Berliner Platz „Einfache Lösungen sind verdächtig“

Wuppertal · Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), der als einer der wichtigsten deutschen Sicherheitsexperten gilt, war jetzt zu Gast bei dem Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordneten Helge Lindh. Zusammen besuchten sie den Berliner Platz in Oberbarmen und ließen sich von Bernd Schäckermann, dem Leiter des dortigen CVJM, über den Problem-Punkt im Wuppertaler Osten informieren.

 Helge Lindh (Mitte) mit Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (r.) und Bernd Schäckermann (CVJM Oberbarmen) auf dem Berliner Platz.

Helge Lindh (Mitte) mit Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (r.) und Bernd Schäckermann (CVJM Oberbarmen) auf dem Berliner Platz.

Foto: Max Höllwarth

Fiedler und Lindh sind bereits seit längerer Zeit in Kontakt, wenn es um zielgerichtete politische und polizeiliche Arbeit gegen die Bedrohung von Politikern durch Hass-Mails & Co. im Netz sowie rechte Netzwerke auch innerhalb von Bundesbehörden geht. Im Rundschau-Gespräch mt Fiedler und Lindh fallen dabei die Namen der rechtsextremen Gruppe „Nordkreuz“ sowie die „NSU 2.0“-Serie rechtsextremistischer Morddrohungen gegen viele Personen des öffentlichen Lebens. Sebastian Fiedler möchte in diesem Zusammenhang die politischen Einstellungen von Polizeibeamten von einer unabhängigen Universität untersuchen lassen.

Zum Programm des Wuppertaler Besuches gehörte neben dem Austausch zu den oben angerissenen Sektoren auch ein Live-vor-Ort-Termin auf dem Berliner Platz in Oberbarmen. Der Politiker und der Polizist konstatieren eine „ideologisch aufgeladene Situation“. Helge Lindh: „Bestimmte Bevölkerungsteile artikulieren vergleichsweise laut, dass sie sich hier nicht sicher fühlen.“ Sebastian Fiedler betont, dass im Zusammenspiel aller Gruppen, die auf dem Berliner Platz unterwegs sind, die Polizei nur ein Akteur von vielen sei. Fiedler: „Bei der einfachen Lösung, einfach eine Polizeiwache auf den Platz zu stellen, wäre ich vorsichtig. Das Personal fehlt dann anderswo. Außerdem stoßen hier wegen des Bahnhofes die Zuständigkeiten von Bundes- und Landespolizei aneinander. Da muss man intelligent und zielgerichtet vorgehen.“ Es sei, so sagt der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, wenig hilfreich, vollmundig hartes Vorgehen zu fordern, ohne die konkrete Lage genau zu kennen: „Man darf sich in solchen Fällen, die es sehr, sehr oft im Umfeld von Bahnhöfen gibt, nicht auf Gefühle und Mutmaßungen verlassen.“

Für den CVJM formulierte Bernd Schäckermann die bereits lange bestehende Forderung, dass der Berliner Platz grundlegend umgestaltet werden müsse – und zwar bald. Auch müsse die Bahn mit ins Boot, denn bestimmte Bereich am Rand des Platzes, die als Drogenhandelsschwerpunkt gelten, gehören der Bahn. Sebastian Fiedler dazu: „Die Informationssysteme der Behörden müssten synchronisiert werden. Eine Wache auf dem Platz müsste ein eigenes Konzept haben. Einfach nur da zu sein, reicht nicht. Da geht es eigentlich um eine gemeinsame Dienststelle von Kommune, Land und Bund.“

Schäckermann, Lindh und Fiedler waren sich beim Besuch auf dem Berliner Platz einig: Hier handelt es sich um ein Areal ohne soziale Kontrolle, ohne attraktives Nah-Umfeld, ohne Aufenthaltsqualität. Fiedler: „Wenn sich das ändert, ändert sich vieles. Ein belebter Platz, auf dem und um den herum es viele Aktivitäten gibt, wird für Täter unbeliebt.“ Außerdem: Falls die Beobachtung stimme, dass Drogenhändler per Bahn anreisen und ihre „Ware“ am Berliner Platz verkaufen, müssten sich die für die Bahn zuständige Bundespolizei, die Landespolizei und die kommunalen Ordnungskräfte zielgerichtet miteinander abstimmen. Auch die Frage, wer welches Personal, das eventuell zusätzlich gebraucht wird, bezahlt, dürfe nicht aus dem Blick geraten.

Helge Lindh formuliert Grundsätzliches: „Es muss herausgearbeitet werden, welches Problem es auf dem Berliner Platz konkret gibt. Mit den Ängsten von Menschen politisch zu spielen, ist gefährlich und führt zu keiner Lösung.“ Der Bundestagsabgeordnete lobt den sehr praxisorientierten Ansatz des CVJM und macht deutlich: „Wenn Pseudodebatten von Dritten, die hier gar nicht leben, oder von Einzelnen, die zwar hier leben, aber nur einzelne Ausschnitte wahrnehmen, angeführt werden, führt das nicht zu einer sachlichen Diskussion. Genau die brauchen wir aber hier am Berliner Platz.“

Zum Drogenthema liefert Polizist Sebastian Fiedler einen zusätzlichen Aspekt – und nennt Portugal als Vorbild: „Dort ist seit 2001 der Erwerb, Besitz und Konsum aller Drogen für den persönlichen Gebrauch nur noch eine Ordnungswidrigkeit. Damit hat man sehr gute Erfahrungen gemacht und die betroffenen Menschen entkriminalisiert. Der Handel mit Drogen ist dagegen natürlich weiterhin strafbar.“ Fiedler weiter: „Eine solche radikale Änderung hätte auch in Deutschland nachhaltige Folgen. Aber dazu ist eine breite bundespolitische Debatte nötig. Außerdem zeigt meine Erfahrung im Umgang mit sogenannten Problemjugendlichen, wie es sie hier auf dem Platz gibt: Wenn man 100 Euro in soziale Konzepte investiert, spart man später betreffend Polizei und Justiz 10.000 Euro.“ Das bestätigt auch CVJM-Leiter Bernd Schäckermann.

Helge Lindh sagt: „Soziale Sicherheit und innere Sicherheit hängen miteinander zusammen. Rund um den Berliner Platz sollte wissenschaftlich untersucht werden, was das Richtige zu tun ist. Und wenn die Bahn sich hier zu wenig um das Umfeld ihres Bahnhofes kümmert, nehme ich das als Auftrag mit, um das Thema auf Bundesebene anzusprechen.“

Auch der Kriminalpolizeibeamte Sebastian Fiedler zieht für sich ein persönliches Berliner-Platz-Fazit: „Das Areal besteht aus mehreren Facetten. Kommune sowie Landes- und Bundespolizei müssen hier zusammenarbeiten. Die an solchen Orten immer wieder geforderten einfachen Lösungen sind verdächtig. Sie funktionieren nämlich nicht.“

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