Lockdown Einzelhandel: Gegen „Weiter wie bisher“

Wuppertal · „Wenn das jetzt noch bis März dauert, wird es richtig hart“: Das sagt Ralf Engel, der Geschäftsführer des örtlichen Einzelhandelsverbandes. Der Lockdown (be)trifft die Branche ganz unterschiedlich – mal heftig, mal kaum.

 Ralf Engel ist Geschäftsführer des hiesigen Einzelhandelsverbandes.

Ralf Engel ist Geschäftsführer des hiesigen Einzelhandelsverbandes.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Simone Bahrmann

Der 63-jährige Rechtsanwalt Engel, seit 30 Jahren für den Einzelhandelsverband tätig, legt großen Wert darauf, auch das Positive der gegenwärtigen Pandemie-Zeit nicht aus den Augen zu verlieren: „Wir haben innerhalb von sensationellen neun Monaten einen Impfstoff bekommen, Deutschland hat es im Vergleich zu anderen Ländern bisher gut durch die Krise geschafft, und wer zurzeit nicht arbeiten kann, kann mit Unterstützung rechnen.“

Trotzdem nimmt Engel bei der Benennung von Problemen kein Blatt vor den Mund: „Vor allem für den Textil- und Schuhhandel ist die gegenwärtige Phase schlimm. Auch im Autohandel gibt es große Schwierigkeiten. Mit der Forderung nach einer Entschädigung der Lockdown-Verluste durch Zahlung eines pauschalen Betriebskostenzuschusses in Höhe von 30 bis 40 Prozent vom Umsatz konnten sich die Einzelhandelsverbände allerdings bei der Politik bisher nicht durchsetzen.“ 

Das liege auch, so vermutet Engel, daran, dass viele Politiker, genauso wie der Normalbürger, kaum eine Vorstellung von der wirtschaftlichen Wirklichkeit im von sehr unterschiedlichen Sparten geprägten Einzelhandel hätten. Ralf Engel: „Wer weiß schon, wie Preise zustande kommen? Dass etwa im Lebensmittelbereich die Gewinn-Marge bei gerade ein bis zwei Prozent liegt? Wie Rabatte kalkuliert werden? Dass das, was in den Textilgeschäften hängt, vom Händler vorher bezahlt werden musste und man es deswegen nicht einfach wieder zurückgeben kann? Dass der Händler beim Verkauf eines 2.000-Euro-Flachbildfernsehers keineswegs 1.000 Euro für sich behalten kann?“ Sein Fazit, das nicht nur jetzt zu Corona-Zeiten gilt: „Der Einzelhandel hat nach draußen oft ein typisches Nörgler-Image und nach innen fehlt es an offensivem, zukunftsorientierten Branchenbewusstsein.“

Gerade das Thema Zukunftsorientierung brennt Engel schon seit Jahren auf den Nägeln: „Viele Probleme des Einzelhandels, die sich jetzt wie unter dem Brennglas zeigen, sind auch hausgemacht. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.“ Der Kunde brauche ein Erlebnis beim Einkaufen, erwarte Freundlichkeit, Kompetenz, Flexibilität.

Und es bringe nichts, „einfach nur auch einen Online-Shop mit ins Programm zu nehmen.“ Gegen die Algorithmen-Qualität der Online-Riesen komme der stationäre Handel nicht an: „Die Produkte abzufotografieren und ins Netz zu stellen, das ist kein Online-Handel. Also muss man den Kunden ein echtes Einkaufserlebnis bieten. Dass der Einzelhandel nur überlebt, wenn er online stärker wird, ist Blödsinn.“

Wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass die Händler für sich eine individuelle Strategie entwickeln, dass sie, wie Engel sagt, „mit und an ihren Mitarbeitern arbeiten. Da wird weniger der Kaufmann, sondern mehr der echte, gute Verkäufer, der Freude und Kompetenz vermittelt, gebraucht.“ 

Auch gebraucht – und zwar unbedingt – wird nach Auffassung von Ralf Engel ein entsprechendes Umfeld für den Handel. Sprich: moderne, den Menschen zugewandte Innenstädte. Da sei die Politik gefragt: Die müsse mehr leisten, als „von Floskeln geprägte Innenstadt-Gipfel, die meist sowieso zu spät kommen.“

Großes Einzelhandels-Zukunftspotenzial sieht der erfahrene Verbandsfunktionär beim Thema Nachhaltigkeit: „Unverpackt-Läden, Kleidungs-Recycling und biologisch orientierte Neugründungen, die weit über den traditionellen Eine-Welt-Laden hinausgehen, sind längst nicht nur für junge Kunden interessant.“ Engel hat beobachtet, dass in solchen Segmenten viele Gründer eine neue Existenz starten woll(t)en. Und er ist sicher, dass Innenstädte von solchen neuen Impulsen klar profitieren.

Außerdem fordert der Verbands-Geschäftsführer, dass zur Aufwertung der Innenstädte, zu ihrer weiteren Belebung, die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden müssten, produzierendes Gewerbe (natürlich solches, dass keinen Lärm und Dreck verursacht) wieder in die Citys zu holen. Ralf Engel: „Die erste Etage über Ex-Strauss an der Herzogstraße steht immer noch leer. Warum? Da wäre eine Möglichkeit für die Unterbringung von modernem Gewerbe.“ In Solingen beispielsweise gebe es eine „gläserne Werkstatt“, um mitten in der City die Produktion von Messern sichtbar zu machen.

Für Ralf Engel ist eines klar: „Die Corona-Krise zeigt, dass ein ‚Weiter wie bisher’, wenn der Lockdown endet, nicht funktionieren wird. Man muss so ehrlich sein, die Fehlentwicklungen zu benennen.“ Unabdingbar sei dabei, offensiven Kontakt mit der Politik aufnehmen, um beispielsweise in den Innenstädten auf die veränderte Mobilität vieler Menschen zu reagieren.

Schließlich fällt wieder das Stichwort vom Branchenbewusstsein: „Wenn man sich als Unternehmer nicht zu Wort meldet, wird man nicht gehört. Ich denke, dass die Pandemie-Erfahrungen auch eine Chance für neue Schritte in die Zukunft sein können.“

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