Rundschau-Interview zur Landtagswahl Grüne: „Brauchen echte Kreislaufwirtschaft“

Wuppertal · Am 15. Mai wird der neue NRW-Landtag gewählt. Das Wuppertaler Stadtgebiet ist in drei unterschiedliche Wahlkreise aufgeteilt. Die Reihe der politischen Interviews mit Kandidatinnen und Kandidaten endet mit den Grünen. Die Rundschau-Redakteure Roderich Trapp und Stefan Seitz sprachen mit Eva Miriam Fuchs, Andreas Zawierucha und Marc Schulz, die sich alle drei erstmals für den Landtag bewerben. Eva Miriam Fuchs arbeitet als Prokuristin in der Entwicklungsfinanzierung bei der KfW-Tochter DEG (Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH), Andreas Zawierucha ist Malermeister und Werkstattleiter am Berufskolleg Neandertal, Marc Schulz bekleidet die Funktion des Politischen Koordinators im Büro von Oberbürgermeister Uwe Schneidewind.

  Eva Miriam Fuchs.

Eva Miriam Fuchs.

Foto: Simone Bahrmann

Rundschau: Frau Fuchs, wie würde eine grüne Wirtschaftspolitik für NRW aussehen?

Eva Miriam Fuchs: „Es geht darum, ein industrielles Kernland zu einem klimaneutralen Industrieland zu entwickeln. Wir haben jetzt live erlebt, wie anfällig Lieferketten sein können. Die Zukunft für NRW sehe ich in echter, ressourcenschonender Kreislaufwirtschaft. Dabei wird die Wuppertaler Idee des ,Circular Valley‘ eine große Rolle spielen. Wuppertal kann hier zur Wiege einer neuen industriellen Revolution in einer großen Region werden. Wirtschaft kann in Zukunft nur Wohlstand schaffen, wenn wir innerhalb der planetaren Grenzen arbeiten. Und es ist gut, dass ein Recht auf die Reparatur von gekauften Gegenständen auf der Tagesordnung steht.“

Marc Schulz: „Es sollte auch selbstverständlich sein, dass man sich beispielsweise schon beim Thema Hausbau oder bei der Herstellung eines Gerätes Gedanken über die Wiederverwertbarkeit einzelner Komponenten macht.“

Rundschau: Da sind wir ja schon mitten in der Klima-Diskussion. Herr Zawierucha, wo setzen Sie da Ihre Schwerpunkte?

Andreas Zawierucha: „Ich bin seit 40 Jahren im Handwerk verwurzelt und finde, dass wir die nicht vergessen dürfen, die die Strategien gegen den Klimawandel praktisch umsetzen sollen. Denn wer macht das, was da gemacht werden muss? Handwerker sind die wahren Klimaretter. Aber das Handwerk ist nicht an der Entwicklung von Standards beteiligt, im Bestand sind die Standards zu hoch und die Wiederverwertung von Materialien steckt noch in den Kinderschuhen. In der Schweiz gibt es ein Kataster für verwertbare Stoffe in Gebäuden. Warum hat Deutschland so etwas nicht? Ändern müssen sich auch die Lehrpläne in Schule, Berufsschule und Ausbildung. Denn das, was man ganz praktisch wissen muss, um der Klimakrise gegenzusteuern, wird kaum oder gar nicht gelehrt.“

Herr Schulz, Sie werben mit dem Slogan „Bergisch energisch“. Mit dem Gemeinschaftsgefühl des Bergischen Landes ist es ja aber so eine Sache ...

Marc Schulz: „Nach 16 Jahren im Wuppertaler Stadtrat und neun Jahren als Mitarbeiter im NRW-Landtag kann ich sagen, dass Wuppertal und das Bergische Land in Düsseldorf leider nicht ausreichend wahrgenommen werden. Dabei gibt es gerade in Wuppertal so viele Tüftler und Kreative, die zukunftsorientiert erfolgreich sind. Nehmen Sie nur die Vielzahl moderner Firmen oder die Wuppertalbewegung und Utopiastadt. Aber das alles läuft sozusagen unter dem Radar. Die Arbeit an einem großen bergischen Wir-Gefühl ist ein langer Weg, das sieht man schon bei den Abstimmungsprozessen im seit fünf Jahren existierenden Bergischen Rat. Ich denke, es wäre eventuell besser, sich stärker als Städteregion zu positionieren und zu vermarkten, wie das zum Beispiel in und um Aachen herum sehr gut funktioniert.“

Rundschau: Wie stehen die Grünen zur Wuppertaler Bundesgartenschau 2031?

Andreas Zawierucha: „Ich bin sehr dafür! Wuppertal ist jetzt dran mit einer BUGA in NRW, die beispielsweise durch einen Radrundweg das Thema Mobilität ganz neu akzentuiert. Wuppertal ist eine Stadt voller Ideen, und hätte die Strahlkraft einer BUGA, auch mit bergischer Dimension, verdient.“

 Andreas Zawierucha.

Andreas Zawierucha.

Foto: Simone Bahrmann

Rundschau: Eine Frage, die sich beim Thema Stadtfinanzen immer wieder stellt: Wie ist Ihre Position in Sachen Altschuldenfonds?

Marc Schulz: „Wuppertal war in der Vergangenheit finanziell immer stark abhängig von einer kommunalfreundlichen Landesregierung. Da die Altschuldenfrage für die zukünftige Handlungsfähigkeit einer Kommune sehr wichtig ist, kann das nicht so bleiben. . Die Städte brauchen grundsätzlich mehr Handlungsfreiheit und eine Lösung des Schuldenproblems.Auch schon angesichts der Befürchtung, dass die Niedrigzinsphase demnächst mit fatalen Folgen zu Ende gehen kann. Die immensen Kassenkreditschulden der Kommunen müssen in einen Fonds überführt werden, an dem Land und Kommunen, aber auch der Bund gemeinsam beteiligt sind. Die Ampel in Berlin hat signalisiert, dass man das auf den Weg bringen will. CDU und FDP in NRW hatten das 2017 auch schon auf der Agenda, haben dann aber angesichts von Corona gesagt, dass es jetzt Wichtigeres gäbe. Dabei hat doch gerade Corona gezeigt, dass es nichts Wichtigeres gibt als finanzstarke, handlungsfähige Kommunen, wo ja alles, was es an Corona-Maßnahmen gab, umgesetzt werden musste. Siehe Gesundheits- und Ordnungsämter. Der Altschuldenfonds muss jetzt realisiert werden, denn wenn die Zinsen steigen, ist es zu spät.“

Eva Miriam Fuchs: „Eine gefährliche Folge des durch die kommunale Finanzschwäche verursachten Personalmangels in der Verwaltung ist, dass es kaum noch erfahrene Mitarbeiter gibt, die Förderanträge stellen können. Deswegen können Fördermittel oft nicht abgerufen werden.“

Marc Schulz: „Dieses Problem zeigt sich ganz konkret bei der Umsetzung des städtischen Radwegekonzepts. Förderprogramme sind schön und gut, aber ohne Personal, das sie auf kommunaler Ebene bearbeitet, helfen sie nichts. Projekte wie die Nordbahn-, die Hatzfeld- oder die Langerfeldtrasse konnten und können wir nur dank des starken ehrenamtlichen Engagements anpacken.“

Rundschau: Ein grünes Kernthema ist die Energiewende. Wo kann das Land Vor-Ort-Aktionen unterstützen?

Eva Miriam Fuchs: „Es geht darum, dass Wirtschaft und Bürger gemeinsam im Boot sind. Dann wird das Ganze komplett. Bürgerenergiegenossenschaften in Stadtteilen sind eine gute Idee. So wird es für alle, nicht nur die mit gutem Einkommen und Einfamilienhäusern, möglich, dezentral mit dabeizusein. So begegnet man auch der realen Gefahr der Energiearmut für bestimmte Teile der Bevölkerung.“

Marc Schulz: „Gebraucht werden auch mehr Möglichkeiten, Geld in Projekten, bei denen es um erneuerbare Energien geht, anzulegen. Wenn NRW im Jahr 2030 zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien versorgt werden soll, muss man auf vielen Ebenen neue Wege gehen. Und die muss man jetzt öffnen.“

Andreas Zawierucha: „Wer heute per Solarflächen auf dem Dach eigene Energie erzeugt, muss Steuern dafür bezahlen und/oder sogar ein Gewerbe anmelden. Das muss sich ändern und stark vereinfacht werden.“

Die Grünen sehen sich, Thema Ukraine, zurzeit immer wieder mit dem Vorwurf der „Kriegstreiberei“ konfrontiert ...

Marc Schulz: „An den Wahlkampfständen gibt es viele Menschen, die über den Krieg sprechen möchten. Zu 90 Prozent sind das sehr sachliche Diskussionen. Wenn es nur zehn Prozent unsachlicher Beiträge gibt, sehe ich in der Ukraine-Frage keine Spaltung der Gesellschaft.“

 Marc Schulz.

Marc Schulz.

Foto: Simone Bahrmann

Andreas Zawierucha: „Woran wir nicht schon alles schuld waren! ,Frieden schaffen ohne Waffen‘ ist zurzeit nicht praktikabel. Aktuell müssen wir pragmatisch schauen, was möglich ist.“

Eva Miriam Fuchs: „Wer sich ernsthaft mit der Position der Grünen zu Putins Angriffskrieg auseinandersetzt, sieht, dass es hier um schwierige Diskussionen und Entscheidungen geht. Wer in der Regierungsverantwortung steht, kann sich nicht einfach heraushalten.“

Thema Bildungspolitik: Gerade während der Corona-Phase hat es in NRW viele Auseinandersetzungen über das Vorgehen von FDP-Schulministerin Gebauer gegeben. Was hätten die Grünen anders gemacht?

Andreas Zawierucha: „Wir wären planerisch stringenter vorgegangen. Zu kurzfristige Info-Mails an die Schulen, das aktuelle Chaos um die Schnelltests, das alles hätte man durch vorausschauendes Handeln anders hinbekommen. Außerdem ist die Digitalisierung inzwischen wieder komplett gekappt worden: All die seinerzeit angeschafften iPads liegen jetzt nur noch herum.“

Eva Miriam Fuchs: „Das Schulministerium hat die Schulen nie gefragt: Was können wir machen, um es euch zu erleichtern? Die Lehrer sind zu Packeseln mit immens vielen neuen Aufgaben gemacht worden.“

Marc Schulz: „Im dritten Pandemiejahr wird immer noch auf Sicht gefahren. Es müsste endlich multifunktionelle Teams zur Lehrerentlastung geben. Schwarz-Gelb hat 10.000 Lehrerstellen geschaffen, aber nur 2.000 wurden besetzt. Das so gesparte Geld floss aber einfach in den Haushalt zurück, nicht etwa in die Schulen. Und ganz wichtig: Alle Lehrer sollten gleich bezahlt werden, mit A13 als Regeleinstiegsgehalt. Die geringere Entlohnung beispielsweise in der Grundschule, wo während Corona Großes geleistet wurde, ist nicht akzeptabel.“

Gibt es für Sie besondere Herzensangelegenheiten für die politische Zukunft in NRW?

Marc Schulz: „Einen Altschuldenfonds für alle Kommunen. Und ich möchte im Zuge der hoffentlich stattfindenden BUGA 2031 möglichst viele zukunfts- und umweltorientierte Fördermittel nach Wuppertal holen.“

Andreas Zawierucha: „Mir sind eine höhere Wertschätzung für Handwerksbetriebe und die Beschäftigten im Handwerk sowie Lehrplanänderungen mit Blick auf die Klimazukunft wichtig.“

Eva Miriam Fuchs: „Ich möchte unsere Wirtschaft bei der Transformation unterstützen. Neben der aktuell sehr beachteten Abhängigkeit von fossiler Energie und Wärme stellt auch die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen ein enormes wirtschaftliches und politisches Risiko dar. Wir brauchen echte Kreislaufwirtschaft, um die Unternehmen mit Blick auf eventuell weitere Krisen widerstandsfähig zu machen.“

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