Motiv: Ausländerfeindlichkeit Gezielt aufs Korn genommen

Wuppertal · Ob Altersweisheit nur in der Theorie gedeiht oder in der Praxis des Alltag unter die Hufe kommt, versuchte das Amtsgericht in der Verhandlung gegen einen 85-jährigen Wuppertaler herauszufinden. Angeklagt war der Rentner, weil er im August des letzten Jahres 2019 auf der Rathausstraße in Cronenberg mit seinem schwarzen Mondeo einen die Straße überquerenden Passanten gezielt auf’s Korn genommen und verletzt haben soll.

 Das Wuppertaler Landgericht.

Das Wuppertaler Landgericht.

Foto: Dennis Polz

Schienen die Verletzungen auch nur gering, weil sich der Fußgänger mit einem Sprung gerettet habe, waren die gegenseitigen Vorwürfe umso größer. Dass der Fahrer trotz der breiten Straße den Unfall verursacht habe, ohne zu bremsen, behaupteten Zeugen und der Verletzte, ein 45-jähriger Wuppertaler. Auch dass der Fahrer erst danach gestoppt werden konnte, weil sich ein weiterer Zeuge vor dem Auto aufgebaut habe, schien übereinstimmend. Die Reaktion des Fahrers allerdings, der wild herumgebrüllt haben soll und sich für den Verletzten nicht interessierte, war extrem unhöflich, um es vorsichtig auszudrücken. „Scheiß-Ausländer“ habe er das Opfer mehrfach beschimpft, und den Zeugen gleich mit: „Sie können sagen, was sie wollen, Ausländer fahre ich alle um!“ Auf der Polizeiwache Rathausstraße soll er weiter hoch emotional gewesen sein. Sein lautstarker Vorwurf: „Sie sind doch Ausländer, oder?“ wurde gleich entkräftet: Nein, das Opfer wäre ein Deutscher. Den soll er dann gegenüber der Wachhabenden beschuldigt haben, ihm auf der linken Fahrzeugseite in die Autotür getreten zu haben.

Eine Anzeige erstatten? Später, habe er angekündigt, er sei auf dem Weg ins Krankenhaus zu seiner Frau. Einen verwirrten Eindruck habe er gemacht, das verschlossene Auto, das immer noch mitten auf der Straße stand, habe er mit der Fernbedienung nicht öffnen können, das habe die Polizistin für ihn machen müssen. Trittspuren habe man nicht feststellen können.

Eine Befragung, eine klärende oder entlastende Aussage des Angeklagten? Nein, das wollte der Angeklagte nicht – noch nicht. Erst kam das Plädoyer der Staatsanwältin, die wegen gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr mit gefährlicher Körperverletzung, dazu die Beleidigungen und die offensichtliche Falschbeschuldigung als Schutzbehauptung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten, einen Führerscheinentzug auf Dauer und Einziehung des Autos als Tatwaffe forderte. Der Anwalt sah die Geschichte deutlich milder als bedauerlichen Unfall, stellte die Verletzung und die Beleidigungen auch nicht infrage, wies aber auf die fast lupenreine Weste des Mandanten hin – lediglich einmal habe ein gefährliches Überholmanöver mit einem Bußgeld geendet. Längerer Führerscheinentzug sei unnötig, die geforderte Einziehung des Fahrzeugs unverhältnismäßig.

Das letzte Wort des Angeklagten geriet dann zur Generalabrechnung. Wirr redete sich der, der eigentlich nichts sagen wollte, um Kopf und Kragen und machte auch aus seiner Gesinnung kein Geheimnis mehr. Er fühle sich ungerecht behandelt, immerhin „fahre er besser als manch andere“, eine Brille brauche er eigentlich nicht, die habe er „hauptsächlich, um schöne Frauen zu erkennen“. Das angebliche Opfer sei der wahre Verbrecher und überhaupt, „dass so was in Deutschland möglich ist!“ Vergeblich versuchte ihn der entsetzte Anwalt zu bremsen, für einen Moment stand sogar eine Klage wegen Beleidigung des Gerichts im Raum.

Der Richter ließ sich davon nicht beeindrucken: Er habe das Opfer fälschlicherweise als Ausländer identifiziert und habe ihn disziplinieren wollen, habe in Kauf genommen, ihn zu treffen - sein Motiv: Ausländerfeindlichkeit. Tötungsvorsatz wurde zu seinen Gunsten nicht angenommen. Aber in der Summe kam es trotzdem dicke. Es gäbe beim Angeklagten keine Einsicht, keine Entschuldigung, kein Geständnis – all das sei strafverschärfend. Für die Tat, die Beleidigungen und die falsche Verdächtigung summierte das Urteil acht Monate auf Bewährung für drei Jahre, 1000 Euro Geldstrafe zu zahlen an die Wuppertaler Tafel. Heftig trifft ihn sicherlich auch die Einziehung seines Mondeo und, wegen fehlender charakterlicher Eignung, eine Sperrfrist von zwei Jahren bis zum Neuantrag der Fahrerlaubnis. Da wäre er dann 88 Jahre, wenn er das Urteil jetzt annehmen würde. Derzeit ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

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