„Chaosmos“ im Opernhaus Gescheitertes Experiment

Wuppertal · Eine Bemerkung vorab: Experimente wie dieses sind wichtig, und es ist großartig, dass die Wuppertaler Oper sich daran beteiligt. Womit aber auch schon das Problem der Uraufführung von „Chaosmos“ im Opernhaus angerissen ist: Experimente können scheitern.

 Chaos ist manchmal die bessere Ordnung – aber das hilft dieser Produktion auch nicht weiter.

Chaos ist manchmal die bessere Ordnung – aber das hilft dieser Produktion auch nicht weiter.

Foto: Jens Grossmann

Der „Fonds experimentelles Musiktheater“ fördert Projekte von Teams, die „Zusammenspiel der Theaterebenen (Komposition, Text, Regie, Bühne) gemeinsam verantworten“ (so die Ausschreibung). Hier sind das Marc Sinan (Komposition), Tobias Rausch (Text) und Konrad Kästner (Video), die für ihr rund 90-minütiges Projekt aus „Chaos“ und „Kosmos“ den Titel „Chaosmos“ gebastelt haben.

Es geht um Ordnung und Unordnung, was an sich ja nicht uninteressant ist. Inhaltlich werden per Text und Videosequenzen drei Themenkomplexe angerissen, wobei jedem Ordnungsprinzip seine Schattenseiten entgegengestellt werden: Zunächst die nach wie vor gültige Systematisierung aller Lebewesen nach Gattung und Art, dann die am grünen Tisch der europäischen Kolonialmächte entworfenen Grenzziehungen im südlichen Afrika – schließlich die Logistik in großen Häfen (die Kriege wie den in Vietnam erst ermöglichten).

Das ist durchaus spannend, wobei Dramaturg David Greiner in seiner kurzen Einführung vor der Premiere die wesentlichen Aspekte derart eloquent auf den Punkt bringt, dass man während der eher zähen Aufführung schnell auf den Gedanken kommt: Ein bebilderter Vortrag wäre die lehrreichere und unterhaltsamere Form für solche Abhandlungen gewesen.

Parallel dazu gibt es eine Spielsituation, die so banal ist, dass man schnell darüber hinweggehen kann: Das androgyne Zwillingspaar Jay und Joe arbeitet in den Tiefen eines Logistikzentrums und wird durch merkwürdige Ereignisse zunehmend von Zweifeln befallen. Textlich wie darstellerisch bewegt sich das auf Laientheater-Niveau. Das Publikum sitzt auf der Bühne des Opernhauses, wo für rund 150 Zuschauer Tribünen aufgebaut sind. Zwei Förderbänder werfen regelmäßig Pakete auf die Spielfläche, und die anfängliche Ordnung weicht mehr und mehr einer Unordnung. Das ist, vorsichtig formuliert, vorhersehbar.

Und die Musik? Die läuft irgendwie nebenher. Sie besteht, das kann man nachlesen, „aus einer Mischung von originaler Komposition, traditionellem Repertoire und freier Improvisation“. Wirklich hören kann man das nicht. Meistens klingt sie banal, fast immer beliebig und austauschbar. Das Verfahren, Phrasen aus der Opernliteratur nach Zufallsprinzipien neu zu mischen, hat John Cage in seinen fünf „Europeras“ ziemlich genial durchgeführt (die ersten beiden waren vor einiger Zeit im Opernhaus zu erleben): Das Verfahren hier wirkt wie ein bemühter Abklatsch und kann nie deutlich machen, wozu es dieser Musik eigentlich bedarf.

Am Ende soll es Johann Sebastian Bach richten: Das tapfer spielende Kammerensemble setzt Fugenfragmente des Übervaters der abendländischen Musik nebeneinander. Was daran erinnert, dass ohnehin jede Musik eine Frage von Ordnung und Unordnung ist, wenn man komponieren als ordnen und strukturieren von Klangereignissen interpretiert. Nur ist das meist sinnfälliger und suggestiver erfolgt als hier. Der Vollständigkeit halber: Das Solistenquartett (Wendy Kirkken, Iris Marie Sojer, Adam Temple-Smith, Imothy Edlin) singt klangschön.

Über manchen Aspekt dieser „Nopera!“ (so die vorab schon mal allerlei entschuldigende Gattungsbezeichnung) mag man ja diskutieren können, in einem Punkt allerdings wird das Publikum schlichtweg für dumm verkauft. Angepriesen wird der Abend als „interaktive“ Oper, bei der das Publikum die Möglichkeit hat (so steht’s auf der Theater-Homepage), die „Bewegungen auf der Bühne zu beeinflussen“: Die Zuschauer „gestalten einen szenischen Abend mit“. Nun besteht die Interaktion ausschließlich darin, dass jeder Besucher einen Plastikfolder mit aufgedruckter Nummer erhält, der völlig undemokratisch an der richtigen Stelle in einem Regal in Bühnenmitte abzustellen ist (und bitte keinesfalls an einem anderen Platz!).

Welche szenisch-musikalischen Auswirkungen das hat, das erfährt man nicht. Anders gesagt: Der Zuschauer wird zum willenlosen Befehlsempfänger degradiert, der eine niedere Arbeit zu erfüllen hat, deren Sinnhaftigkeit ihm niemand erklärt. Das ist hoffentlich nicht das Menschenbild, das die Wuppertaler Bühnen vertreten.

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