als schlechte Revuenummern. Die wichtigste Botschaft des Regisseurs scheint zu sein: Ich nehme dieses Stück nicht weiter ernst.

Natürlich darf man Operetten modernisieren. Ein Regisseur wie Christoph Marthaler hat in trostlosen Gegenwartsräumen wie diesem hier regelmäßig ganz großes Theater veranstaltet; und in Düsseldorf konnte man in der vorigen Spielzeit bestaunen, wie Barrie Kosky Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ virtuos als frech-frivole Comic-Operette in Szene setzte. Von solchen Höhen ist Christopher Aldens uninspirierte Inszenierung weit entfernt. Ihm gelingen ein paar ganz eindrucksvolle Szenen, in denen er eine schwierige (moderne) Liebesbeziehung analysiert. Vielleicht zehn Minuten. Der Rest wird an mehr oder (oft) weniger lustigen Klamauk verschenkt. Man kann die Qualitäten von Lehárs Musik gar nicht hoch genug einschätzen, dass sie das aushält.

„Lippen schweigen“, heißt es im finalen Duett, und weiter: „In jedem Walzerschritt tanzt auch die Seele mit“. In dieser Produktion allerdings tanzt die Seele nicht. Da tanzt niemand so richtig. Von Kati Farkas, laut Programmheft für die „choreographisch-szenische Mitarbeit“ zuständig, hat man schon sehr ordentliche Choreographien gesehen. Hier hatte sie offenbar die Aufgabe, jegliches tänzerische Element zu unterbinden oder, wenn sich das partout nicht vermeiden lässt, auf atemberaubend schlechtes Niveau abzusenken.

Und das bei einer Tanzoperette par excellence, wo eigentlich ununterbrochen getanzt werden müsste. So hüftsteif ist die „lustige Witwe“ wohl selten inszeniert worden.

Dabei zaubert Chefdirigent Patrick Hahn mit dem bestens aufgelegten Sinfonieorchester einen meist schlanken, in entscheidenden Momenten auch süffigen, sehr nuanciert durchgestalteten Sound mit eben der Laszivität und Sinnlichkeit, die das Stück braucht.

Und mit Eleonore Marguerre als lustiger Witwe Hanna Glawari steht eine stimmlich wie schauspielerisch ungemein präsente Gastsängerin auf der Bühne, die einiges herausreißen kann. Simon Stricker als dauerverkaterter Danilo mit gekünstelt-gedrückt klingendem Bariton kann da nicht mithalten, macht seine Sache aber recht ordentlich.

Das zweite, komödiantische Liebespaar mit Hyejun Kwon als Valencíenne und Tenor Theodore Browne als Camille de Rossilon klingt ziemlich angestrengt; Sebastian Campione gibt einen ganz soliden Botschafter Mirko Zeta. Der Opernchor, auch in kleinen Rollen gefordert, singt überzeugend.

Und Schauspielerin Philippine Pachl liefert als Diener Njegus, hier die omnipräsente Botschaftssekretärin, so manches komödiantische Kabinettstückchen ab. Immerhin.

Nächste Aufführungen im Opernhaus: Sonntag, 4. September 2022, 16 Uhr – im Oktober am 3., 14. und 15. jeweils um 19.30 Uhr sowie am 23. um 18 Uhr.

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