Wuppertaler Verein bei Gesetzgebungsverfahren „Tacheles“: Massive Kritik an geplanter Bürgergeld-Reform

Wuppertal · Der Wuppertaler Verein „Tacheles“ ist im laufenden Gesetzgebungsverfahren zur geplanten Reform des Bürgergeldes um eine fachliche Stellungnahme gebeten worden. In einer 35-seitigen Analyse kritisiert der Verein die vorgesehenen Verschärfungen scharf.

Symbolbild.

Foto: AlexanderStein

„Die Koalition plant Regelungen, die in Teilen härter ausfallen als die Hartz-IV-Sanktionspraxis vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts“, sagt der „Tacheles“-Vorsitzende Harald Thomé.

Künftig soll gelten: Wer dreimal nicht zu einem Meldetermin erscheint, wird als „nicht erreichbar“ eingestuft und verliert vollständig seinen Leistungsanspruch – einschließlich Regelsatz, Unterkunftskosten und Krankenversicherung. „Das ist verfassungsrechtlich wie sozialpolitisch völlig inakzeptabel“, meint Thomé.

Harald Thomé.

Foto: Max Höllwarth

Besonders betroffen wären vulnerable Gruppen wie wohnungslose oder psychisch erkrankte Menschen. Bereits bei einem ersten versäumten Termin sieht der Entwurf zudem die Einführung eines „Verpflichtungsverwaltungsakts“ vor. Wird eine darin festgelegte Pflicht anschließend nicht erfüllt, droht automatisch eine dreimonatige Sanktion in Höhe von 30 Prozent (168,90 Euro).

„Damit verfolgt die Sanktion in der sogenannten ,Neuen Grundsicherung‘ nicht mehr das Ziel, Verhalten zu ändern. Sie wird zu einer starren, repressiven Strafe, die allein auf Abschreckung setzt“, kritisiert Thomé. „Das entspricht der politischen Linie, die Merz, Linnemann und Spahn seit Jahren fordern – und widerspricht klar dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.“

Für Vermieterinnen und Vermieter von Bürgergeld- und Sozialhilfebezieherinnen und -beziehern soll eine Auskunfts-, Mitwirkungs- und Nachweis- und Formularpflicht eingeführt werden. Erfüllen sie diese „nicht, nicht vollständig und nicht rechtzeitig“ sollen gegen sie nun Bußgelder von bis zum 5.000 Euro verhängt werden können. „Damit geraten nicht nur Leistungsbeziehende, sondern auch Vermieter pauschal unter Verdacht. Das wird die Bereitschaft, an arme oder vulnerable Menschen zu vermieten, weiter reduzieren“, warnt Thomé.

Weitere zentrale Kritikpunkte von Tacheles sind „zusätzliche bürokratische Pflichten und existenzgefährdende Gängelungen für Leistungsbeziehende“, „Begrenzung der Kosten der Unterkunft auf das 1,5-Fache der örtlichen Mietobergrenzen“, „Einführung einer bußgeldbewehrten Auskunftspflicht für Vermieter mit Strafen bis zu 5.000 Euro bei verspäteten oder unvollständigen Angaben“ sowie eine „drastische Reduzierung des Schonvermögens und damit erhebliche Einschränkungen bei der privaten Altersvorsorge“.

Nach Einschätzung von Tacheles stellt die Reform einen „massiven Angriff auf die Lebensgrundlagen von Leistungsberechtigten“ dar: „Sie gefährdet deren Existenz auf mehreren Ebenen, ignoriert reale Lebenssituationen und untergräbt grundlegende Rechte. Die Folgen wären eine weitere gesellschaftliche Spaltung und ein wachsender Vertrauensverlust in Staat und Politik. Die geplanten Änderungen markieren einen gefährlichen Schritt in Richtung Abbau des Sozialstaats und demokratischer Grundprinzipien.“

Verfassungsrechtliche Bedenken

„Tacheles“ war bereits 2019 maßgeblich am Verfahren des Bundesverfassungsgerichts zur Sanktionspraxis beteiligt. Die dort festgelegten verfassungsrechtlichen Grenzen würden durch die geplanten Neuregelungen klar überschritten. „Die vorgesehenen 100-Prozent-Sanktionen sind eindeutig verfassungswidrig. Sollte die Politik diese Fehler nicht korrigieren, werden die Gerichte sie erneut aufheben. Tacheles wird diesen Prozess selbstverständlich juristisch begleiten“, betont Thomé.